Erlangen: Unter jungen Afghanen geht die Angst um

5.3.2017, 15:00 Uhr
Erlangen: Unter jungen Afghanen geht die Angst um

© Horst Linke

Assadullah N. und Sadiq T. sind beide 18, beide Flüchtlinge, beide aus Afghanistan – und beide im schlimmsten Fall von Abschiebung bedroht. Noch hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht über ihren Asylantrag entschieden. Noch haben sie Hoffnung, dass sie nicht in das kriegszerstörte Land zurück müssen, das sie aus Angst um ihr Leben vor Jahren verlassen haben. Noch wünschen sie sich nichts mehr als ihren Weg in der neuen Heimat weiter gehen zu dürfen. Eingelebt haben sie sich schon gut.

Assadullah spricht bestes Deutsch, hat Freunde, lebt in Untermiete bei einer Familie in Spardorf und macht in Eckental seit einiger Zeit eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer. Nach der "Drei-plus-zwei-Regelung" dürfen Flüchtlinge, die sich in einer Lehre befinden, nicht abgeschoben werden. Doch eine Garantie ist das vor allem in Bayern nicht (siehe auch Interview links und Info-Kasten rechts).

Schon zwei Landsleute, erzählt Assadullah, seien trotz begonnener Ausbildung abgelehnt worden. "Die Polizei", sagt er, "steht um zwei Uhr morgens vor der Tür". Er habe Bekannte, die sich deswegen nachts nicht nach Hause trauten. Denn seit die Bundesregierung mit den Abschiebungen in das angeblich sichere Herkunftsland ernst macht, geht unter jungen Afghanen die Angst um.

Assadullah hat ebenfalls Angst — und zwar große. Neben dem ganz alltäglichen Chaos am Hindukusch erwartet ihn dort als Mitglied einer Minderheit vor allem Diskriminierung, Verfolgung und vielleicht sogar der Tod. "Wir Hazara gelten in Afghanistan als Ungläubige", erzählt er. Da die ethnische Gruppe seit langem unterdrückt werde, sei seine Familie vor Jahren in den Iran geflohen.

So hat Assadullah von seinem zweitem Lebensjahr bis zu seiner Flucht nach Deutschland in dem Nachbarstaat gelebt: "Ich kenne mich in Afghanistan nicht aus, niemand aus meiner Familie lebt dort." Überhaupt lebt bis auf einen jüngeren Bruder, der als Asylsuchender in Schwabach wohnt und einen Onkel im Iran, ohnehin niemand mehr von seiner Familie.

Auch auf Sadiq T. — der in einer Wohngruppe in Erlangen wohnt, dort die Berufsschule besucht und nebenbei ein Praktikum im Kindergarten macht —, würde bei einer Abschiebung nach Afghanistan nicht nur das "ganz normale" Anschlagsrisiko, sondern ein ganz besonders grausames Schicksal drohen: der Hass und die Gewalt der nach wie vor starken Taliban-Bewegung.

Mit ruhiger Stimme und nach den passenden deutschen Worten suchend, erzählt er von seinem getöteten Bruder. Sobald ein Junge 16 ist, sagt er, kommen die Taliban und wollen ihn holen und haben: als Kämpfer für den "Dschihad", den so genannten Heiligen Krieg. Das sei auch mit seinem älteren Bruder so gewesen, nur sei der nicht mitgegangen. Als "Strafe" deponierten die Taliban in der Nähe des Hauses eine Bombe, durch die Detonation verlor sein großer Bruder ein Bein.

Damit Sadiq nicht das Gleiche passiert, haben die Eltern, Bauern in einem kleinen Ort bei Kabul, alle Tiere verkauft, um ihm die Flucht nach Europa zu ermöglichen. Dennoch blieb die Familie nicht verschont von weiteren Attentaten: Sein Cousin, der an die afghanische Polizei Sachen verkaufte, wurde dafür geköpft — und das Haupt seinen Eltern gebracht.

"Fast jeder afghanische Flüchtling hat solche schrecklichen Erlebnisse gemacht", sagt die Psychologin Antje Pastors, die neben Assadullah N. und Sadiq T. weitere unbegleitete minderjährige und junge erwachsene Asylsuchende betreut. Über ihre Erfahrungen hat sie auch Landtagsabgeordnete in einem Schreiben informiert.

Etliche Flüchtlinge haben in Afghanistan oder auf der Flucht Verheerendes erlebt oder mitgekriegt. Viele haben beides durchgemacht — und bei allen, sagt Pastors, komme nun wieder etwas Schreckliches hinzu: die Furcht vor einer Abschiebung. Gerade jetzt, da sich Jugendliche wie Assadullah N. und Sadiq T. nach vielen Gesprächen und großem Einsatz freiwilliger Helfer langsam stabilisieren, sollen sie zurück in ihr Land, empört sich die Expertin. In diese Menschen sei von Stadt und Staat doch investiert worden. Das sei vielleicht jetzt alles umsonst gewesen.

Die ohnehin psychisch angeschlagenen jungen Männer verhielten sich seit Beginn der Abschiebungen unkonzentriert und demotiviert. Manche verletzten sich selbst. "Ein junger Mann hat zu mir gesagt: Wenn ich nach Afghanistan muss, bringe ich mich um", erzählt die Psychologin. Ein anderer sei akut suizidgefährdet und bekomme nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie noch Medikamente. "Aber selbst das", sagt Pastors, "ist für die Behörde kein Grund, die Abschiebung auszusetzen."

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