Geplanter Zufall

10.11.2012, 00:00 Uhr
Geplanter Zufall

© Harald Hofmann

„Erdwerk“ lautet der Titel, den die Nürnberger Malerin ihrer Ausstellung in der Galerie des Kunstvereins gegeben hat. Damit ist offensichtlich nicht allein die Farbigkeit der Bilder gemeint, sondern ein Malprozess, aus dem jedes Bild als etwas organisch Gewachsenes hervorgeht.

Anders als in der klassischen Malerei, wo der Herstellungsprozess hinter dem Ergebnis verschwinden soll, wird hier der Malprozess selbst zum Thema. Er ist seinem Wesen nach nie abgeschlossen, und die Bilder, die dabei entstehen, sind gleichsam nur Stationen einer endlosen Versuchsreihe. Jedes Bild emaniert immer neue, unverkennbar verwandte Werke.

Wie das „action painting“ verlässt sich Lucie Schaller auf die Kraft der Intuition. Allerdings entstehen ihre „Mischtechniken“ nicht rein emotional aus der Schnelligkeit der Bewegung. Vielmehr verarbeitet sie Farben und Materialien wie Sand, Erde, Ton, Asphalt, Kasein, Marmormehl oder Schellak zu Schichten, modelliert auf der Leinwand reliefartige Strukturen, in die sie allerlei Fundstücke einbaut: Restbestände einer alltäglichen Wirklichkeit, die ihren ursprünglichen Zwecken entfremdet sind. In diesem Arbeitsprozess wird das malerische Material ständig umgeschichtet und erweitert, ein Vorgang, der auch zufällige Funde nicht als Fremdkörper wahrnehmen lässt. Es gibt darin kein Zufallsprinzip. Lucie Schaller spricht von einem „geplanten Zufall“ und meint damit offenbar eine Art malerische Archäologie: Sie behandelt die Oberfläche ihrer Bilder wie ein Ausgrabungsfeld, in dessen Tiefe sich stets verlorene Motive wieder finden und rekonstruieren lassen.

Prozess des Wachsens

Der angebliche Zufall spiegelt nur die Dynamik des organischen Wachstums. „Vernichtung und Neubeginn“, so Lucie Schaller, „wechseln sich ab und werden zum individuellen Prozess des Wachsens, Werdens, sich Verwandelns in jedem Augenblick.“ Konkret Gegenständliches ist damit nicht gemeint, aber auch keine formale Ab-straktion. Der intuitive Malprozess zielt darauf, das Bild in eine Quelle von Assoziationen zu verwandeln.

Die allerdings erscheinen, entgegen der Offenheit des Experiments, merkwürdig festgelegt. Der Überraschungseffekt, der dem Prinzip der Collage eigentümlich war, ist aufgegeben. Die in der stets wiederkehrenden mehr oder weniger erdfarbenen Materie eingegrabenen Objekte werfen keine Fragen auf. Sie sind vollständig von der Gestik der Malerei besetzt. Die Individualität der Einzelbilder verblasst. Sie wirken wie Illustrationen zu einem imaginären Urbild, gleichsam zu einer unsichtbaren platonischen Idee. Die Bilder sind, könnte man sagen, in ihrem „Erdwerk“ gefangen.

Lucie Schaller: „Erdwerk“. Galerie des Kunstvereins, Hauptstr. 72. Bis 24. November, Di., Mi., Fr. 15 bis 18 Uhr, Do. 15 bis 19 Uhr, Sa. 11 bis 14 Uhr.

 

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