Erlangen: Einblicke in das Leben von Flüchtlingen

30.9.2015, 06:24 Uhr
Erlangen: Einblicke in das Leben von Flüchtlingen

© F.: De Geare

Freiwillige: Das ist das erste Wort, das Flüchtlinge in der Stadt auf Deutsch kennen. Das Ergebnis freut Professor Petra Bendel, die Geschäftsführerin des Zentralinstituts für Regionenforschung an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU), ganz besonders. Denn es zeigt, wie eng der Kontakt zwischen Ehrenamtlichen und Asylbewerbern in Notunterkünften, Gemeinschaftseinrichtungen und Wohngemeinschaften ist.

Auch die Dankbarkeit, die die Schutzsuchenden gegenüber ihren Helfern empfinden, werde in dem Begriff und den Antworten deutlich: „Die interviewten Flüchtlinge haben die unentgeltlichen Unterstützer gelobt“, erzählt die renommierte Politikwissenschaftlerin und ergänzt: „Jeder möchte sich bei ihnen für die geleistete Arbeit bedanken und ihnen dafür etwas zurückgeben.“

Rotarier finanzierten Studie

Immer wieder seien in den Gespräche positive Sätze insbesondere über die Mitstreiter der Ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuung in Erlangen (Efie) gefallen, aber auch über sonstige Bürger und Behörden. „Es gab vonseiten der Asylsuchenden keine einzige Negativ-Nennung“, berichtet die Professorin weiter. Sätze wie „Wir lieben diese Stadt: Die Leute sind freundlich und nett, die Stadt schön.“ (ukrainische Flüchtlingsschwestern 27 und 19 Jahre) oder „Schreiben Sie Danke Freiwillige, danke, Deutschland. Ich danke Gott jeden Tag, dass ich hier sein darf“ (ukrainischer Flüchtling, 35 Jahre) seien in den Befragungen immer wieder gefallen.

Die Folgerung, die Bendel und ihr Team aus den Äußerungen ziehen, klingt so: „Entgegen dem Bild, das derzeit oft in der Öffentlichkeit kursiert, sind die von uns befragten Flüchtlinge ausgesprochen dankbar, sich sicher und versorgt zu wissen.“

Rund 50 Flüchtlinge hat die Erlanger Expertin mit vier Studierenden für die vom Rotary Club Erlangen-Schloss finanzierte Pilotstudie befragt. Einsatz und Aufwand waren für die bundesweit bislang einzigartige Erhebung, bei der dezidiert Flüchtlinge auf ihre Bedürfnisse angesprochen worden waren, enorm: Auf mehrsprachigen Flyern stellten die Interviewer den Flüchtlingen ihr Anliegen vor. Um Kontakt zu den Bewohnern in den Unterkünften herzustellen, setzten sich Bendel und ihre Studenten mit den Flüchtlingen an den Mittagstisch. Die „Eisbrecher“-Methode (Bendel) hat funktioniert: „Die Bereitschaft, mit uns und einem Dolmetscher einen Termin auszumachen, war groß.“

Weit mehr als 60 Fragen aus den verschiedensten Bereichen (wie Unterbringung, Arbeit oder Gesundheitsversorgung) haben Bendel und ihr Team in rund einstündigen Gesprächen den Flüchtlingen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern (Ukraine, Syrien, Äthiopien) gestellt. Um einen möglichst umfassenden Einblick in deren Lebenslage zu erhalten, haben die Interviewer aber auch dutzende Menschen befragt, die mit Asylsuchenden in Erlangen unmittelbar zu tun haben: Leiter und Mitarbeiter aus verschiedenen städtischen Behörden, Schulen, Wohlfahrtsverbänden und Freiwilligenorganisationen wie Efie.

Noch werden die Antworten systematisch ausgewertet. Die Verfasser stellen die Ergebnisse mitsamt ihren Handlungsempfehlungen in den nächsten Monaten bei verschiedenen Veranstaltungen vor, so unter anderem am 8. Oktober in Nürnberg sowie am 23. Januar 2016 in Erlangen.

Aber schon jetzt lassen sich die wichtigsten Linien aus dem Stimmungsbarometer ableiten, sagt Bendel, die die ersten Forschungsergebnisse vorab exklusiv im Gespräch mit unserer Zeitung vorstellt.

So werden in den Antworten verschiedene Defizite sichtbar. Die Mehrheit der Gesprächsteilnehmer sieht unter anderem noch Verbesserungsbedarf bei der medizinischen Betreuung. Der Grund: Es fehlt bei der Anamnese und Behandlung trotz der Mithilfe anderer Flüchtlinge sowie etlicher haupt- und ehrenamtlichen Dolmetschern an ausreichend geeigneten Übersetzern.

Auch die psychologische Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen reicht, so die Erhebung, noch nicht flächendeckend aus, ebenso wie das Angebot an Bildungs- und Deutschkursen, das viele der, wie Bendel sagt, „sehr heterogenen Gruppe vom Analphabeten bis zum Hochschulabsolventen“ zudem für zu unübersichtlich halten. Die Unterbringung in Sammelunterkünften wird ebenso kritisiert wie eine noch mangelhafte Informationspolitik.

Migrationsforscherin Bendel will nicht nur Negatives aufzeigen, sondern auch Verbesserungsvorschläge an Erlangen und — so das langfristige Ziel — an andere Kommunen geben: So rufen die Autoren der Studie in ihrem Zwischenbericht zu einer verstärkten Förderung der Deutschkurse beispielsweise an der FAU auf und regen die Erstellung einer Plattform von bezahlten Dolmetschern an, die von Ärzten und Krankenhäusern abrufbar wären.

Online-Wegweiser empfohlen

Um die Flüchtlingsunterkünfte etwas privater zu gestalten, fordern Bendel und ihre Studierenden bauliche Veränderungen gerade in der Notunterkunft an der Rathenaustraße. Außerdem, um die Informationspraxis zu verbessern, einen Online-Wegweiser, womöglich auch als App, für alle Beteiligten, also für Mitarbeiter von Ämtern genauso wie für Asylbewerber und Ehrenamtliche. Dazu sei aber dringend ein Internetzugang in allen Flüchtlingsunterkünften nötig.

Diese Ideen will die Wissenschaftlerin in einem Anschlussprojekt als so genannte best practice Beispiele („beste Praktiken“) bündeln und modellhaft ausarbeiten.

In einem nächsten Schritt sollen die Ergebnisse auf weitere Kommunen und Bundesländer sowie das gesamte Bundesgebiet übertragen werden, um so bessere Strategien in der Flüchtlingspolitik auszuloten. „Wir wissen, dass das nicht von heute auf morgen geht“, sagt Bendel, „aber einen Anfang haben wir jetzt gemacht.“

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