Dormitz: Eindrucksvoller Spaziergang im „Judendorf“

1.7.2014, 17:51 Uhr
Dormitz: Eindrucksvoller Spaziergang im „Judendorf“

© Udo Güldner

Viel gibt es nicht mehr zu sehen. Rolf Kießling muss auf die Fantasie seiner Zuhörer vertrauen. Wenn er von Gebäuden spricht, die nicht mehr stehen, und von Menschen, die nicht mehr leben. Dabei war die jüdische Gemeinde einmal ganz beachtlich. Etwa 1824, als von 475 Einwohnern rund ein Viertel mosaischen Glaubens waren (110). Nicht ohne Grund wird Dormitz in der Forschung als „Judendorf“ deklariert, womit ein besonders hoher Bevölkerungsanteil unterstrichen wird. In Hagenbach (heute Pretzfeld) waren es sogar mehr Juden als Christen.

„Das änderte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit einer regelrechten Auswanderungswelle nach Nordamerika“, sagt Kießling. Die jüdische Gemeinde schrumpfte unaufhaltsam, auch weil 1875 der Paragraf des Judenediktes aufgehoben wurde, nach dem Nachkommen nur am Ort ihrer Vorfahren wohnen durften. „Eine Landflucht in die Industriezentren Erlangen, Fürth und Nürnberg setzte ein.“ Bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht einmal mehr die zehn erwachsenen Männer (Minjan) vorhanden waren, um einen Gottesdienst zu halten. Die Auflösung und der Verkauf der Synagoge folgten.

Wichtiger Schutz

Dass sich in dem kleinen Ort an der Grenze der Konfessionen und damit auch der Herrschaftsbereiche der Landesherren schon früh Juden niedergelassen haben, steht außer Zweifel. Nur nachweisen lässt es sich schriftlich erst ab 1603. Im Ort hatten der Bamberger Fürstbischof, der Markgraf von Ansbach und Bayreuth, sowie die Reichsritter von Egloffstein Grundbesitz, richterliche Hoheit und Einfluss. „Das war für die Juden wichtig, weil es größere Chancen auf einen Schutzbrief gab“, schildert der pensionierte Gymnasiallehrer aus Forchheim. Eine Art Geld gegen Schutz vor Übergriffen, die den Mächtigen „einiges an Kleingeld in die Kasse gespült haben dürfte“. Nur die Reichsstadt Nürnberg, die seit 1499 alle ihre Juden aus ihrem Gebiet vertrieben hatte, weigerte sich, in Dormitz Schutzbriefe auszustellen.

Mit Vieh- und Textilhandel hielten sich die meisten jüdischen Familien wirtschaftlich über Wasser, die meisten als kleine Schnittwarenhändler, die von Haus zu Haus zogen.

Als 1813 das von Napoleon zum Königreich heraufgestufte Bayern ein Judenedikt erließ, da bekamen alle Juden, auch die in Dormitz, von Amts wegen neue, verwaltungsfreundlichere Namen. Nicht mehr die traditionellen Patronyme wie Johndorf ben Mosche (Sohn des Mosche), die Kinder nach ihren Väter benannt hatten. Mit einem Schlag tauchte danach oft der Familienname „Dormitzer“ auf. Einer davon wohnte als „Klein-Dormitzer“ auf einem Anwesen (Kirchenstraße 1-3), das heute teils verfallen ist. Einen jüdischen Friedhof sucht man vergebens. „Es gab einen Bestattungsverband mit Bruck, Kunreuth und Baiersdorf, wo die Dormitzer auch begraben liegen“, weiß Kießling.

Synagoge abgerissen

Die letzten Dormitzer Juden, zwei hochbetagte ledige Frauen, Jette und Karoline Priester, wurden im Holocaust 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort umgebracht. Vom Hof Ingo Hommels (Hauptstraße 16) lässt sich ein Blick auf das zugewucherte Nachbargrundstück erhaschen. Dort stand bis zum umstrittenen Abbruch 2002 als unscheinbares Hinterhaus die kleine Synagoge, die von außen eher einem fränkischen Bauernhaus glich. Ihr Verschwinden scheint symptomatisch, denn lange bevor die Mauern fielen, war sie dem Gedächtnis entschwunden. Im Inneren war das im 18. Jahrhundert geplante Gotteshaus reicht verziert.

Nur ein einziges Bauwerk aus der jüdischen Vergangenheit hat bis heute überdauert. Von der Hauptstraße aus ist das kleine Gebäude, vom Efeu fest umklammert, zu sehen. Eine Mikwe (Ritualbad), die die Gläubigen besuchten, bevor sie die Synagoge betraten. Für Besucher ist das 1829 umgebaute Überbleibsel allerdings verschlossen.

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