Erlangen: Einblicke in den Profi-Musikeralltag

17.6.2015, 12:18 Uhr
Erlangen: Einblicke in den Profi-Musikeralltag

© Foto: Horst Linke

Es ist ein viel zitiertes Wort von Goethe über das Streichquartett, das dieser 1829 in einen Brief an Zelter formulierte: „Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten“. In der Konzertwerkstatt des Erlanger Musikinstituts war in einer morgendlichen öffentlichen Probe des Leipziger Gewandhaus Quartetts die Gelegenheit, diesen Gesprächen nicht nur musikalischer, sondern verbaler Art zu lauschen: Die vier Musiker Frank-Michael Erben, Conrad Suske, Olaf Hallmann, Jürnjakob Timm ließen sich hierbei in die Karten schauen, zeigten, was sonst hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Natürlich geht es dabei nicht mehr um Fundamentales, wenn am Abend ein großes Streichquartettkonzert gespielt. Es geht um Marginalien, um Klang- und Akustikrelationen speziell auf den jeweiligen Saal angepasst. Damit haben die vier Leipziger Musiker in Erlangen kein Problem, da sie bereits zum dritten Mal im Musikinstitut spielen. Der „Spiritus Rector“, Primarius Frank-Michael Erben, lobt die guten, angenehmen akustischen Verhältnisse und das aufmerksame Publikum der Konzertwerkstatt: „In China wird während des Konzerts teilweise telefoniert, nicht von uns, sondern vom Publikum!“, erzählt er.

Zum Einspielen wird dann mal eben der Scherzo-Satz aus Beethovens Quartett op. 18 Nr. 6 gespielt. Das Werk steht zwar nicht auf dem Programm, lockert aber Finger, ist nicht zu schwer.

Auch, wenn Frank-Michael Erben betont, dass es im Streichquartett basisdemokratisch zugehe, diskutiert und debattiert werde, so nimmt doch meist der lebhafte Primarius die Leitung der Probe in die Hand, gibt die Einsätze, unterbricht, erzählt in dieser öffentlichen Probe. Aber – und damit ist Goethes Zitat bestätigt – die anderen Mitglieder äußern ihre Meinung, ihre Einwände, geben ihre Inspirationen kund, diskutieren stilistische und geschmackliche Fragen, Klangfarben, Klangkorrelationen, Tempi, Dynamik, Strichlängen. . .

Natürlich geht es dabei nicht immer im Konsens: da gibt es Diskussionen, Streit: „Wir sind vier Individuen, die zusammen musizieren können, wollen, dürfen und manchmal müssen.“ Ein Streichquartett ist „eine extreme Lebensform“ schrieb einst ein Musikrezensent in der Zeit. Die vier Gewandhaus-Quartett-Musiker musizieren seit über 22 Jahren miteinander, mit dem „jüngsten“ dazu gekommenen Mitglied immerhin seit elf Jahren. Das ist eine lange Zeit, da lernt man sich eheähnlich kennen, ist aufeinander eingespielt.

Darüber hinaus sind alle vier Musiker die jeweils ersten Stimmführer, die Konzertmeister ihres Instruments im berühmten „Gewandhausorchester Leipzig“. Diese Tradition der speziellen Quartett-Formation mit der Verpflichtung im Orchester besteht ohne Unterbrechung seit 200 Jahren und ist weltweit einmalig.

Das Musizieren im Orchester ist naturgemäß weniger individuell geprägt: „Das Quartett ist ein Stück Autonomie“. Die vier Herren spielen im weiteren Verlauf der Probe immer wieder Sätze des Programms an, erläutern Werkgeschichte, historische Aufführungsgepflogenheiten: Haydns berühmtes „Lerchenquartett“, Mendelssohns f-Moll-Streichquartett (op. 80) und Schumanns A-Dur Streichquartett (op. 41, Nr. 3) erklingen so am späten Morgen, lassen in eine eigene Welt eintauchen.

Es geht bei dieser Probe — wie erwähnt — um Marginalien: Hier ein bißchen leiser, da die Viertelnote nicht zu lang, da ein deutlicheres Crescendo, dort die Strichlänge zwischen 2. Violine und Viola anpassen. Und ganz menschlich gibt es Konzentrationsschwächen: Da denkt Geiger Frank-Michael Erben schon an das bevorstehende Mittagessen im „Goldenen Hecht“.

Schwierig wird es auch, wenn eine neue Notenausgabe gewählt wird. Da müssen aus den alten Ausgaben alle handschriftlichen Eintragungen peinlich genau übertragen werden. Dennoch gibt es manchmal Unstimmigkeiten in den Taktangaben und es beginnt ein mühseliges Auszählen.

Alle vier Gewandhausquartett-Musiker spielen alte, italienische Instrumente: Das klingt bestens austariert im Zusammenklang, ergänzt sich quasi zu einem „Quartettinstrument“.

Die Leipziger stehen modernen Quartettkompositionen eher skeptisch gegenüber: „Der Aufwand ist oft groß und die Aussage des Werks dennoch kleiner als bei Beethoven oder Mendelssohn“. Vieles hat – so Erben - „zu wenig Substanz“, ist beliebig.

Und dann geht es nach einer Haydn-Zugabe zum ersehnten Mittagessen, denn so viel tiefgeistige Nahrung regt offensichtlich die Magensäfte an.

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