"Chaos Kochstraße": Lichterdemo in Erlangen

28.11.2013, 19:26 Uhr
"Studieren gefährdet ihre Gesundheit" behauptete ein Transparent in Anspielung auf die maroden Gebäude in der Kochstraße und die möglicherweise PCB-verseuchten, aber auf jeden Fall baufälligen Philosphentürme

© Edgar Pfrogner "Studieren gefährdet ihre Gesundheit" behauptete ein Transparent in Anspielung auf die maroden Gebäude in der Kochstraße und die möglicherweise PCB-verseuchten, aber auf jeden Fall baufälligen Philosphentürme

  Eigentlich ist das alles ein schlechter Witz, findet Jörn Hamacher. Da kommt man zum Studieren „in das vielgelobte Bayern“, wie er sagt — und findet sich in Räumen mit bröckelndem Putz, feuchten Wänden und undichten Fenstern wieder. „Das geht doch gar nicht“, so der angehende Kulturgeograph Hamacher ist einer von rund 400 Studenten, die am Donnerstag  Abend in Erlangen auf die Straße gehen, um gegen marode Gebäude zu demonstrieren. Über zwei Stunden lang ziehen sie quer durch die Innenstadt.

„Die Kochstraße ist überall“, ruft Kai Padberg dabei immer wieder in das Megaphon.Im Sommer mussten die Archäologen hier ihre eigenen Arbeitsplätze ausgraben — nachdem ein Teil der Decke heruntergestürzt war. Inzwischen ist rund die Hälfte der Seminarräume wieder offen. Das übrige Gebäude soll bis zum Sommersemester soweit hergerichtet sein, dass dort auch wieder Uni-Betrieb möglich ist, sagt der stellvertretende Fachschaftssprecher Padberg.

Doch mit der Notsanierung für 1,5 Millionen Euro ist es nicht getan. „Laut Bauamt kann das Gebäude noch zehn, vielleicht 15 Jahre genutzt werden. Findet bis dahin keine umfassende Sanierung statt, muss abgerissen werden“, so Padberg. Völlig unklar ist auch, wie es mit den „Philosophentürmen“ in der benachbarten Bismarckstraße weitergeht. Hier laufen noch die Messungen zur Belastung mit polychlorierte Biphenylen, kurz PCB, die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen. Sollte zugesperrt werden müssen, „ist völlig unklar, wo die Leute hin sollen“.

Wer die Probleme und Einschränkungen des Hochschul-Betriebs durch bröckelnden Putz für ein Erlanger Problem hält, liegt falsch. In Regensburg etwa wird schon seit Jahren zwischen Regel- und Problempfützen unterschieden, die sich nach starken Niederschlägen in manchen Gebäuden bilden. Die „Regelpfützen“ treten immer an der selben Stelle auf, so dass sich dort gezielt Eimer aufstellen lassen. Die „Problempfütze“ kommt unverhofft, zerstört Mobiliar, lässt den Schimmel wachsen. Auch in Regensburg bröckeln zudem Decken. Der Präsident hat schon einmal einen Steinbrocken, der ihm fast auf den Kopf gefallen wäre, mit zum Ministerpräsidenten genommen.

Eingeschränkte Speisekarte

Ärger gibt es laut Anja Zürn aber auch in Würzburg, wo ebenfalls schon Gebäude der philosophischen Fakultät und Teile der Biowissenschaften baufällig sind. „Auch in der Mensa ist immer wieder die Speisekarte eingeschränkt, weil Geräte ausgefallen sind“, sagt Zürn, die in Würzburg studiert und gleichzeitig Sprecherin der bayerischen Landesstudierenden-Vertretung ist. Selbst „Leuchtturm“-Unis wie die TU-München sind laut Zürn betroffen. Und oft gehen feuchte Seminarräume, fehlender Brandschutz und aus dem Rahmen fallende Fenster Hand in Hand mit akuter Raumnot, wie etwa in Passau.

Warum es ausgerechnet im Land der Dichter und Denker soweit gekommen ist, wundert Padberg und Zürn aber wenig. In Deutschland, dem derzeitigen Musterschüler Europas, wurden zwar vor allem in den Sechzigern und Siebzigern jede Menge neue Universitätsgebäude mit viel Beton hochgezogen. Um den Unterhalt habe sich hernach aber niemand so recht kümmern wollen — obwohl sich zum Beispiel schnell gezeigt hat, dass vor allem die vielen Flachdächer nicht so dicht sind, wie man sich das vorgestellt hat. „Der Freistaat hat über Jahrzehnte keine nachhaltige Politik betrieben“, sagt Padberg. Geld gab und gibt es „immer nur, wenn es wirklich brennt“.

In Zürns Augen hängt das auch damit zusammen, dass sich eine Sanierung nicht öffentlichkeitswirksam „verkaufen“ lässt. „Das ist eben kein politisches Prestigeobjekt wie ein Neubau. Und ob 500 oder 800 Studis in einem Hörsaal sitzen, ist denen egal.“ Im bayerischen Wissenschaftsministerium hat man eine andere Sicht auf die Dinge.

Schon von einem Sanierungs- beziehungsweise Investitionsrückstau mag Sprecherin Christa Malessa nicht so gern sprechen. Sie verweist auf das 2008 aufgelegte Modernisierungsprogramm. Bis 2018 fließen 400 Millionen Euro pro Jahr. Das Geld müssen sich aber nicht nur die neun Universitäten und 17 staatlichen Hochschulen teilen, es soll auch noch für die Gebäudesanierungen der Universitätskliniken reichen.

Dazu kommt bei größeren Reparaturen über eine Million Euro ein komplexes Prozedere: Die Mittel müssen angemeldet, vom Freistaat eingestellt und schließlich vom Haushalts-Ausschuss des Landtags genehmigt werden, bevor die jeweils zuständige Baubehörde die Arbeiten vergeben kann.

Allein in Nürnberg sind 40 Millionen Euro notwendig

Malessa versichert zwar, dass Kultus- und Wissenschaftsminister Ludwig Spänle die Sanierung vorantreiben will. Bis jetzt existiert aber noch nicht einmal eine detaillierte Auflistung über den Investitionsbedarf an den einzelnen Standorten — ganz so, als ob es sich um ein überraschend aufgetretenes Problem handele.

Dabei wird seit Jahren vor dem sich immer höher türmenden Investitionsrückstau gewarnt. Der Präsident der Uni Erlangen-Nürnberg, Karl-Dieter Grüske, rechnet allein für die Sanierung des Campus der Erziehungswissenschaftler in Nürnberg mit einem Bedarf von 40 Millionen Euro. Der Würzburger Kanzler Uwe Klug gibt für seine Alma Mater Gesamtkosten von einer halben Milliarde Euro an. Bundesweit hat der Wissenschaftsrat als beratendes Gremium der Regierung einen Bedarf von 30 Milliarden Euro errechnet.

Genaue Zahlen fehlen

Die Zahlen stammen allerdings von 2009 und sind veraltet, neue gibt es nicht. Studierendenvertreter wie Zürn fordern deshalb vor allem eine Aufhebung des Kooperationsverbots, damit der Bund verstärkt in die Finanzierung mit einsteigen kann, die bis jetzt Ländersache ist. Die Begeisterung in Berlin könnte sich mit Blick auf die vielen zusätzliche Milliarden, die allein für Straßen, Schienen und Wasserwege akut nötig sind, aber in starken Grenzen halten.

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