Kreistag-Entscheidung

ERH: Kostspielige Luftreiniger für Landkreis-Schulen

21.7.2021, 05:50 Uhr
In Hessen gibt es sie schon an den Schulen, im Landkreis ERH sollen sie bis zum Schuljahresbeginn im Herbst angeschafft werden: Mobile Luftreiniger, die den Landkreis bis zu 2,3 Millionen Euro kosten könnten.

© Arne Dedert In Hessen gibt es sie schon an den Schulen, im Landkreis ERH sollen sie bis zum Schuljahresbeginn im Herbst angeschafft werden: Mobile Luftreiniger, die den Landkreis bis zu 2,3 Millionen Euro kosten könnten.

Landrat Alexander Tritthart votierte für die Investition - weil das Kinderwohl über alles gehe und weil er sich und den Kreistag eines Tages nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen will, nicht alles für das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Kreis getan zu haben.

Finanzieller Klimmzug

Andererseits ist das, was mit den Luftreinigungsgeräten auf den Kreishaushalt ERH zukommt, ein finanzieller Klimmzug - ohne Erfolgsgarantie. Zur Debatte stehen zwischen 1,8 und 2,3 Millionen Euro, will man alle infrage kommenden Klassenzimmer mit den Luftreinigungsgeräten ausstatten.

"Regelmäßiges Lüften sollte reichen"

Herzogenaurachs Bürgermeister German Hacker, selbst im "wirklichen Leben" Lehrer, vertrat zu Beginn der Diskussion in der aus Pandemiegründen als Ausweichtagungsort genutzten Aischtalhalle in Adelsdorf die Meinung, regelmäßiges Lüften würde einen ähnlichen Effekt haben, ohne den "verheerend hohen Energiebedarf" und den ebenso verheerenden Verbrauch an Betriebsmitteln für die Geräte mit sich zu bringen.

Keine Lüftungen

Diese sind, das wurde klargestellt, keine Lüftungen, sondern sollen mit elektrochemischen Prozessen Viren aus der Luft filtern. Laut Alexander Tritthart ist mit jährlichen Betriebskosten von rund 189.000 Euro für die Geräte zu rechnen.

In sachliche Bahnen

Landtagsabgeordneter Walter Nussel (CSU) versuchte, die Debatte in sachliche Bahnen zu lenken: Die Frage sei doch, unter welchen Voraussetzungen es möglich sei, das Leben für Schüler, Lehrer und Eltern wieder in normalere Bahnen zu lenken und im Herbst, wenn die Infektionszahlen erfahrungsgemäß wieder steigen, die erzwungene Rückkehr ins Homeoffice zu verhindern. "Ich plädiere für die Anschaffung der Reinigungsgeräte, weil ich den menschlichen Faktor sehe", betonte Nussel.

Psychische Belastung vermeiden

Die psychische Belastung durch den Fernunterricht und den damit verbundenen Wegfall sozialer Kontakte zu Gleichaltrigen dürfe nicht unterschätzt werden. "Ich habe in meinen beiden Büros solche Luftreiniger stehen - meine Gäste sind beruhigt, wenn sie die Geräte sehen", plaudert Nussel aus der Praxis.

Wirksamkeit noch nicht belegt

Die Skeptiker gaben zu bedenken, dass die Wirksamkeit der Luftreiniger bis dato nicht in Feldversuchen oder ähnlich aussagekräftigen Experimenten bewiesen wurde. Im schlimmsten anzunehmenden Fall würde der Landkreis also viel Geld für Maschinen ausgeben, die nicht in gewünschter Weise funktionieren. Klar ist, dass der Freistaat Bayern die Anschaffung der Geräte befürwortet und empfiehlt, weniger klar erscheint, wer am Ende tatsächlich dafür zahlen muss. "Wenn das eine Infektionsschutz-Maßnahme im Sinne des Gesetzes ist, dann stünde eigentlich der Bund in der Pflicht", gab Alexander Tritthart zu bedenken.

540 mobile CO2-Sensoren

Auf Grundlage des ersten Bundes-Förderprogramms hatte der Landkreis schon vor einiger Zeit 540 mobile CO2-Sensoren und 13 mobile Luftreinigungsgeräte mit Filterfunktion angeschafft wurden. "Die Gesamtkosten von zirka 62.000 Euro für mobile CO2-Sensoren und rund 20.000 Euro für mobile Luftreinigungsgeräte wurden fast vollständig gefördert", so das Fazit des zuständigen Sachgebiets "Finanzen und Schulen" der Landkreisverwaltung.

Nicht aus der Portokasse

Übertrage der Bund die Finanzlast für die "politisch gewünschte" Maßnahme dagegen an die Kommunen, dann kann der Landkreis den Kaufpreis nicht aus der Portokasse stemmen: In diesem Fall würden die benötigten Gelder im laufenden Haushaltsjahr aus den Mitteln für den Straßenbau abgezweigt. Diese müssten allerdings in den nächsten Haushalt wieder eingestellt werden, um keine Kernaufgabe des Landkreises zu vernachlässigen. "Da bliebe uns nichts anderes übrig als eine erhöhte Entnahme aus der allgemeinen Rücklage", so Tritthart ernst.

Alle 20 Minuten lüften?

Zu dem Vorschlag, statt des Einsatzes der Luftreiniger im Unterricht alle 20 Minuten zu lüften, meldeten im Schuldienst aktive Kreisrätinnen und Kreisräte wie Lydia Göbel (Bündnis 90/Grüne) oder Alexander Schulz (Chef des CSU-Ortsverbands Höchstadt) Zweifel an, ob sich dies im regulären Schulalltag umsetzen lässt. "Mit den Großen geht das, die schauen selbst auf die Uhr - aber bei den Kleineren wird es schwierig", meinte Göbel. Zudem würden sich irgendwann die Temperatur von Raum- und Außenluft einander angleichen - und dann fände der gewünschte Austausch nicht mehr im nötigen Maße statt.

Delta-Variante auf dem Vormarsch

Zusätzliche Bedeutung gewinnen die Vorsichtsmaßnahmen gegen Corona-Infektionen in der Schule durch den Umstand, dass längst nicht alle Schülerinnen und Schüler geimpft werden können. Und dass die Pandemie offenbar noch lange nicht vorüber ist: Aktuell steigen die Inzidenzen in Bayern und bundesweit wieder deutlich an, die stärker ansteckende Delta-Variante ist auf dem Vormarsch. Selbst bei einer höheren Impfquote - aktuell sind im Freistaat 57,6 Prozent der Bewohner mindestens erstmals geimpft, 43,9 Prozent haben bereits ihre Zweitimpfung - ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass Schulkinder sich nach den Sommerferien ohne zusätzliche Vorkehrungen im Unterricht anstecken.

Kontroverse Diskussion

Die kontroverse Diskussion spiegelte sich am Ende auch im Abstimmungsergebnis wider: Mit 24 zu 20 Stimmen beschloss der Kreistag Erlangen-Höchstadt, für alle Klassen- und Fachunterrichtsräume, die nicht schon mit raumlufttechnischen Anlagen ausgestattet sind, mobile Luftreinigungsgeräte anzuschaffen. Ob dies in der gewünschten Menge überhaupt bis zum Schuljahresbeginn im September machbar ist, bleibt ebenfalls fraglich.

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