Holocaust-Gedenktag: Erinnerung an Opfer der NS-Krankenmorde in Erlangen

27.1.2021, 15:30 Uhr
Holocaust-Gedenktag: Erinnerung an Opfer der NS-Krankenmorde in Erlangen

© Rudi Stümpel/Stadtarchiv Erlangen

"Es müsste etwas Besseres erfunden werden als der Mensch."  Das, so schreibt Werner Leibbrand in seiner Autobiographie, habe sein Freund und Kollege Curt Singer, Neurologe und Orchesterdirigent, gesagt, bevor er im Konzentrationslager Theresienstadt elend ums Leben kam. Und Leibbrand selbst stellt fest: "Nicht, dass es diese Verbrechen gegeben hatte, war so arg; schlimmer war die Vorstellung, dass solche Möglichkeiten im Menschen angelegt jederzeit aufbrechen konnten."

Werner Leibbrand erlebt nicht mehr, wie der 27. Januar heute vor 25 Jahren zum bundesweiten Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt und damit auch an die barbarischen Verbrechen der Nazi-Zeit erinnert wird.

Holocaust-Gedenktag: Erinnerung an Opfer der NS-Krankenmorde in Erlangen

© Sammlung Andreas Frewer/Franz Steiner Verlag

Der Arzt und Medizinhistoriker, der als einziger deutscher Sachverständiger beim Ärzteprozess 1946/47 in Nürnberg mitwirkte und in den Nachkriegsjahren auch in Erlangen eine besondere Rolle spielte, starb 1974. Im Jahr 2005 wird der 27. Januar dann von den Vereinten Nationen zum Internationalen Gedenktag erklärt. Mehr als 5,6 Millionen Menschen waren dem Holocaust zum Opfer gefallen – das Leid einerseits und die Abartigkeit des Verbrechens andererseits sind gleichermaßen nicht vorstellbar.

Gedenken soll sensibilisieren

Heute, Jahrzehnte später, sind allerdings zunehmend mehr Deutsche des Erinnerns überdrüssig. Dass aber das Gedenken auch sensibilisieren soll, damit solche "im Menschen angelegten Möglichkeiten" nicht wieder aufbrechen, wird mitunter nicht so gern gesehen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sogar heute noch manches Verbrechen aus jener Zeit nur unzulänglich aufgearbeitet ist.

Dass dies tatsächlich so ist, hat sich gezeigt, als in den letzten fünf Jahren die NS-"Euthanasie" verstärkt ins Augenmerk rückte.

Die Vernichtung "lebensunwerten Lebens" wurde von den Nationalsozialisten angestrebt, um ein im Sinne der Rassenhygiene und der Eugenik gesundes Volk "heranzuzüchten". Bei der von Berlin aus gesteuerten T 4-Aktion wurden psychisch kranke und behinderte Menschen in den Jahren 1940 und 1941 in Tötungsanstalten gebracht und dort vergast. Das war die "Probephase" für den Holocaust. Im Sommer 1941 stellte man die Transporte ein, stattdessen wurde in den Heil- und Pflegeanstalten die sogenannte Hungerkost eingeführt – ein Töten auf Raten. 300 000 kranke Menschen, so schätzt man heute, wurden insgesamt getötet.

Medizinethische Themen

Auch Erlangen war hiervon betroffen. 908 Menschen wurden aus der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in Tötungsanstalten gebracht, darunter 21 jüdische Patienten. Weitere Anstaltspatienten starben vor Ort infolge der "Hungerkost" – es dürften deutlich über 1000 gewesen sein. In Erlangen soll nun, auf dem Gelände der ehemaligen HuPfla unter Einbeziehung des Direktionsgebäudes und eines Teils des letzten Patientengebäudes, ein Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort entstehen. Insbesondere soll hier künftig auch medizinethischen Themen Raum gegeben werden.

Das zu hören, würde Werner Leibbrand sicherlich freuen. Seine

Gedenkschrift zum hundertjährigen Bestehen der Erlanger HuPfla, die er 1946 als frisch ernannter Leiter dieser Einrichtung unter dem Titel "Um die Menschenrechte der Geisteskranken" herausgegeben hat (2020 vom Erlanger Medizinhistoriker und Ethiker Prof. Andreas Frewer in einer kommentierten Neuausgabe veröffentlicht), war die erste kritische Publikation zur "Euthanasie". Und Leibbrand musste auch als einziger deutscher Sachverständige beim Ärzteprozess in Nürnberg zu den NS-Verbrechen Stellung beziehen.

"Wissenschaft ohne Menschlichkeit"

Dass dies das erste von zwölf Nachfolgeverfahren war, die dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher folgten, war kein Zufall. Die Ärzte hatten die Rassengesetze umgesetzt, später gab es weitere Strafverfahren gegen Mediziner wegen ihrer Beteiligung an NS-Verbrechen. Vom "Diktat der Menschenverachtung" und einer "Wissenschaft ohne Menschlichkeit" sprachen die Prozessbeobachter Alexander Mitscherlich und Fred Mielke kurz nach dem hauptsächlich von den Amerikanern durchgeführten Militärtribunal. Dafür wurden sie gehörig angefeindet, ja sogar verklagt. Auch NS-Gegner Werner Leibbrand machte sich keine Freunde mit seinen Beiträgen zur Entnazifizierung.

Ohnehin gelang diese in der Ärzteschaft nur in begrenztem Maße: Schlüsselfiguren wie der Gynäkologe und Medizinhistoriker Paul Diepgen, der Hitlers Begleitarzt Karl Brandt zugearbeitet und Begründungen für die NS-"Euthanasie" geliefert hatte, kamen nach dem Krieg schnell wieder in Amt und Würden.

Werner Leibbrand hat in einer Biographie unter dem Titel "Leben – Weiterleben – Überleben", die sich in Teilen wie ein spannender Roman liest, über dramatische Zeiten und sich selbst Auskunft gegeben. Soeben wurde sie von Andreas Frewer, der sich seit langem mit Leibbrand beschäftigt, in einer kritischen Edition mit Fachbeiträgen und Kommentaren erstmals veröffentlicht. Darin diskutiert wird auch zum ersten Mal Leibbrands Liste der massiv erhöhten Todesfälle in der HuPfla während der Kriegsjahre, ein Beweis für den Massenmord.

Vielschichtige Figur

Fest steht, dass der sieben Sprachen sprechende und Klavier spielende Leibbrand eine vielschichtige Figur war, ein Mensch von künstlerischer Genialität, dessen durchaus mit Brüchen versehene Lebensgeschichte das Zeug dazu hätte, verfilmt zu werden. Er war engagierter Sozialpsychiater, kritischer Aufklärer und kluger Medizinhistoriker. Vor allem aber war er der erste, der die "Euthanasie" offengelegt hat.

 

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