Erlangen: Kämpferische Reden zum 1. Mai

1.5.2018, 20:00 Uhr
Erlangen: Kämpferische Reden zum 1. Mai

© Stefan Mößler-Rademacher

„Vielfalt, Gerechtigkeit, Solidarität“ war diesmal das Motto des 1. Mai. Wie wichtig diese drei Begriffe in der Arbeitswelt wirklich sind, machten alle Rednerinnen und Redner bei der Demo  in der Innenstadt und der Kundgebung auf dem Neustädter Kirchenplatz deutlich. Gemeinsamer Tenor: Der Wirtschaftsstandort floriert, doch immer mehr Beschäftigte  befürchten, abgehängt zu werden – und immer mehr sind es tatsächlich schon. Rechtspopulisten versuchten zunehmend, daraus Kapital zu schlagen, warnten mehrere Redner. 

Bereits in seiner Begrüßungsansprache beklagte der Erlanger DGB-Chef  Wolfgang Niclas die soziale Polarisierung, die inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht habe und „sie zu zerreißen droht“. Selbst in Großkonzernen sei niemand mehr vor Abstieg und Armut sicher.  Mitarbeiter der größten Arbeitgeber Erlangens konnten das nur bestätigten - am eindringlichsten Maria Chillon, eine von vielen Sprach- und Musikbeauftragten der Universität, die rundheraus zugab, sie und ihre Kollegen gehörten zu den „prekär Beschäftigten“. 20 bis 27 Euro pro Stunde, wo laut Berechnungen 100 Euro angemessen wären, und selbst das nur für die Zeit, in der sie tatsächlich unterrichten. „Aber Steuern und Abgaben fallen immer an“. Das sei ein Skandal, und den Schuldigen hat sie auch ausgemacht: „Der Neokapitalismus hat uns dazu verdammt, schlecht bezahlt zu werden“. 

Ähnlich, wenn auch nicht ganz so dramatisch, schilderte Verena Hofbauer die Situation an den Uni-Kliniken. Es fehlten an allen Ecken und Enden Pflege- und andere Fachkräfte. Nur ein Bruchteil dessen, was an neuen Mitarbeitern vor allem in der Pfege gebraucht werde, sei zugesagt. Die Beschäftigten müssten entsprechend mehr leisten, „das geht zu Lasten ihrer Gesundheit und der Qualität der Pflege“. Dringend nötig seien bessere Ausbildung und Bezahlung sowie ein intaktes soziales Umfeld. 

 Nur wenig Besseres war aus dem Siemens-Umfeld zu hören. Ulf Karnikowski machte auf den Widerspruch aufmerksam, dass der Konzern zwar im Erlanger Süden zügig den neuen Campus baue, gleichzeitig aber von Problemen zu hören sei. Weil davon aber nichts öffentlich werde, sei die Belegschaft verunsichert. 

Mehr Licht ins Dunkel brachte sein Kollege Christian Pfeiffer. Wenn es heiße, ein Geschäftszweig müsse Gewinn machen, „dann wird  outgesourced“. Im Bereich Mobility, wo Pfeiffer tätig ist, heißt das Fusion mit dem französischen Alstom-Konzern, „als könnten wir nicht ohne Alstom stark werden“. Eine halbe Milliarde Euro gebe Siemens für solche und ähnliche „Synergieeffekte“ aus. Dies und die Tatsache, das nicht mehr überall ausgebildet werde, sorge für große Unsicherheit. Pfeiffer forderte deshalb auch eine europäische Solidarität ein. 

Große Unsicherheit herrscht auch bei den Beschäftigten im Handel. Dort sei ein „gnadenloser  Konzentrationsprozess“ im Gang, schilderte Roland Hornauer, der Ortsvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Außerdem mache sich die Internet-Konkurrenz immer breiter, die vor allem einen Namen trage: Amazon. Verdi kämpfe darum, dass die Beschäftigten nach dem (höheren) Einzelhandels-Tarifvertrag bezahlt werden. Aber die Logistik-Unternehmen siedelten sich in strukturschwächeren Regionen an, dort, wo Gewerkschaften nicht so starkt seien. Hornauers Appell: „Deswegen brauchen wir eure Solidarität“.

Die forderte auch EN-Redakteurin Sharon Chaffin. Sie berichtete von einem Arbeitskampf, der sich, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, in den Zeitungsredaktionen abspiele: Seit einigen Wochen liefen die Tarifverhandlungen, selbst die fünfte Runde sei jetzt ohne Ergebnis abgebrochen worden, weil die Verleger, so die Betriebsrätin, „sich keinen Zentimeter oder besser: keinen Cent bewegen.“ Die Gewerkschaften forderten für die 13 000 Zeitungsredakteure 4,5 Prozent mehr Gehalt, die Arbeitgeber böten in zwei Schritten 1,5 und 1,7 Prozent mehr mit einer Laufzeit von 30 Monaten, was effektiv nur je 1,3 Prozent bedeute. „Damit werden wir erneut von einer Realerhöhung ausgeschlossen“, sagte Chaffin. Die Journalisten seien gerne bereit, die gewachsenen Aufgaben in Print und Online zu erledigen, aber dafür müssten sie angemessen bezahlt werden. 

Ein gemeinsames Problem hatten Vertreter der IG-Metall-Jugend schon auf der Demo angesprochen: Es werde auch und gerade immer schwerer, für Auszubildende und Menschen mit geringem Einkommen, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

 Den Faden nahm OB Florian Janik auf und erinnerte an eines seiner Lieblingsprojekte. Erlangen sei „nicht die Stadt der doppelverdienenden Akademiker“. Auch Polizisten, Beschäftigte der Kliniken und Müllwerker müssten hier wohnen können. Deshalb tue die Stadt viel für den Wohnungsbau, was allerdings umstritten sei. Deshalb dankte Janik ausdrücklich dem DGB dafür, dass er die Stadt hierbei unterstütze. 

Der Hauptredner der Erlanger Kundgebung, GEW-Vorstandsmitglied Daniel Merbitz, schlug einen großen Bogen über die erfolgreiche Geschichte der  Gewerkschaftsbewegung und des 1. Mai, um dann an Siemens die Frage nach der sozialpolitischen Verantwortung zu stellen. Die treffende Antwort fand er selbst: nämlich bei Firmengründer Werner von Siemens. Der sagte: „Mir würde das verdiente Geld wie glühendes Eisen in der Hand brennen, wenn ich treuen Gehülfen nicht den erwarteten Anteil gäbe“. Sein Wort in seiner Nachfolger Ohr. 

 

 

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