Erlangen: Fotos dokumentieren Weg in die Shoa

13.2.2020, 11:00 Uhr
Erlangen: Fotos dokumentieren Weg in die Shoa

© Stadtarchiv Erlangen

"Man kann zu diesem wichtigen Thema oft reden, was man will. Man kann oft schreiben; was man will. Aber nichts reicht an die Wirkung heran, die diese beiden Fotos entfalten. Diese beiden Bilder sind extrem anrührend." Andreas Jakob, Leiter des Stadtarchivs Erlangen, sitzt in seinem Büro und hat zwei Fotografien aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Händen, die vor kurzem in den Besitz des Archivs gelangten. Sie zeigen zwei Momente im Leben einer Erlanger Familie, die nur wenige Monate auseinander liegen. Diese dokumentieren das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.

Das erste Foto zeigt einen Kindergeburtstag am 2. Juli 1937 im Hause Bénesi an der Hauptstraße, dort wo damals noch das Nürnberger Tor stand. Auf den Auslöser drückte der stolze Vater Jakob Benesi, der in diesem Gebäude auch ein Fotoatelier betreibt. Am Tisch zwei kleine Jungs und drei Mädels. Geburtstagskind Hildegard mit ihren Geschwistern und zwei Gästen. Alle mit freudigen Gesichtern, alle mit großen Hoffnungen auf die Zukunft.

Das zweite Foto wurde vom nahezu identischen Standort aus von einem Presse-Fotografen aufgenommen. Deutlich zu erkennen das Sofa und die Stühle, auf denen knapp eineinhalb Jahre zuvor die fröhliche Kinderrunde saß. Das Bild entstand in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938. Ein Trupp SA-Leute stürmte in der Pogromnacht die Wohnung der Bénesis. Als Schatten huschen die uniformierten Nazi-Schläger durchs Bild. Einer hält vermutlich einen Schlagstock in der Hand. "Bilder zeigen oft mehr, als Worte beschreiben können", ergänzt Jakob. Denn diese Fotos dokumentieren den Weg in die Shoa. In den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 wurden die Jüdinnen und Juden – darunter auch der seit Jahren katholische Jakob Bénesi mit seiner Ehefrau und seinen katholisch getauften Kindern – von Polizei und SA geweckt, verhaftet und schließlich in den Hof des Erlanger Rathauses (Palais Stutterheim) gebracht, wo die meisten, etwa 42, stundenlang stehen mussten.

Erlangen: Fotos dokumentieren Weg in die Shoa

Lediglich kleineren Kindern, ihren Mütter sowie einigen kranken oder gebrechlichen Personen blieb diese Tortur erspart, da sie in Arrestzellen eingesperrt wurden. Während man die Juden im Rathaus festhielt, wo sie (wie Andreas Jakob im vor kurzem erschienenen Buch "Der Tag der Schande in Erlangen" dokumentiert) verschiedenen Schikanen und Demütigungen ausgesetzt waren – unter anderem konnten Schaulustige sie für zehn Pfennig besichtigen –, wurden ihre Wohnungen und Geschäfte von der SA durchsucht, geplündert und die Einrichtungen zerschlagen. Zudem wurde der Betsaal der jüdischen Kultusgemeinde geplündert.

Die Männer brachte man in einem öffentlich inszenierten "Demütigungsmarsch" ins Erlanger Amtsgerichtsgefängnis und dann in das Gefängnis nach Nürnberg, von wo einige erst kurz vor Weihnachten freikamen.

Auf Erich Simon Bénesi, damals sieben Jahre alt, seine Schwestern Hildegard, damals fünf, und Hannelore, damals drei, wartete 1943 dasselbe Schicksal wie auf ihre Eltern. Sie werden verschleppt und schließlich im KZ Auschwitz ermordet. Vor dem Haus an der Hauptstraße 2 erinnern heute Stolpersteine an die Erlanger Familie Bénesi und an die rund sechs Millionen Opfer des Nazi-Terrors.

Erlangen: Fotos dokumentieren Weg in die Shoa

Die Pogromnacht gilt heute als Auftakt der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Während des von den Nationalsozialisten geplanten Pogroms wurden 1400 Synagogen, Tausende von Wohnhäusern, Geschäften, Arztpraxen sowie Betriebe in Deutschland und Österreich zerstört. Über 20 000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslager deportiert. An den Pogromen beteiligten sich SA-Sturmtruppen, NSDAP-Anhänger und Angehörige der Hitlerjugend sowie anderer NS-Organisationen. Mehr als 1300 Menschen starben während oder an den Folgen der Pogromnacht.

Andreas Jakob, Leiter des Stadtarchivs Erlangen, veröffentlichte 2011 ein Buch über den Erlanger Pogrom vom 9. auf den 10. November 1938 und beschäftigt sich seitdem intensiv mit der weiteren Erforschung dieses Themas. Mit seinem im November 2019 erschienenen Gedenkbuch "Der Tag der Schande. Die Opfer des Pogroms gegen die Juden am 10. November 1938" stellt er seine neuesten Forschungserkenntnisse und einen sensationellen Bilderfund mit Seltenheitswert vor, der die Pogromnacht fotografisch dokumentiert. Denn heute existieren kaum noch Fotografien von der Pogromnacht in Deutschland.

 

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