Gesenkte Mehrwertsteuer: Betriebe aus der Region ziehen Bilanz

7.1.2021, 06:00 Uhr
Gesenkte Mehrwertsteuer: Betriebe aus der Region ziehen Bilanz

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Friseurmeister Ümit Aykut sitzt allein und etwas verloren in seinem geschlossenen Geschäft in der Hartmannstraße. Wie lange der Salonbesitzer die Situation wirtschaftlich noch durchhält, weiß er nicht, derzeit wartet er auf die Unterstützung durch die Dezemberhilfe.

Aufgeben aber ist sein Ding nicht, auch wenn der zweite coronabedingte Lockdown mitten ins wichtige Weihnachtsgeschäft geplatzt ist und er zu Beginn des neues Jahres bildhaft sagt: "Man versucht, sein Schiff vor dem Untergang zu retten."

Situation für Friseurbetrieb verschärft 

Schon im vergangenen Juni war die Situation des Unternehmers angespannt, seine Mitarbeitenden in Kurzarbeit. Durch den anhaltenden Lockdown hat sich die Situation verschärft, auch wenn die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer von 19 bzw. 7 auf 16 bzw 5 Prozent doch etwas Entlastung gebracht hat.

"Die Senkung hat uns ein bisschen Stabilität gegeben", sagt der Inhaber des Erlanger Friseurgeschäftes "New Karma".

Im Schnitt hat sie dem Betrieb etwa 350 bis 400 Euro im Monat eingespart. Zugleich aber blieben die Kunden mit Blick auf steigende Infektionszahlen immer mehr weg. Was Aykut bereits vorher angekündigt hatte, musste er auch tatsächlich umsetzen: "Wir konnten die Mehrwertsteuersenkung nicht an die Kunden weitergeben".

Preise wurden um zwei Euro angehoben

Um die Mehrkosten und Mindereinnahmen durch notwendige Hygiene- und Abstandsregeln etwas abzufedern, hatte er nach dem ersten Lockdown die Preise um zwei Euro angehoben.

Er selbst wiederum habe die Senkung der Mehrwertsteuer als Kunde wenig gespürt. Hersteller von Färbemitteln oder Haarshampoo hätten in der ökonomisch schwierigen Zeit ihrerseits die Preise erhöht. Insgesant aber sei die Mehrwertsteuersenkung hilfreich gewesen. Doch wenn der zweite und lange Lockdown nun mit voller Wucht zuschlägt, "ist aber Feierabend", sagt Aykut.

Warten auf niedrigere Zahlen

Eine Öffnung lehnt er trotzdem ab: "Die Kunden haben Angst und kommen ohnehin nicht, wenn wir jetzt auf wieder aufmachen, geht das Ganze in wenigen Wochen wieder los."

Nein, da möchte er lieber abwarten bis das Infektionsgeschehen die Rückkehr zur Normalität wirklich zulasse und "wir arbeiten können wie früher", sagt Aykut.

Generell hätte er sich eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung durchaus gewünscht, "am Besten so lange, bis es der Wirtschaft wieder gut geht", sagt er, "400 Euro mehr ist besser als gar nichts."

Michael Fischer kann diese Sicht gut nachvollziehen. Der geschäftsführende Gesellschafter des Herzogenauracher Traditionsunternehmens Möbel Fischer weiß, dass viele Betriebe monatelange Geschäftsschließungen schlecht oder gar nicht überstanden haben.

Er gehört glücklicherweise nicht dazu "Die Menschen sind viel daheim, kochen und wollen es sich schön und gemütlich machen, das kommt uns zugute".

Kunden nutzen Tage vor zweitem Lockdown

In seiner Branche lassen sich die Effekte durch Mehrwertsteuersenkung und Corona schwer voneinander trennen. Zum einen haben sehr viele Kunden die letzten Tagen vor dem zweiten Lockdown am 16. Dezember noch genutzt, um bei ihrem Kauf an der Mehrwertsteuer zu sparen. Da habe sich der Effekt der Senkung schon deutlich gezeigt. Zudem hätten etliche Kunden bereits längerfristig geplante größere Anschaffung schnell vorgezogen.

Mehr noch als vom Mehrwertsteuer-Effekt profitiert Fischer vom Herunterfahren des öffentlichen Lebens, vom gezwungenen Leben daheim. "Die Leute können nicht reisen, kein Geld ausgeben und auch nirgendwo hin, also kaufen sie bei uns Einrichtungsgegenstände."

Der Trend zum Cocooning, also dem Rückzug ins Private, macht sich bei ihm klar bemerkbar. "Der ein oder andere hat sich 2020 schon mehr geleistet als in einem üblichen Jahr."

Die von Fischer befürchtete überbordende Bürokratie wegen der Mehrwertsteuer-Änderung sei nicht eingetreten, alles habe sich im überschaubaren Rahmen gehalten. Anders als Aykut hat er die Prozente an seine Kunden weitergegeben. Das Unternehmen hat bedingt durch die Pandemie technisch und digital aufgerüstet.

Immerhin: In der Technik arbeitet auch derzeit ein Viertel der Belegschaft weiter und Beschäftigte aus Verwaltung und Verkauf sind im Schichtdienst eingesetzt.

So können auch jetzt, im im zweiten Lockdown, Kunden telefonisch und per E-Mail beraten werden, wenngleich sich auf diese Weise ein Sofa nur schwer verkaufen lasse: "Die Menschen wollen darauf sitzen und den Bezug spüren", sagt der Experte, "das hat viel mit dem Gefühl zu tun."

Verwundert über Ausflügler

Eine Verlängerung der gesenkten Mehrwertsteuer hätte für ihn wenig Sinn gemacht. "Die Mehrwertsteuer war für uns von all dem, was uns betroffen hat, der geringste Einflussfaktor", meint Fischer. Ähnlich wie Aykut ist Fischer die Rückkehr in ein normales (Betriebs-)Leben wichtig, mit Blick auf das schleppende Anlaufen der Corona-Impfungen und die weiterhin hohen Infektionszahlen steht der 63-Jährige auch voll hinter den Beschränkungen.

Nur eines ärgert den Unternehmer wirklich: "Wenn ich mir die Bilder anschaue, von Massen an Menschen, die in Ausflugs- und Wanderregionen unterwegs sind, dann denke ich mir schon: Wie kann das gegen das Virus helfen, wenn wir im Einzelhandel zumachen und die Leute draußen verrückt spielen?"

Unvernunft, sagt Michael Fischer, lasse sich scheinbar nicht mit Regeln beikommen.

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