Staunende Passanten

Figurentheaterfestival erobert die Straßen von Erlangen

19.7.2021, 06:00 Uhr
Die Leiter-Performance der Elsässerin Sarah Chaudon und der Erlangerin Julika Meyer.

© Klaus-Dieter Schreiter, NN Die Leiter-Performance der Elsässerin Sarah Chaudon und der Erlangerin Julika Meyer.

Ältere Semester erinnern sich an das HB-Männchen, das mit einem Liegestuhl kämpft. Erinnerungen daran werden wach, wenn Sarah Chaudon im Blaumann mit einer dreiteiligen Aluminiumleiter unmögliche Dinge mit dem Gestell anstellt. Erst lehnt sie die Leiter an eine Fassade, klettert hinauf und horcht, ob sich im Haus was tut. Wieder unten, probiert Sarah den Klappmechanismus aus, fährt die teleskopische Verlängerung aus, bringt das Konstrukt zum Kippen. Mal steht die Leiter als labiles Kunstwerk da, dann wieder klappt sie scherenartig zusammen. Mal schwingt Sarah das Gerät um sich, mal balanciert sie es graziös auf dem Buckel.

Der Kampf mit der Tücke des Objekts gemahnt an Buster Keaton oder Stan und Ollie. Dazu trägt die stoische Mimik der Künstlerin bei, die das Unternehmen wortlos durchzieht. Den zweiten Lachanreiz bieten die Reaktionen der Passanten, die sich der Aktion mit äußerster Vorsicht nähern. Noch schöner, wenn ein Nachbar aus dem Fenster schaut: dann schenkt ihm Sarah ihr strahlendstes Lächeln.

Elsässerin trifft Erlangerin

Entwickelt haben die Aktion die Elsässerin Sarah Chaudon und die Erlangerin Julika Meyer gemeinsam. „Ich bin schon in vorigen Auftritten mit einer Leiter umgegangen, und Julika hat die Geschichte dazu geschrieben. Sie hat den Spannungsbogen der Handlung kreiert, das Skelett der Performance. Und ich hülle mit meinen Improvisationen das Fleisch drumherum.“

Das Figurentheaterfestival erobert die Innenstadt von Erlangen.

Das Figurentheaterfestival erobert die Innenstadt von Erlangen. © Klaus-Dieter Schreiter, NN

„Regenboog“ von Benjamin Verdonck und Lucas van Haesbroeck im Theater in der Garage ist kein Figurentheater, sondern ein Lichtspiel im wahrsten Sinn des Wortes. Mehrere Flachbildschirme sind in einem Gestell hintereinander gestaffelt wie die Kulissen der Barocktheaterbühne, die räumliche Tiefe vorgaukeln.

Der Spieler zur Seite schiebt die Kulissenschirme, die erst allerlei Grauschattierungen zeigen, dann in zarten Farben erblühen. Dazu raunt eine Geräuschkulisse, die Assoziationen weckt: von polarer Einöde über Urwald mit Grillenzirpen, allerlei Brumm- und Fliegensummtönen, bis am Ende ein Klavier klimpert. Ein vertrautes Phänomen: Ähnliches „sah“ man in der Jugend, wenn man „Echoes“ von Pink Floyd lauschte. Willkommen in der Tiefkühlhölle.

Haben Sie Sorgen? Suchen Sie den Sinn des Lebens? Robbert&Frank wissen die Antwort. Am Bohlenplatz laden die Belgier zu einem schamanischen Ritual ein. Mit Symbolfibeln und Literatur zum I Ging geben Sie sich den Anschein von Eingeweihten. Der Mühselige und Beladene erhält einen Zettel, auf dem in mehreren Sprachen geschrieben steht: „Hebt euch hinweg, meine Kümmernisse, von dieser Erde“. Mit Holzkohle schreibt er auf der Rückseite den absoluten Hassbegriff, die ultimative Widerwärtigkeit, den Lieblingstodfeind drauf. O weh, der Platz reicht nicht. Macht nichts, statt einem simplen Wort malen wir einfach den ganzen Zettel voll, vorne wie hinten.

Blutige Streifen

Der Kohlestift ist aufgebraucht, der Zettel starrt vor Ruß. Nun stecken wir den Zettel in einen Schredder, drehen am Rädchen - hinten fallen Streifen geschwärzten Papieres in eine Schale. Nun tunkt man einen Streifen in ein Glas voll roter Flüssigkeit. Sieht aus wie Nagellack, ist aber Blut von Robbert und Frank. Der blutige Streifen landet zuoberst auf den Papierhaufen. Nun ein Schluck aus geistigen asiatischen Getränken. Können die Chinesen Whiskey? Bitte ein Fingerhut voll. Auf Buddha, den Erleuchteten! Nun wählt man ein tönernes Amulett mit einem Symbol aus. Brille oder Haus, Tropfen und Krug, Blitz oder Phallus. Wahl getroffen? Gut. Darfst du behalten. Jetzt brennen die Papierstreifen. Fahret dahin, Widerwärtigkeiten, vergeht in Rauch und Wind! Wie fühlt sich das an? Sehr gut!

Ist das nun Theater? Oder Psychologie der Steinzeit? Jedenfalls eine kultische Handlung, und aus dieser soll ja das Theater erstanden sein. Nämlich als Katharsis, als Reinigung von Seelenqualen, die wir in den Bühnenhelden projizieren und der stellvertretend für uns alles ausbadet. Mit dem kleinen Unterschied, dass der Zuschauer die Hauptrolle übernimmt.

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