Erlangen: Spannende EInblicke zu Gezi-Park-Protesten

23.3.2015, 16:00 Uhr
Erlangen: Spannende EInblicke zu Gezi-Park-Protesten

© Reuters

Die Hamburgerin Sabine Adatepe, vormals in Istanbul mit einem Türken verheiratet und also intime Kennerin der Verhältnisse vor Ort, sieht in den Protesten – die sich ursprünglich „nur“ gegen das Verschwinden des beliebten Gezi-Parks im Stadtzentrum wandten – durchaus so etwas wie eine Zeitenwende in der Türkei. Und zwar deswegen, „weil es der erste Protest war, der sich von vorneherein als gewaltlos verstand“.

Die Turkologin, Germanistin, Übersetzerin und Bloggerin mit engen Beziehungen zur die türkischen Literaturszene, die gemeinsam mit dem ErBeþ-Vorsitzenden Michael Greißel die Proteste und ihre Folgen als Finissage der Ausstellung des türkisch-kurdischen Künstlers Halil Altindere im Kunstpalais noch einmal lebendig werden ließ, kann sich dabei an 21 Buchbeiträge von 19 türkischen Autorinnen und Autoren anlehnen, die sie als Herausgeberin zwischen zwei Buchdeckeln versammelt hat (Sabine Adatepe (Hg.): GEZi. Eine literarische Anthologie) und die ein ebenso authentisches wie erschütterndes Panorama der damaligen Ereignisse entfalten.

Besonders interessierten sich die beiden Gesprächspartner für das hohe Maß an „künstlerischem Gehalt“ bei den Protestformen. So sei es den Gezi-Aktivisten – unter denen sich auch zahlreiche bildende Künstler und Schriftsteller befanden – gelungen, jede Form staatlicher Diffamierung ihrer Ziele eine positive Wendung zu geben, die bösmeinende Botschaft einfach herumzudrehen. Eine Steilvorlage lieferte dafür der türkische Fernsehsender mit der größten Verbreitung, der statt einer Berichterstattung über die Gezi-Proteste eine Dokumentation über Pinguine ausstrahlte. Seitdem ist der Watschelvogel – meist als Pinguin mit Gasmaske und geballter Faust – Symbol des Widerstand.

Widerstand statt Protest

Und auch das unterscheidet den türkischen „Aufstand“ in Istanbul und vielen Städten vom oft ziemlich geordneten Protest im Westen: Das viel verwendete Substantiv „Diren“ heißt eben nicht „Protest“, sondern Widerstand – Direngezi also: Wir geben den Park nicht her!

Und die Künstler gaben sich auch nicht mit einer Beobachterposition zufrieden, sondern veranstalteten in der kleinen Zeltstadt der Widerständler im Gezi-Park eine Schreibwerkstatt und Lesungen, oder sie setzten die Gezi-Park-Themen in eine Ausdrucksform um. So auch der Istanbuler Maler Mustafa Pancar, der großformatige Gemälde mit archaischer Wucht entstehen lässt, in denen Menschen in verwüsteten Stadtlandschaften ständig auf der Flucht sind. Für Michael Greißel und Sabine Adatepe ist der Eingang der Gezi-Themen in die zeitgenössische Kunst auch ein Zeichen der Hoffnung, „dass dies alles nicht folgenlos bleibt“.

Danach sieht es allerdings derzeit nicht aus. Die Re-Islamisierungspolitik der regierenden AKP unter Staatspräsident Erdogan mache auch vor der Kultur nicht halt – ein von Erdogan geplanter staatlicher Kulturrat „riecht stark nach Zensur“, befürchtet Bürgermeisterin Elisabeth Preuß, die als ErBeþ-Vorstandsmitglied dem Gast aus Hamburg ein Geschenk überreichte. Für Sabine Adatepe ist vor allem der Umstand fatal, „dass völlig unklar ist, was Kunst in der Türkei heute darf“. Dass diese Kunst – oft sehr offensiv, nicht selten von Großkonzernen finanziert und ausgestellt – Mut verlangt und möglicherweise Strafverfolgung provoziert, davon werden sich interessierte Erlanger selbst ein Bild machen können: Im Herbst (12. bis 19. September) gibt es wieder eine „Bürgerreise zur Modernen Kunst“ in die Metropole am Bosporus.

Der Künstler Halil Altindere, der gerade im Kunstpalais einen großartigen Querschnitt seiner widerständigen Kunst zeigte, lädt dann in sein Atelier ein. Und wer da nicht dabei sein kann, für den gibt es demnächst einen Katalog zur Erlanger Ausstellung.

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