"Ich finde alle Menschen interessant"

Fitness-Experten und Politiker: Frédéric Schwilden aus Erlangen stellt seine Fotos in Berlin aus

24.8.2021, 14:30 Uhr
"Es war 4 Uhr morgens Ende Dezember. New York war kalt. Aber mir gefiel, wo ich lebte." Frédéric Schwildens Verse zu Kevin Kühnert von der SPD.

© Ausstellung Frederic Schwilden, NN "Es war 4 Uhr morgens Ende Dezember. New York war kalt. Aber mir gefiel, wo ich lebte." Frédéric Schwildens Verse zu Kevin Kühnert von der SPD.

Einigkeit und Recht und Freizeit ist der Titel Ihrer Ausstellung, in der Sie immer wieder Politiker zeigen. Was ist so faszinierend an "denen da oben"?

Die Ambition des Niemands, jemand zu werden, finde ich faszinierend. Das ist fast ein religiöses Berufungsmotiv bei vielen Politikern. Das hat etwas Größenwahnsinniges und ist ähnlich wie bei Popstars. Gleichzeitig sind Politiker Märtyrer. Sie leben ungesund, sie geben ihr Privatleben auf, sie sehen ihre Familie selten, sie sitzen bis um 3 Uhr Morgens in irgendwelchen Sitzungen, sie geben viele Freiheiten auf. Sie geißeln sich selbst. „Die da oben“ als Bezeichnung ist nicht richtig. Natürlich gehört man als Politiker zu einer Form der Elite. Berufspolitiker verdienen mehr als der Durchschnitt und haben eine gewisse aber begrenzte Macht, aber sie führen häufig ein kleinbürgerliches Leben. Politiker sind größtenteils Menschen, die nicht wissen, wie man ein Hummerbesteck hält, die den Unterschied zwischen Prada und Gucci nicht kennen. Ein Politikerleben findet aus unterer Mittelschichtsperspektive „da oben“ statt. Aber aus Perspektive wirklicher Elite, sei es finanziell oder intellektuell, ist ein Politikerleben nicht „da oben“. Und wenn man sich anschaut, wie Politiker gesellschaftlich angesehen sind, sind sie sogar eher, „die da unten". Für mich sind es Helden und Antihelden zugleich. Schützer und Verräter der Demokratie, Heilige, Huren, der Drachentöter und Drache zugleich.

Sie fotografieren aber auch den Erlanger "Frisbeegott" Horst Lange im Röthelheimbad. Wann wird der "Mensch von der Straße" für Sie interessant?

"Ich fuhr nach Los Angeles, um Stuntman zu werden. Ich wollte wild und gefährlich leben. Ich wollte ein König sein." Fitness-Experte Horst Lange im Röthelheimbad in Erlangen.

"Ich fuhr nach Los Angeles, um Stuntman zu werden. Ich wollte wild und gefährlich leben. Ich wollte ein König sein." Fitness-Experte Horst Lange im Röthelheimbad in Erlangen. © Ausstellung Frederic Schwilden, NN

Ich finde alle Menschen, die ich sehe, interessant. Ich will alles über sie wissen. Ich will wissen, wie sie leben, lieben, lachen, weinen. Ich will den Menschen an sich verstehen. Und so jemand wie Horst ist einfach nur genial. Das ist ein Freak im Sinne von Lana del Reys „Baby if you wanna leave/Come to California, be a freak like me, too.“ Horst ist ein radikaler Individualist. Ein absolut mündiger Mensch, der sich selbst ausgerufen hat. Er lebt, wahrscheinlich ohne es zu wissen, Andy Warhols Mantra: Der Künstler muss selber Kunst werden.

Sie pendeln zwischen Berlin und Erlangen. Was lieben und hassen Sie an beiden Orten?

"In letzter Zeit dachte ich oft an sie. Welche Schuld ich aufgeladen hatte, wusste ich erst seit dieser Nacht im August." Selbstporträt von Frédéric Schwilden.

"In letzter Zeit dachte ich oft an sie. Welche Schuld ich aufgeladen hatte, wusste ich erst seit dieser Nacht im August." Selbstporträt von Frédéric Schwilden. © Ausstellung Frederic Schwilden, NN

An Berlin liebe ich die Radikalität des Exzesses, die Möglichkeit zu jeder Zeit den Verstand ausschalten zu können. Ich liebe es, auch nach 22 Uhr noch etwas Gutes zu essen zu bekommen. Ich hasse nichts an Berlin. Ich verstehe nur die Spießer nicht, die dort ihr autofreies Dorf nachbauen wollen, aus dem sie geflohen sind. An Erlangen liebe ich die Ruhe. Die Gewissheit, dass man in Erlangen eigentlich immer sicher ist. Ich liebe den botanischen Garten und den Aromagarten. Schlimm finde ich, dass es in Erlangen kein französisches Lokal mit Steak, Frites und Austern gibt. Es ist schlimm, dass man nichts zum Anziehen in Erlangen kaufen kann. Es ist schlimm, dass es kein Fischgeschäft gibt. Erlangen ist konsumtechnisch protestantisch durch und durch. Die Erlanger haben sauviel Geld. Aber sie wollen es nicht in der eigenen Stadt ausgeben.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Ich habe mit meiner Frau und meinen Kindern eine gefunden, die ich nie hatte.

Sie arbeiten bei der "Welt" als Journalist und schreiben regelmäßig lange Reportagen. Kann ein Foto 300 Zeilen Text ersetzen?

Nein.

Auch in Erlangen sieht man Sie oft mit der Kamera samt Blitz um den Hals. Ihre Foto-Ausrüstung wirkt sehr reduziert ...

Als meine Kamera in der Reparatur war, hab ich mir zwei Einweg-Kameras aus dem Drogeriemarkt gekauft. Macht auch super Fotos. Technik ist scheißegal. Natürlich macht es Spaß mit einer guten Kamera zu fotografieren. Aber es geht darum, einen Moment zu kriegen. Da geht es vor allem um Intuition und Reaktionsgeschwindigkeit. Je mehr Technik man hat, desto mehr verpasst man den richtigen Moment.

Juergen Teller hat in einem Interview mit uns mal gesagt: „Es gibt keinen Zufall in meinen Bildern“. Auch Ihre Fotos wirken erst mal sehr spontan. Wie viel Inszenierung steckt in den Aufnahmen?

Die Blumen-Bilder sind natürlich Inszenierungen. Da hab ich Markus Söder, Annalena Baerbock oder Kevin Kühnert nach ihren Lieblingsblumen gefragt und dann damit fotografiert. Aber ansonsten warte ich einfach, bis ich glaube, dass das richtige Bild passiert. Maaßen mit Schnittchen und Bier zum Beispiel, da muss man abwarten und im richtigen Moment abdrücken. Ich stell mir die Bilder vorher schon vor. Und ich hoffe dann, dass sie passieren.

Sie sagen mit Blick auf Deutschland: Ich schaue auf die Bewohner wie ein Anthropologe. In welchem Zustand befinden sich die Menschen in unserem Land gerade?

Dem Großteil der Menschen in Deutschland geht es unglaublich gut. Und die sollten das wertschätzen und sich dieses Glückes bewusst sein, und ihr Glück mit denen teilen, die nicht so glücklich sind. Gleichzeitig sehe ich, dass die Deutschen Freiheit verlernen. Das macht mir Angst.

Wann wird die erste Ausstellung von Ihnen in Erlangen oder Umgebung zu sehen sein?

Berlin gehört dank der ICE-Anbindung auch zur Erlanger Umgebung. Ansonsten warte ich natürlich auf die großen Retrospektiven-Anfragen aus dem Neuen Museum und der Nürnberger Kunsthalle.

Frédéric Schwilden. Einigkeit und Recht und Freizeit. Bis zum 28. August in der Galerie Haverkampf, Mommsenstraße 67, Berlin. www.haverkampf.gallery.de

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