Bildhauer und Upcycler im alten Landratsamt in Erlangen

31.5.2020, 18:00 Uhr
Bildhauer und Upcycler im alten Landratsamt in Erlangen

© Klaus-Dieter Schreiter

So viele Läden der Stadt stehen leer. Und wenn schon kein neues Geschäft einzieht oder Wohn- und Lernraum für arme Studenten geschaffen wird, dann vielleicht Ateliers für hoffnungsvolle Künstler. Die sogenannte "Wanderwerkstatt" hatte sich vorigen Sommer in dem zum Abbruch freigegebenen Gemeindehaus in der Bayreuther Hauptstraße 11 für ein paar Wochen eingerichtet (wir berichteten). Anfang März, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, hatte sich das "Studio b11", wie sich die "Wanderwerkstatt" nennt, ein neues illustres Domizil gesichert, freilich wieder auf Zeit. Bis Ende Juni werkeln rund 25 Maler, Bildhauer, Band-Musiker, Keramiker, Performer, Multimedia-Generalisten, YouTuber, Upcycler, Stempler, Häkler und sogar drei Studenten der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg in den Räumen des alten Landrats-amts. Die Altersspanne der Beteiligten reicht von 20 bis 66 Jahren.

An den Wänden hängen zahlreiche Zettel und Organigramme. Den sozialen Konsens zu finden, scheint bei sensiblen Ästheten keine einfache Sache zu sein. Als erstes gilt: absolutes Rauchverbot wegen Denkmalschutz! Als zweites: Betreten der Innenhof-Balustrade verboten, da einsturzgefährdet!

 

Klingel und Kotflügel

Eine Fahrrad-Zeichnung macht Laune: "Wenn die ,b11’ ein Fahrrad wäre, als welches Teil würdest du dich in deiner Teamrolle sehen?" Manch einer wählt den Lenker, andere das Licht, wieder andere die Kette, den Sattel oder die Klingel. Sogar die Kotflügel sind vertreten. Bloß die Katzenaugen in den Speichen hat man vergessen, dabei schützen doch gerade sie den Radler vor Autos, die nachts von links oder rechts heranpreschen.

Bildhauer und Upcycler im alten Landratsamt in Erlangen

Über zwanzig geschlossene Räume für Ateliers und stille Schaffer stehen zur Verfügung, weitere Zimmer dienen als Ausstellungs- und Durchgangsräume. Natürlich waren die Räumlichkeiten wegen des Lockdowns anfangs ziemlich verwaist, erst seit rund zwei Wochen wird wieder fleißig gewerkelt. Was muss ein Künstler, beziehungsweise ein Anfänger, in Sachen Kunst mitbringen? Er sollte schon Ideen haben, etwas Relevantes auszusagen haben; die Wanderwerker verstehen sich als frei von Elitedenken, verstehen ihr Haus auf Zeit als Ort der Begegnung. "Das alte Landratsamt ist Werkstatt, Atelier und Galerie für die Künstler", bekräftigt Martina Dorsch, die Prima inter Pares.

Anna-Maria Bieniek, die schon voriges Jahr mit Emanationen extremer Männlichkeit aufgefallen war, hat einen formschönen glatten alabasternen Prachtpopo geschaffen, ein göttliches Hinterteil, eine Aphrodite Kallipygos, um die sie Praxiteles und Phidias vom Olymp herab beneiden müssten – bloß ohne die zugehörige Göttin. Dafür hängt eine stählerne Kette mit Schließring an dem schneeweißen Rund. Das soll wohl die Fixierung des Betrachters an diverse Körperteile symbolisieren, also die Fetischisierung auserwählter Körperformen.

Alex Cio hingegen formt mit der Häkelnadel. Seine größte Decke der Welt aus vielen gebrauchten Wollsachen und übriggebliebenen Wollknäueln wird hier weiterwachsen. Wie groß sie dereinst werden wird, weiß Cio nicht zu sagen, bloß wann: "Ich häkle solange daran, bis ich sterbe." Ein Lebensprojekt im wahrsten Sinne des Wortes. Und das mit Absicht: "Früher hatten mittelalterliche Baumeister und Handwerker an Kathedralen gearbeitet, von denen sie wussten, dass sie selbst ihr Werk nie vollendet sehen würden", erklärt Cio. Darum setzt er die geduldige Häkelarbeit als Zeichen gegen die möglichst schnelle, möglichst effiziente Verfertigung von Gebrauchs- und anderen Dingen.

Übrigens gibt es durchaus Kunst zum Anziehen: Cio arbeitet außerdem an der "Unendlichen Mütze", einer Mütze mit Verlängerung, die man zusätzlich als Schal, Ärmel und Hosenbeine verwenden kann.

Leider ist die Zeit bis zum 30. Juni begrenzt. Ansonsten gilt: Wer leerstehende Häuser sein Eigen nennt, möge sich doch bitte mit den händeringenden Künstlern in Verbindung setzen. Diese betonen, dass sie stets achtsam mit der Immobilie umgehen.

Das Studio b11 öffnet seine Ausstellungsflächen immer samstags: Einlass über den Innenhof in der Paulistraße. Führungen finden zudem in Gruppen mit jeweils maximal fünf Personen durch die Atelierräume statt (bitte Mund-Nase-Schutz mitbringen). Das Studio b11 ist darüber hinaus bis 30. Juni jeden Samstag von 12 bis 16 Uhr geöffnet.

Wer Räumlichkeiten zur Verfügung stellen kann, möge sich bitte per E-Mail unter buero@studio-b11.de oder raum@studio-b11.de melden.

 

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