Nachfrage steigt

Booster-Impfung: Hausärzte erleben Ansturm in Erlangen und Umgebung

20.11.2021, 08:00 Uhr
Das Interesse an Corona-Auffrischimpfungen steigt auch in den Hausarztpraxen in Erlangen und Erlangen-Höchstadt an (Symbolbild). 

© Sven Hoppe, dpa Das Interesse an Corona-Auffrischimpfungen steigt auch in den Hausarztpraxen in Erlangen und Erlangen-Höchstadt an (Symbolbild). 

((Platzhalter))Der Möhrendorfer Allgemeinarzt Thomas Wunderlich und sein Team sind Stress gewohnt, doch die derzeitige Corona-Situation bringt den Mediziner und seine Mitarbeitenden ans Limit. "Die aktuelle Lage ist wirklich dramatisch", sagt Wunderlich, der auch Vorstandsmitglied des Hausärztevereins Erlangen und Umgebung ist. "Mein Team arbeitet am Rand der Belastbarkeit und ich kann nur erahnen, wie schlimm es auf den Intensivstationen aussieht und demnächst aussehen wird."

In seiner Gemeinschaftspraxis ist die Lage schon jetzt angespannt. Das Interesse an einer Booster-Impfung ist sehr groß, berichtet er. Seit drei Wochen zeichne sich bereits ein deutliches Anziehen der Nachfrage ab, die sich seither kontinuierlich steigere. So haben er und sein Team in der vergangenen Woche (KW 45) insgesamt 90 Impfungen durchgeführt. Darunter waren acht Erst-, zwei Zweit- und 78 Boosterimpfungen. "In absoluten Zahlen", sagt er, "steigen die Erstimpfungen bisher nur langsam an."

"Leider" ziehe sich die von Teilen der Politik bei den Menschen ausgelöste Verwirrung "wie ein roter Faden durch die Pandemie", sagt er zum seit Tagen grassierenden Hin- und Her bei den Corona-Auffrischungen, den so genannten Booster-Impfungen. Am Donnerstag (18. November 2021) hatte die Ständige Impfkommission die Booster-Empfehlung für Ältere schließlich auf alle ab 18 Jahren ausgeweitet. Zuvor hatten unterschiedlichen Aussagen zu Personenkreisen und Abständen (vier, fünf oder sechs Monate zur zweiten Impfung) für Debatten gesorgt

"Bundespolitik sagt hü, die Landespolitik hott"

Die Bundespolitik sage „hü“, die Landespolitik „hott“, kommentiert dann auch Wunderlich, übrig blieben verunsicherte Menschen. "Denen müssen wir in der Praxis erklären, warum dies oder jenes eben nicht so funktioniert, wie sie sich es gerade vorstellen", sagt der Arzt. Der daraus resultierende Aufklärungsbedarf ist enorm, was in der Praxis "unglaublich viel" Zeit koste.

Für Booster-Impfungen interessierten sich Menschen aller Altersgruppen, insbesondere jedoch über 60-Jährige. Es gibt aber fast keine Patienten, die ihren Arztbesuch, der aus anderen Gründen gerade stattfindet, nicht mit der Frage nach einer dritten Corona-Impfung verbinden. Seit der vergangenen Woche hat Wunderlich mitsamt dem Praxisteam alle Hausbesuchspatienten und Pflegeheimbewohner, die von ihnen betreut werden, geboostert.

Der Schwerpunkt liege in der Praxis ganz klar bei den Menschen über 70, aber schon vor dem offiziellen Stiko-Statement hat die Praxis allen Impfinteressierten, deren zweite Impfung sechs Monate zurückliegt, einen Termin für die dritte Impfung gegeben. "Da es nicht viele sind, die sich für die Erstimpfung anmelden, haben wir keine Probleme, auch diesen einen zeitnahen Termin zu anzubieten", sagt der Mediziner.

Ausreichend Impfstoff ist vorhanden

Impfstoff werde, so Wunderlichs Erfahrung in der Menge geliefert, wie er bestellt wird. Auch Thomas Wagner, Apotheken-Besitzer und Sprecher der Bayerischen Apothekerkammer für Erlangen, sieht (bislang) keine Engpässe. "Die Hausärzte bestellen jetzt mehr Impfstoff, den wir auch bereit stellen können." Anders als vor einigen Monaten mangelt es nicht am Serum.

Ab der kommenden Woche (KW 47) versucht daher Wunderlich, 140 bis 160 Impfungen pro Woche durchzuführen. "Dann sind wir aber an der absoluten Kapazitätsgrenze unserer Praxis angekommen. Schließlich haben wir mit den täglichen Infektsprechstunden alle Hände voll zu tun, machen täglich zehn bis 15 PCR-Abstriche mit Tendenz steigend und erfüllen darüber hinaus noch unsere normale hausärztlichen Versorgungsauftrag."

Seit Oktober wurden dort außerdem mehr als 500 Grippeimpfungen durchgeführt. Bis zuletzt betrug die Wartezeit für eine Coronaimpfung in der Praxis etwa ein bis zwei Wochen, allerdings ist nun schon einen relativ großer Teil der Impftermine bis zu den Weihnachtsferien vergeben. "Es ist also abzusehen, dass die Wartezeit demnächst länger sein wird." Zudem gibt es nun eigentlich gar keine Tage mehr ohne positive Corona-Ergebnisse; auch diese Patienten müssen wieder vermehrt behandelt werden.

Covid-Patienten werden behandelt

Für den Erlanger Hausarzt und Ärztlichen Koordinator im Corona-Krisenstab für Erlangen-Höchstadt, Thomas Ruppert, ist genau das mit der springende Punkt für die Belastung in den niedergelassenen Praxen. "Wir müssen in unseren Praxen einerseits unsere chronisch Kranken versorgen und impfen, andererseits Infektsprechstunden abhalten, in denen natürlich auch Covid Patienten behandelt werden." Denn 13 von 14 Erkrankten könnten, so sagt Ruppert, der auch Leitender Notarzt im Landkreis Erlangen-Höchstadt ist, im ambulanten Bereich versorgt werden. Das hätten die vergangenen Wellen gezeigt.

Die jetzige Welle habe sich im Prinzip voraussagen lassen, sagt er. Vor einem Jahr sei jedem klar gewesen, dass Kontaktbeschränkung, Kontaktnachverfolgung und Testen die Pandemie eindämmen könnten. "Als die Impfkampagne ins Stocken geraten ist, musste man schon befürchten, dass, wenn die oben genannten Maßnahmen nicht weitergeführt werden, ein erneutes Aufflammen der Pandemie, auch mit der derzeitigen Heftigkeit, zu erwarten ist." Das ist jetzt eingetreten.

Auch in seiner Praxis in Tennenlohe ist das Interesse an Corona-Impfungen in den vergangenen drei Wochen stark angestiegen. "Seit letzter Woche sehen wir uns wirklich einem Ansturm gegenüber, der wieder einen hohen Organisationsaufwand fordert." Der überwiegende Anteil betrifft auch bei Ruppert derzeit die Booster-Impfungen, der kleinere Anteil sind aber auch Erstimpfungen, was, wie er vermutet, "sicherlich mit der katastrophalen Corona-Lage und der hohen Ansteckungsgefahr" zu erklären ist.

Großes Interesse am Pieks im MVZ Eckental

Groß ist das Interesse an Corona-Impfungen auch im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Eckental, das seinen Hauptsitz in Eschenau (Landkreis Erlangen-Höchstadt) und eine Zweigstelle in Igensdorf (Landkreis Forchheim) hat. "Der Andrang ist hoch, nach einem Abflachen im Sommer, als wir sogar Impfdosen wegwerfen mussten, weil angebrochene Fläschchen mit dem Impfstoff nicht aufgebraucht werden konnten, kommen wir aktuell mit dem Impfen kaum noch hinterher", berichtet der Ärztliche Leiter, Prof. Thomas Kühlein, der auch Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin der Erlanger Universität sowie Direktor des Allgemeinmedizinischen Instituts am Uni-Klinikum ist.

Im Moment sei genügend Impfstoff für Impfungen vorhanden, in den Praxen müsse vermutlich niemand lange warten oder in einer Schlange stehen wie in den Impfzentren, da in den Praxen nur mit Termin geimpft werde.

So wie bei seinen Kollegen Thomas Wunderlich und Thomas Ruppert stehen auch in Kühleins MVZ, das ein Tochter-Unternehmen des Erlanger Uni-Klinikums ist, aktuell vor allem Booster-Impfungen im Zentrum. "Es sind aktuell vor allem ältere Menschen, zu denen wir auch wenn nötig mit Hausbesuch zum Impfen fahren. Ich selbst versuche die Jüngeren noch etwas zu trösten, um vor allem die Älteren und Gefährdeten jetzt erst einmal zu boostern", erzählt der Medizinprofessor.

Bislang hat Kühlein in Igensdorf erst einige wenige Geimpfte gesehen, die dennoch Sars-CoV-2 positiv waren. "Sie waren aber nicht sehr krank", sagt er. In der ganzen Corona-Zeit sei Igensdorf aus der Perspektive der MVZ-Praxis wenig betroffen gewesen, in Eckental seien es schon mehr Patienten gewesen.

Dass die Situation im Herbst/Winter 2021/22 wieder so wird, wie sie jetzt ist, hat Kühlein nicht gedacht. "Das ist jetzt allen wieder schlimm", sagt er, "und es hätte durch mehr Einsicht gegenüber dem Impfen einiges davon vermieden werden könne, aber es trifft uns längst nicht mehr so unvorbereitet wie in den früheren Wellen."

Allgemeinmediziner und Notarzt bleibt pragmatisch

Und jetzt? Der Allgemeinmediziner und Notfallarzt Thomas Ruppert bleibt pragmatisch. "Jetzt sitzen wir alle in einem Boot", antwortet er, "und es ist wichtig gemeinsam die Krise zu meistern. Man kann auch auf freiwilliger Basis auf unnötige Kontakte verzichten und damit dazu beitragen, die Pandemie wieder einzufangen; auch kann man freiwillig FFP2-Masken tragen. Ich sehe das nicht als Freiheitsberaubung sondern als gelebte Nächstenliebe."

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