Corona-Stau im Gesundheitsamt? Kontaktpersonen warten vergeblich

24.10.2020, 14:07 Uhr
Corona-Stau im Gesundheitsamt? Kontaktpersonen warten vergeblich

© Harald Sippel

Als ein Mann mittleren Alters aus Neunkirchen vergangenen Sonntagabend von seiner durch einen Test bestätigten Corona-Infektion erfuhr, handelte er geistesgegenwärtig: Er überlegte sich, mit wem er in den vergangenen zwei Wochen engen Kontakt hatte und rief einen nach dem anderen an. Konkret waren es sechs Kontaktpersonen aus Erlangen, zwei aus Forchheim und eine aus Fürth. Es sind Menschen, die dem Neunkirchener nahe stehen, Familie und Freunde der Familie. "Ich wollte sie schützen", sagt der Mann am Telefon.

Da er mit jedem Einzelnen länger als 15 Minuten den Abstand von 1,5 Meter unterschritt, keine Maske trug und mit manchen Körperkontakt hatte, stufte er sie jeweils als Kontaktperson 1 ein. "Das habe ich dem Gesundheitsamt Forchheim so weitergegeben. Durch dieses Gesundheitsamt fühle ich mich sehr professionell betreut." Auch, weil die Forchheimer Behörden in ihrem Gebiet die Kontaktpersonen umgehend erreicht und am Montag die Kollegen in Fürth und Erlangen kontaktiert hätten. Jetzt wäre es die Aufgabe der dortigen Behörden gewesen, mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen, um Maßnahmen wie Quarantäne und Corona-Testungen festzulegen.

Doch am Freitag hatten sich die zwei Gesundheitsämter noch bei keiner Kontaktperson in ihrem Zuständigkeitsbereich gemeldet. Hätte der Neunkirchener ihnen nicht Bescheid gegeben, wären die Kontaktpersonen bereits fünf Tage ganz normal ihrem Alltag nachgegangen.

Corona-Warn-App zeigt "grün"

Da ist beispielsweise die Schwester des Infizierten, eine Erlanger Sportlehrerin. Sie hat sich am Montag testen lassen und ein negatives Ergebnis erhalten. Hätte sie sich auf ihre Corona-Warn-App verlassen, hätte kein Grund zur Sorge bestanden. "Das Feld war grün. Die App zeigte mir also an, dass ich mit keiner infizierten Person Kontakt hatte." Dabei hatte sie ihren später positiv getesteten, bei ihrer Begegnung noch symptomfreien Bruder umarmt.

Die Sportlehrerin hat sich in freiwillige Quarantäne begeben. "Ich habe an jedem Arbeitstag Kontakt mit 90 Schülern und Lehrerkollegen. Mir ist das Risiko viel zu hoch, sie anzustecken." Ob ihr Verhalten angemessen ist, müsste das Gesundheitsamt entscheiden. Doch sie erreicht dort niemanden. "Ich fühle mich total alleine gelassen", sagt die Sportlehrerin. Sie fragt sich, wer nun für ihren Dienstausfall aufkommen wird. "Falls durch das Gesundheitsamt Quarantäne angeordnet wird, bezahlt der bayerische Staat. Aber das ist ja nicht passiert."

Tatsächlich: Wer derzeit versucht, beim Erlanger Gesundheitsamt jemanden zu erreichen, erhält nur eine Bandansage. Acht mögliche Anliegen (". . . dann wählen Sie bitte die 1") schlägt die freundliche Männerstimme vor, keines enthält einen Tipp, wohin sich Kontaktpersonen von Corona-Infizierten wenden sollen. Wer es Freitag nach 12 Uhr oder am Wochenende telefonisch probiert, "ruft außerhalb der Geschäftszeiten an", so die Stimme, und gelangt dann nicht mal zu den Wahlmöglichkeiten. "Es ist bodenlos. Da muss sich doch niemand mehr wundern, wenn jemand die Pandemie nicht ernst nimmt", sagt die Mutter des Infizierten, eine 67-jährige Erlangerin. Auch sie hat sich testen lassen, mit negativem Ergebnis. Doch was ist mit Personen, die mit der aktuellen Situation überfordert sind und Beratung durch das Gesundheitsamt brauchen? "Leute, die sich nicht so auskennen und Angst haben, sind aufgeschmissen", so das Fazit der Erlangerin.

Leitung belegt

Beim Fürther, 31 Jahre alt, ebenfalls negativ getestet, ist es ähnlich. Er hat zwar am Montag im für ihn zuständigen Gesundheitsamt jemanden erreicht, aber nicht das Team, das für die Rückverfolgung von Corona-Fällen zuständig ist. "Es hieß, dass ich noch angerufen werde. Das Team rufe nur an, sei aber selbst nicht erreichbar", sagt der Fürther. Am Donnerstag wollte er erneut aktiv nachfragen – doch diesmal schaffte er es nicht mal in die Warteschleife. "Es kam nur noch das Zeichen, dass die Leitung belegt ist."

Das Gesundheitsamt Fürth hat auf eine Anfrage der Erlanger Nachrichten, versendet am Donnerstagnachmittag, bis Redaktionsschluss am Freitag nicht reagiert. Für das Erlanger Gesundheitsamt bittet Stefanie Mack, Pressesprecherin des Landkreises Erlangen-Höchstadt, um die Herausgabe der Namen der Kontaktpersonen, was nach Rücksprache mit den Kontaktpersonen erfolgt. Dann schreibt Mack in einer Mail: "Die kursorische Sichtung unserer Datenbank hat aktuell noch keine Nachvollziehbarkeit ergeben. Gerne können Sie für uns die Daten bei den Forchheimer Kollegen anfragen." Mit anderen Worten: Im Gesundheitsamt Erlangen weiß man scheinbar gar nicht, dass man die genannten Kontaktpersonen anrufen soll.