Besser lesen mit Büchern in „Leichter Sprache“

26.9.2013, 11:04 Uhr
Besser lesen mit Büchern in „Leichter Sprache“

© Kettler

Lesen ist eine wichtige Fähigkeit. Es bestimmt über den Erfolg in der Schule und der Ausbildung, aber auch im täglichen Leben. Doch seit einiger Zeit mehren sich die Warnungen von Bildungsexperten. Die eindringlichste erfolgte vor genau einem Jahr: Jeder fünfte EU-Bürger kann nicht ausreichend lesen und schreiben, um seinen Alltag zu bewältigen, hieß es in einer im Auftrag der EU-Kommission veröffentlichten Studie. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schrillten alle Alarmglocken. Und die EU-Staaten setzten sich im Schulsektor ein konkretes Ziel: Der Anteil leseschwacher 15-Jähriger soll bis zum Jahr 2020 von 20 auf 15 Prozent sinken.

Kein Wunder also, dass Anne Grimmer, die Leiterin der Stadtbibliothek, auf die Frage, warum die neue Abteilung „Leichte Sprache“ eingerichtet wird, sagt: „Es liegt in der Luft.“ Allerdings verschweigt sie auch nicht, dass die Erlanger Einrichtung eine Vorreiterrolle einnimmt. Und Bibliotheksmitarbeiterin Christine Lenhart, die den neuen Bestand in den letzten Monaten aufgebaut hat, sagt: „Wir sind eine der ersten Bibliotheken in Deutschland, die das machen.“

Inklusion in vielen Bereichen

Damit, so Lenhart, greife die Bibliothek außerdem auch das Thema Inklusion auf, das die Stadt sich als ein vorrangiges Ziel verordnet hat. Nicht nur um Barrierefreiheit in technischer Hinsicht gehe es, die mit Rampen, einem Aufzug und Leselupen gewährleistet werde. „Auch Sprache kann eine Barriere sein“, sagt Lenhart.

Kommunikative Barrierefreiheit — das ist eine Grundforderung der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland rechtsverbindlich ist. Bereits seit den 1960er Jahren wurde in Europa daran gearbeitet, eine verständliche Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu entwickeln. Inzwischen ist „Leichte Sprache“ zu einem festen Begriff geworden. Seit 2006 gibt es in Deutschland und Österreich ein Netzwerk Leichte Sprache, in dem Einrichtungen der Behindertenhilfe vertreten sind. Die Mitglieder übersetzen Texte in „Leichte Sprache“ und haben über 40 Regeln dafür aufgestellt.

Anträge, Gesetze, Gebrauchsanleitungen und mehr sollen neben der herkömmlichen Version auch in „Leichter Sprache“ abgefasst werden, lautet die Forderung des Netzwerkes, Einen kleinen Erfolg gibt es bereits: Erst im Juli diesen Jahres hat das Sozialministerium gemeinsam mit dem Netzwerk Leichte Sprache einen Ratgeber herausgegeben, der sich an die Mitarbeiter von Ämtern und Behörden richtet. Und das Netzwerk hat seine Position gestärkt: Seit August ist es ein Verein.

Doch eines ist klar: Von „Leichter Sprache“ profitieren nicht nur die bundesweit zirka 300000 Menschen mit leichter geistiger Behinderung, sondern auch andere. Die über 2,3 Millionen „funktionalen Analphabeten“ zum Beispiel, die nur einzelne Wörter lesen oder schreiben können. Oder die 5,2 Millionen Menschen, die zwar einzelne Sätze, aber keine Texte lesen können. Außerdem Migranten, die die deutsche Sprache erst lernen. Und Menschen, die sich zum Beispiel nach einer Krankheit oder Operation beim Lesen nicht mehr so gut konzentrieren können.

Klar ist auch: Das Ganze ist erst im Kommen. Deshalb ist die neue Abteilung in der Stadtbibliothek derzeit noch klein. Ungefähr 80 Bücher — alle mit einem kleinen blauen Aufkleber mit der Aufschrift „Leichte Sprache“ versehen — stehen im Regal neben dem Infotisch im ersten Obergeschoss: vom Jugendbuch über Krimis und historische Romane bis hin zum Kochbuch.

„Wir fangen alle bei Null an“, sagt Bibliothekarin Christine Lenhart, die im Austausch mit einigen Kolleginnen im Bundesgebiet steht. Die Bibliotheken seien vorne dran, im Buchhandel gebe es das noch nicht als eigene Sparte. Der Bestandsaufbau sei mühsam. Sie sei pragmatisch vorgegangen und habe in verschiedenen Gebieten „gewildert“: Neben den wenigen Verlagen, die Bücher in „Leichter Sprache“ herausbringen, auch bei Publikationen des Bundesverbandes Alphabetisierung oder bei Buchreihen, die für Deutsch als Fremdsprache entwickelt wurden.

„Es geht auch darum, die Bevölkerung zu sensibilisieren“, sagt Lenhart. „Denn es ist nicht selbstverständlich, dass alle lesen können.“ Sie ist überzeugt: Die Abteilung „Leichte Sprache“ wird wachsen.

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