Gymnasiastin aus Erlangen nach Armenien abgeschoben

5.3.2021, 10:30 Uhr

Von einem Tag auf den anderen verschwand die 14-jährige Siebtklässlerin Anahit H. aus dem Klassenzimmer. Dem virtuellen Klassenzimmer, um genau zu sein, denn die siebten Klassen befinden sich derzeit in Bayern im Distanzunterricht. Sie wurde mit ihrer Familie  zum Münchener Flughafen gebracht. Dort ging am 23. Februar ein Abschiebeflug  nach Armenien. 

Kurz vor dem Abflug ereignete sich am Flughafen ein dramatischer Vorfall, wie der Bayerische Flüchtlingsrat berichtet.Ein über 60-Jähriger Mann mit multimorbidem Krankheitsbild erlitt vor den Augen seiner Frau einen Herzinfarkt und musste notoperiert werden. Auch er war in Erlangen abgeholt worden und sollte in das gleiche Flugzeug. Seine Frau befindet sich inzwischen wieder in einer Gemeinschaftsunterkunft in Erlangen, der Mann ist weiterhin in einer Münchener Klinik.

Schwerkranke Menschen

Man habe den Eindruck, dass ein Flieger voller vulnerabler Leute zusammengestellt worden sei, heißt es beim Bayerischen Flüchtlingsrat, mit Menschen im Alter von einem Jahr bis 81. An Bord seien auch zwei ältere, schwerkranke Menschen aus Nürnberg und Fürth gewesen. Der Flug sei von mindestens zwei Ärzten begleitet worden.

In allen Fällen lagen der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Mittelfranken Atteste über die Krankheiten sowie bestehende Reiseunfähigkeiten vor, berichtet der Bayerische Flüchtlingsrat. Die Behörde habe jedoch alle Anträge abgelehnt, da angeblich die eingereichten fachärztlichen Schreiben nicht den formellen Anforderungen entsprächen.

Gymnasiastin aus Erlangen nach Armenien abgeschoben

© Patrick Seeger/dpa

"Ein Riesenskandal"

"Die Praxis zum Umgang mit ärztlichen Attesten ist ein Riesenskandal," kritisiert Johanna Böhm vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Menschen werden qua Gesetz ‚gesund‘ gestempelt. Die Behörden wischen regelmäßig fachärztliche Atteste über schwere Krankheiten leichtfertig vom Tisch."

Die 14-jährige Erlanger Schülerin, die ihre gesamte bisherige Schullaufbahn in Deutschland durchlief, war zuletzt am Ohm-Gymnasium und galt dort laut Schulleiterin Nathali Jückstock-Kießling als "fleißiges, gut integriertes Mädchen". Natürlich blieb es nicht unbemerkt, als sie aus der Klassengemeinschaft verschwand. "Wir bedauern, dass sie nicht mehr bei uns an die Schule geht", sagt die Direktorin. Die Schüler und die Lehrerschaft würden das Mädchen sehr vermissen "und sind auch traurig und erschrocken".

"Kind hat hier Wurzeln geschlagen"

Gut integrierte Jugendliche können unter bestimmten Voraussetzungen eine gesetzliche Aufenthaltserlaubnis bekommen. "Ich wundere mich, warum dieses Mädchen keine Aufenthaltserlaubnis hatte", sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Wenn ein Kind so lange hier war, hat es hier Wurzeln geschlagen. Warum man ein solches Kind hier herausreißt, verstehe ich nicht. Das ist einfach unmenschlich." Er gehe davon aus, dass die Familie von der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Mittelfranken nicht entsprechend beraten worden sei.

Erlangens Sozialreferent Dieter Rosner bestätigt, dass die Verfahren komplett über die ZAB liefen. "Ich würde es grundsätzlich sehr begrüßen, wenn von Seiten der ZAB der Regierung von Mittelfranken im Vorfeld von Rückführungsmaßnahmen von Personen, die in Erlangen untergebracht sind, Kontakt mit der Flüchtlings- und Integrationsberatung und gegebenenfalls mit der Ausländerbehörde aufgenommen würde. In vielen Fällen ist es möglich, die Betroffenen in Gesprächen bei der Entscheidung zu einer freiwilligen Rückkehr zu unterstützen. Dies wäre für alle Beteiligten von Vorteil", sagte Rosner.

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