Erlangen: Wo bleibt die Migrantenquote?

20.7.2020, 06:00 Uhr
Da war die Welt noch in Ordnung: Bei der konstituierenden Sitzung des Stadtteilbeirats Innenstadt 2017 stimmte die Quote. Drei Jahre später scheint das nicht mehr so zu sein.

Da war die Welt noch in Ordnung: Bei der konstituierenden Sitzung des Stadtteilbeirats Innenstadt 2017 stimmte die Quote. Drei Jahre später scheint das nicht mehr so zu sein.

Der Unmut und die Sorge Lütfiye Yaver-Bozkurts sind aus so gut wie jeder Zeile zu lesen: Ihr Schreiben an die im Erlanger Stadtrat vertretenen Parteien bezüglich der Stadtteilbeiräte lässt es an Deutlichkeit nicht mangeln. 2016 wurden die Stadtteilbeiräte neu eingeführt. "Wir sahen dies auch als eine Chance einer besseren Vertretung der Stadtteile, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund leben", heißt es in Yaver-Bozkurts Schreiben.

Die Vorsitzende des Ausländer- und Integrationsbeirates musste damals schon feststellen, "dass dieser Ansatz von den im Stadtrat vertretenen Parteien nur äußerst spärlich bis überhaupt nicht wahrgenommen wurde, woraufhin wir alle Parteien 2016 schriftlich darauf aufmerksam gemacht haben, dass die Zusammensetzung der Stadtteilbeiräte in keinster Weise die Zusammensetzung der Stadtteile widerspiegelt", so Yaver-Bozkurt in ihrem Brief, der der Redaktion vorliegt.

Vier Jahre später scheint sich die Migrantenquote in den Stadtteilbeiräten noch einmal deutlich verringert zu haben: "Von den 54 durch die Parteien ernannten Stadtteilbeirätinnen und -räten haben unserer Kenntnis nach nicht einmal fünf Prozent einen Migrationshintergrund", klagt Yaver-Bozkurt und spart nicht mit Kritik: "Wenn sich die lokale Politik öffnen möchte und gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen will, müssen bei einem ernannten Beirat auch alle Menschen einer vielfältigen Stadtgesellschaft angesprochen und einbezogen werden. In diesem Fall sehen wir wenig Bemühungen und Motivation der Parteien, Menschen mit Migrationshintergrund die Chance zu geben, politisch aktiv zu werden und eines der sozialpolitischen Ziele, nämlich die Integration, weiter voranzutreiben."

"Nehme den Appell sehr ernst"

Der Bitte der Redaktion um Stellungnahme kamen Erlangens Kommunalpolitiker nach. OB Florian Janik (SPD) meint dazu: "Ich nehme den Appell des Ausländer- und Integrationsbeirats sehr ernst, denn Menschen mit Migrationshintergrund sollten in allen politischen Gremien gut vertreten sein. Die Stadtteilbeiräte werden von den Fraktionen und Gruppen im Stadtrat besetzt. Deshalb werde ich erneut das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen suchen und für die Position des AIB werben", so Janik.

Ähnlich die Position von Janiks Partei. "Die Kritik der AIB-Vorsitzenden Lütfiye Yaver-Bozkurt ist nachvollziehbar. Der SPD Erlangen ist es ein großes Anliegen, dass mehr Bürgerinnen und Bürger mit Zuwanderungsgeschichte in den politischen Vertretungsorganen präsent sind. Im Erlanger Stadtrat gibt es mit Eda Şimşek, Munib Agha und José Luis Ortega Lleras drei SPD-Stadträtinnen und -räte mit Zuwanderungsgeschichte. Weitere drei sind auf Nachrückerplätzen. Leider ist es uns nicht gelungen, daran bei der Besetzung der Stadtteilbeiräte anzuknüpfen. Wir werden auf den AIB zugehen und uns aktiv in die Debatte einbringen, wie eine stärkere Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ermöglicht werden kann", stellt SPD-Vorsitzender Dieter Rosner fest.

"Wenig Verständnis"

Weniger Verständnis zeigt die FDP: "Uns ist nicht ganz klar, woraus der AIB schließt, dass weniger als fünf Prozent der Stadtteilbeirätinnen und Stadtteilbeiräte einen Migrationshintergrund haben", erklären die Stadträte Lars Kittel und Holger Schulze in einer Mail. "Begeht der AIB hier womöglich eine gefährliche Art von Diskriminierung, nur weil man manchem Beirat seinen Migrationshintergrund nicht ansieht oder nicht aus seinem Namen zu schließen glaubt?", fragt Lars Kittel provokant.

Problem sei nicht zuletzt das mangelnde Interesse an Politik: "Wir würden gerne Personen mit Migrationshintergrund für derartige Positionen benennen, allein uns fehlen hierzu aktuell die Kandidaten", sagen Kittel und Schulze und fügen hinzu: "Wir laden jede und jeden ein, sich bei uns für Freiheit und Toleranz zu engagieren, gerne mit Perspektive auf einen Sitz in einem Orts- oder Stadtteilbeirat." Die Bedenken von Lütfiye Yaver-Bozkurt teilt die Grüne Liste im Stadtrat: "Die mangelnde Diversität ist tatsächlich ein ernstes Problem. Nur wenn es uns gelingt, die Stadtgesellschaft angemessen in den Beiräten zu repräsentieren, können wir von echter Teilhabe sprechen. Dabei müssen alle Fraktionen und Gruppierungen im Stadtrat – auch wir Grünen – ihre Anstrengungen massiv verstärken. Die gegenwärtige Situation kann und darf uns nicht zufriedenstellen", sagt Marcus Bazant, Vorsitzender der Grünen-Stadtratsfraktion.

"Den Eindruck bedauern wir"

Erlangen: Wo bleibt die Migrantenquote?

© Foto: privat

"Wir bedauern den Eindruck, die CSU Erlangen würde sich nicht um die politische Mitwirkung Erlanger Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund bemühen", meint CSU-Kreisvorsitzende Alexandra Wunderlich und ergänzt: " Grundsätzlich begrüßen wir es sehr, wenn sich Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den Beiräten engagieren und mitarbeiten wollen. Wichtig ist es, dass sie Interesse, Gestaltungswille und vor allem auch Zeit investieren wollen und können. Wir mussten in der neuen Legislaturperiode respektieren, dass zwei Mitglieder mit Migrationshintergrund, die für den OBR vorgeschlagen wurden, aus zeitlichen Gründen ablehnten. Für die CSU arbeiten in den Stadt- und Ortsbeiräten zurzeit fünf Beiräte mit Migrationshintergrund mit. Wir stimmen dem Ausländer- und Integrationsbeirat zu, dass die Gremienarbeit durchaus ein Türöffner für weiteres politisches Engagement sein kann – dies aber auch unabhängig von einem Migrationshintergrund."

3 Kommentare