Erlanger Rechts-Professor: "Die Tests müssten die Eltern zuhause machen"

12.4.2021, 06:00 Uhr
Erlanger Rechts-Professor:

© Foto: Imago/Alexander

Max-Emanuel Geis meldet sich zügig auf die Interview-Anfrage. Sehr gern, sagt er, äußere er sich zur Maßnahmen-Lage in der Pandemie. Ein Gespräch über demonstrierende Querdenker, Schnelltestpflicht an Schulen und die Frage, wann Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu weit gehen.

Herr Professor Geis, tragen Sie Mund-und-Nasenschutz und halten sich an die Abstandsgebote?

Max-Emanuel Geis: Natürlich.

Und wie ist es mit der Ausgangssperre?

Geis: Selbstverständlich halte ich mich auch an diese Maßnahme.

Schmerzen diese Einschränkungen einen Verfassungsexperten nicht noch viel mehr als einen gewöhnlichen Menschen?

Geis: Jeder Eingriff ins Grundgesetz wiegt schwer, keine Frage. Aber man muss die Verhältnismäßigkeit ja sehen, da wird auch vieles dramatisiert. Wie schwer wiegt denn das Maskentragen wirklich? Man darf doch nicht vergessen, dass wir in einer Pandemie leben derzeit. Da gibt es wesentlich gravierendere Eingriffe.

"Das ist unerträglich"

Es gibt Menschen, die empfinden schon das Maskentragen als Zumutung. Diese Menschen haben sich kürzlich erst in Stuttgart zu Tausenden zusammengetan und demonstriert – ohne Masken, ohne Abstand.

Geis: Das ist natürlich unerträglich. Hier halte ich das Vorgehen aus der Ferne, mit den Informationen, die ich über die Medien habe, von Stadt und Polizei auch nicht für angemessen. Hier hätte ich mir ein konsequenteres Vorgehen der Polizei gewünscht, die Veranstaltung aufzulösen. Oder, noch besser, die Landeshauptstadt Stuttgart hätte die Versammlung gar nicht erst genehmigen sollen.

Auch die Versammlungsfreiheit ist ja ein Grundrecht. Das ist so leicht einzuschränken?

Geis: Bei drohender Gefahr ist auch das Versammlungsrecht einschränkbar. Es gab ja ausreichend Vorkommnisse aus vorhergehenden, ähnlichen Versammlungen, aus denen man hätte schließen können, dass das schief gehen wird.

"Bei Verstößen sofort auflösen"

In der Regel scheitern diese Verbote dann an den Verwaltungsgerichten.

Geis: Das ist richtig, die Gerichte verlangen dann eine Durchführung unter Auflagen. Diese kann man dann aufstellen – und beim ersten klaren Verstoß gegen eine Auflage die Veranstaltung umgehend auflösen. Sie sehen: Es gibt also Möglichkeiten.

In Erlangen gibt es Menschen, die teils empfindliche Bußgelder erhielten, weil sie Abstand- oder Maskengebot teils ohne Vorsatz missachteten. Können Sie diese Menschen verstehen, wenn die nun mit dem Blick nach Stuttgart von Unverhältnismäßigkeit sprechen?

Geis: Ja und nein. Rein rechtlich gilt hier der Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht". Das bedeutet soviel wie: Warum werde ich bestraft, wenn der, der das Recht noch viel deutlicher gebrochen hat, nicht bestraft wird? Das ist aber widersprüchlich, weil dann ja ein erwischter Dieb sagen könnte: Warum werde ich bestraft, wenn es Morde gibt, die ungesühnt bleiben?

"Das lässt sich nicht vergleichen"

Es sendet aber trotz allem doch ein falsches Signal, wenn man in Stuttgart die Querdenker ohne Sanktion ihr Unwesen treiben lässt, in Erlangen aber mit Härte des Gesetzes Einzelpersonen bestraft?

Geis: Das ist der moralische Aspekt, da bin ich bei Ihnen. Aber es gibt noch weitere rechtliche Aspekte, die zeigen, dass sich beide Dinge nicht vergleichen lassen. Es geht um Ordnungswidrigkeiten – hier können die Behörden entscheiden, ob sie sie verfolgen oder nicht. Sie muss das nicht tun, etwa, wenn der Aufwand zu groß ist, die dienstlichen Kräfte nicht ausreichen oder an anderer, wichtigerer Stelle gebunden sind. Im speziellen Fall kommt hinzu, dass der Hoheitsträger unterschiedlich ist: In Erlangen verfolgt die Ordnungsbehörde der Stadt Erlangen die Ordnungswidrigkeiten, in Stuttgart die Landeshauptstadt eines anderen Bundeslandes, das im Kern zwar ähnliche Infektionsschutzmaßnahmen aufgestellt hat, diese sich aber doch hier und da unterscheiden. Das macht beide Fälle rechtlich gar nicht mehr vergleichbar – bei unterschiedlichen Hoheitsträgern ist der Gleichheitssatz nicht anwendbar.

Was kann die Stadt Erlangen dann aus den Vorkommnissen in Stuttgart lernen?

Geis: Dass es erst ungerecht wird, wenn etwa in Alterlangen Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, die in der Innenstadt keine Ahndung finden. In Sachen Versammlung vielleicht, dass es besser ist, im Vorfeld hochriskante Gefahrenlagen anders einzuschätzen und Demonstrationen wie in Stuttgart gar nicht erst zuzulassen – oder sie dann, wie besprochen, im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung rechtzeitig aufzulösen.

"Testpflicht in Schulen ist Unfug"

Noch ein anderes Thema, Herr Professor: Ganz aktuell geht es um verpflichtende Schnelltests in den Schulen. Es laufen bereits Klagen gegen dieses Vorhaben des Kultusministeriums. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Geis: Ich halte die Testpflicht in den Schulen praktisch für Unfug – weil ja Kinder unter Umständen mit dem Bus in die Schule fahren, dort im Klassenverbund sitzen, Kameraden treffen – und dann bei einem Test feststellen, dass sie positiv sind. Bis dahin haben die doch das Virus hundert Mal verbreitet. Die Tests müssten die Eltern zu Hause machen.

Rechtlich ist aber gegen die Schnelltestpflicht nichts einzuwenden?

Geis: Natürlich ist das eine Grundrechtseinschränkung – aber wir müssen doch die Kirche mal im Dorf lassen. Es geht hier, wie bei den Masken, um zumutbare Maßnahmen in einer Pandemie zum Gesundheitsschutz der Allgemeinheit.

Wann würden Ihnen die Maßnahmen zu weit gehen?

Geis: Bei den Besuchsverboten in Alten- und Pflegeheimen, die sind ein echtes Problem. Wenn man hier sieht, wie alte, kranke und pflegebedürftige Menschen völlig isoliert werden, was ihren psychischen wie physischen Verfall beschleunigt – das ist furchtbar und ein schwerer Eingriff ins Persönlichkeitsrecht. Mundschutz und Schnelltests sind das aber sicher nicht.

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