Der Situation etwas Gutes abgewinnen

13.9.2020, 11:00 Uhr
Der Situation etwas Gutes abgewinnen

© NN-Archiv

Ein neues Jahr beginnt doch am 1. Januar, oder nicht? Nicht unbedingt! Für Christen beginnt ein neues Kirchenjahr am 1. Advent und für uns alle beginnt am Geburtstag ein neues Lebensjahr. Auch der Schulanfang markiert für viele einen neuen Anfang im Jahr. Diese verschiedenen Neuanfänge sind in der Regel mit positiver Energie aufgeladen und bringen neuen Schwung mit sich.

In dieser Woche hat in Bayern ein neues Schuljahr begonnen. Der 1. Schultag ist und bleibt ein ganz besonderer Tag in unserem Leben. Die Einschulungsgottesdienste mag ich persönlich sehr. Wenn die Erstklässler vor mir stehen, um gesegnet zu werden, dann ist das für mich ein wunderbarer Moment. Aus ihren großen Kinderaugen strahlt eine freudige Neugier, Aufregung, Erwartung . . . einfach klasse!

Gelbe Banner vor den Schulen in Erlangen Stadt und Land weisen Autofahrer darauf hin, dass die Schule angefangen hat, verbunden mit der Bitte: "Tempo runter!" Es ist doch selbstverständlich, dass wir für die Kids den Fuß vom Gas nehmen.

In diesem Jahr allerdings hat das "Tempo runter" noch eine andere Dimension. Wegen Corona ist das neue Schuljahr irgendwie doch ein Neustart mit angezogener Handbremse.

Entschleunigung

Wir hätten es uns wohl alle anders gewünscht: mit voller Kraft voraus, los geht’s mit neuem Elan und Schwung . . . Schon viel zu lang bremst uns dieses Virus aus.

Der Situation etwas Gutes abgewinnen

© Foto: privat

Ein Begriff der am Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam heißt Entschleunigung. Die Entschleunigung, sie ist wichtig für unsere "Work-Live-Balance" und z.B. für ein umweltbewussteres Wirtschaften. Entschleunigung sieht den Vorteil der Langsamkeit gegenüber dem Stress im Hamsterrad.

Wenn Sie mit dem Auto durch eine Landschaft fahren, nehmen Sie viel weniger wahr, als wenn Sie die selbe Gegend zu Fuß durchwandern. Und das heißt übertragen auf unser Leben in Zeiten von Corona folgendes: Durch die coronabedingte Langsamkeit haben wir vieles um uns herum nochmal anders wahrnehmen können. Manche Kleinigkeit, die wir vorher nicht bemerkt haben, hat uns erfreut in unmittelbarer Umgebung. Vielleicht waren es landschaftliche Entdeckungen ganz in der Nähe, vielleicht waren es auch Erfahrungen in der Familie. Viele Eltern haben mir erzählt, dass sie bisher gut durch die Krise gekommen sind: sie hatten mehr Zeit mit- und füreinander, haben gemeinsam gespielt und oft miteinander gegessen.

Damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen; ich bin kein "Fan" dieser Pandemie, die uns seit sechs Monaten ausbremst. Aber ich möchte akzeptieren, dass es ist, wie es ist und versuchen, dieser Situation auch etwas Gutes und Neues abzugewinnen.

Passend dazu finde ich ein Bibelzitat von Jesaja, das gut in unsere heutige Zeit hineinpasst, obwohl es mehr als 2500 Jahre alt ist. Es heißt: "Gott spricht: Seht, ich mache etwas Neues, merkt ihr es nicht?" (nach Jes 43,19). Das Volk Israel ist im Exil, fern der Heimat, die Situation ausweglos und echt beschissen. Die Menschen lassen den Kopf hängen und trauen ihren Ohren nicht, was der Prophet ihnen da zumutet. Die meisten Israeliten träumen davon, zurück in ihre alte Heimat zu kommen und weiterzumachen wie zuvor.

Aber das Neue im Leben des Volkes Israel war nicht ihre Rückkehr in ihr altes Leben. Daran wäre ja auch nichts Neues gewesen. Das Neue in ihrem Leben war vielmehr ein Neu-Erwachen der Lebenslust im ungeliebten Exil. Die Menschen entdeckten neues Leben in dem Leben, das sie sich nicht ausgesucht hatten.

Es entsteht etwas Neues – merkt ihr es nicht? Vielleicht lohnt es sich, dieser Spur nachzugehen.

Ihr Matthias Bankmann

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