Erinnerungen an den Himbeerpalast der Siemens AG
Das Gebäude wird in den kommenden Jahren vom Freistaat für die FAU umgebaut - 21.12.2020 15:30 Uhr
Historisches Bild vom Himbeerpalast und Hochhaus 1962.
10.05.2019 © Siemens Historical Institute
Auch wenn Oliver Hartmann von Siemens Global Business Services sich auf den nigelnagelneuen Siemens Campus freut, so schwingt doch etwas Wehmut beim Gedanken an seinen alten Arbeitsplatz im alten Verwaltungsgebäude an der Werner-von-Siemens-Straße mit: "Ich habe den Himbeerpalast geliebt." Zwölf Jahre lang führte Hartmanns Arbeitsweg in das denkmalgeschützte Gebäude. Besonders begeistert "hat mich die Atmosphäre insbesondere in den weitläufigen, lichtdurchfluteten Treppenhäusern", sagt Hartmann weiter.
Es sind drei Ereignisse in der Historie, die Erlangen einen Entwicklungsschub gegeben und auf Dauer charakterisiert haben: die Ansiedlung der Hugenotten ab 1686, die Gründung der Universität im Jahr 1743 und die Übersiedlung der Hauptverwaltung der Siemens-Schuckertwerke (SSW) aus Berlin in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
1946 gab es 200 Beschäftigte
Wenn auch die Gründung der Erlanger Neustadt und der Universität bis heute von großer politischer und kulturgeschichtlicher Bedeutung für Erlangen und das Umland sind, so trägt zur Prägung von Stadt und Region, zu deren wirtschaftlicher Entwicklung und zu deren Wohlstand kaum ein Faktor so sehr bei wie die Ansiedlung der SSW.
Am Himbeerpalast wird ein FAU-Transparent angebracht, um den Übergang von Siemens auf die Friedrich-Alexander-Universität zu signalisieren.
16.12.2020 © Hans von Draminski
Dass das Engagement von Siemens in Erlangen einmal diese Größenordnung annehmen würde, konnte niemand voraussehen als im Juni 1945 zwei Mitarbeiter der Siemens-Schuckertwerke aus Berlin als Voraustrupp in Erlangen eintrafen. Wenige Tage später kamen 20 Firmenangehörige mit den ersten Arbeitsunterlagen in der Stadt an; Anfang 1946 zählte die Belegschaft bereits 200 Beschäftigte.
Dieser Entwicklung ging kurz vor Kriegsende die Überlegung der Berliner Unternehmensleitung voraus, angesichts der unsicheren politischen und militärischen Lage die zentralen Abteilungen der beiden Stammhäuser aus Berlin in den Westen auszulagern.
Zunächst sympathisierte man mit dem traditionsreichen SSW-Standort Nürnberg, verwarf diese Überlegung aber angesichts der verheerenden Kriegszerstörungen der Stadt sehr schnell wieder. Ideale Voraussetzungen bot hingegen das nahegelegene Erlangen, das den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört überstanden hatte.
Verkehrsgünstige Lage
Die Stadt liegt verkehrsgünstig zu den nordbayerischen Siemens-Werken in Neustadt/Saale, Neustadt/Coburg, Rodach, Redwitz und Nürnberg. Darüber hinaus befinden sich die Wurzeln der SSW nicht weit entfernt von Erlangen: 1903 hatte Siemens die Nürnberger Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vormals Schuckert & Co. (EAG) in Nürnberg – nach Siemens und der AEG das drittgrößte Unternehmen der Elektroindustrie – übernommen und unter Einbringung der starkstromtechnischen Aktivitäten von Siemens & Halske (S&H) die Siemens-Schuckertwerke gegründet.
Kaum in Erlangen angekommen, dachte das Unternehmen allerdings schon wieder an einen Weggang. Grund: Im Laufe des Jahres 1947 wurden einige privat an SSW vermietete Räume gekündigt und die Unterbringungsmöglichkeiten für die wachsende Zahl von Mitarbeitern und deren Familien entwickelte sich zunehmend problematisch.
Die Stadtverwaltung hingegen wollte Siemens jedoch auf jeden Fall halten. So wies Oberbürgermeister Michael Poeschke im März 1947 den Stadtrat auf die Möglichkeit zur Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze hin: ". . . und deshalb tun wir alles, um diese Betriebe hier anzusiedeln und wenn seine hiesigen Abteilungen zur Entfaltung kommen, werden dort 2000 bis 3000 Arbeitskräfte eine lohnende Beschäftigung finden".
Die endgültige Entscheidung zugunsten Erlangen fiel schließlich, als die Stadt ein 12 000 Quadratmeter umfassendes Gelände für den Bau eines repräsentativen Verwaltungsgebäudes an der Sieboldstraße zur Verfügung stellte. 1948, noch vor der Währungsreform, wurde "unter stärkster Anteilnahme der Öffentlichkeit" mit dem Neubau des Stammhauses begonnen. Das Projekt galt bald als "Süddeutschlands größte Baustelle" und entstand bis 1953 nach Plänen des Siemens-Architekten Hans Hertlein im Berliner Siemensstadt-Stil in mehreren Bauabschnitten.
1953 bezugsfertig
Als das im Volksmund bald "Himbeerpalast" oder auch "Himbeerschlösschen" genannte Gebäude zum 50-jährigen Jubiläum der SSW im April 1953 für rund 3500 Arbeitsplätze bezugsfertig war, markierte dies den Abschluss einer Zeit des Provisoriums. Hinfort stand es als äußeres Zeichen eines dauerhaften Aufenthalts von Siemens in Erlangen.
Für den Bau des Himbeerpalasts wurde sogar ein Haus auf Schienen verschoben.
20.12.2020 © Siemens AG
S&H blieb hingegen nur für eine kurze Übergangszeit mit Teilen der Produktion in Erlangen. Mit rund 140 Beschäftigten nahm das "Wernerwerk Erlangen" im September 1945 in Gebäuden der Siemens-Reinigerwerke, die vorübergehend zur Verfügung gestellt werden, den Betrieb auf. Da sich jedoch keine eigenen geeigneten Betriebsflächen in Erlangen fanden, verlagerte man zwischen 1947 und 1953 die Abteilungen des Wernerwerks schrittweise nach Heidenheim, Karlsruhe und München.
Der Aufbauphase in der ersten Nachkriegszeit folgte eine Zeit des beispiellosen geschäftlichen Aufschwungs: Die Mitarbeiter-Zahlen steigen von 630 im September 1947 auf 2800 im September 1950, auf 6300 im September 1955 und auf 8400 im September 1960. Als 1966 die Siemens AG gegründet wird, arbeiten bereits über 10 000 Beschäftigte bei Siemens in Erlangen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentiert süffisant, dass Erlangen die "Stadt mit den meisten Berlinern außerhalb Berlins" sei.
Auswirkungen aufs Stadtbild
Auch mit seinen Büro- und Fertigungsbauten trägt Siemens zur Veränderung des Stadtbildes in durchaus großstädtischen Dimensionen bei. Von 1959 bis 1965 wird im Süden Erlangens Europas größtes privatwirtschaftliches Zentrum für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Energietechnik errichtet. 1962 macht Siemens Schlagzeilen, als das mit 60 Metern höchste Bürohaus Bayerns gebaut wird.
Das Siemens-Engagement in Erlangen wirkt sich nicht nur auf das Stadtbild aus, sondern es führt vor allem zu Veränderungen der wirtschaftlichen und sozialen Struktur. Innerhalb von zwei Jahrzehnten verdoppelt sich die Einwohnerzahl von 34 000 im Jahr 1939 auf 70 000 im Jahr 1961. 1974 wird Erlangen schließlich mit 100 000 Einwohnern Großstadt.
In der ganzen Zeit ist der Himbeerpalast der Fels in der Brandung, der alle Hochs und Tiefs des Konzerns übersteht. Gleichzeitig ist er ein Symbol für Siemens in Erlangen und wird es immer bleiben, auch wenn in den nächsten Jahren die Philosophische Fakutlät der FAU in das ehemalige Verwaltungsgebäude ziehen wird.
"Die Bauweise und Architektur des Verwaltungsgebäudes hat mich schon immer fasziniert. Man kann den Zeitgeist in vielen Ecken des Gebäudes spüren", sagt Sabina Wenzek, Locationmanagerin bei der Siemens AG. "Über die vielen Jahre meiner Arbeit sind mir neben den baulichen Themen auch die Nutzer ans Herz gewachsen, denen mit Rat und Tat geholfen werden musste, wenn es irgendwo klemmte. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Gebäude in den nächsten Jahren entwickeln wird und werde dies weiterhin verfolgen."
MARKUS HÖRATH

weitere Meldungen aus: Erlangen
Um selbst einen Kommentar abgeben oder empfehlen zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich zuvor registrieren