Horrorstunde im Gewölbekeller

10.4.2009, 00:00 Uhr
Horrorstunde im Gewölbekeller

Zehn Jahre ist Fritz Ziegler aus Kleingeschaidt alt, als die Bomben in der Nähe seines Heimatdorfes einschlagen. Der Angriff hat ihn auch nach über sechs Jahrzehnten nicht losgelassen. Er will mehr wissen und trägt mit dem Eschenauer Heimatforscher Fritz Fink viel Material zusammen. Ausgangspunkt war für ihn das Wrack eines abgeschossenen kanadischen Bombers, vor dem er als Bub am Morgen nach der Schreckensnacht nicht weit von seinem Elternhaus stand.

Fritz Ziegler versucht das Unbegreifliche auszudrücken, die unbeschreibliche Angst und Zerstörung am frühen Morgen des 31. März 1944. Mit nackten Zahlen versucht er dem beizukommen: Stadt Röthenbach 25 Tote, 43 Gebäude; Pettensiedel 6 Tote, 4 Wohnhäuser; Schönberg 1 Toter, 69 Wohngebäude und Scheunen, Behringersdorf 1 Militärzug; Lauf 18 Gebäude, 2 Brauereien; Brand 1 Wohnhaus, 9 Scheunen; Nuschelberg 1 Gebäude (Schloss); Ebach größere Brände; Gräfenberg/Kleingeschaidt Brände; Schäden auch in Weigenhofen, Haimendorf, Renzenhof, Leinburg (Wehrkirche), Bullach und Rückersdorf. 21 betroffene ländliche Orte notiert der 75-jährige Kleingeschaidter Landwirt auf seiner Liste.

Von den Trümmerfeldern und Opfern ausgehend forschte Ziegler zusammen mit Fritz Fink nach, warum die Air Force kleine, unbedeutende Landgemeinden bombardierte. In einem Großangriff, für den sie laut Buchautor Martin Middlebrook («Die Nacht in der die Bomber starben») in einem 100 Kilometer langen «Strom» 1009 Flugzeuge aufgeboten hatte.

Obwohl bei jedem der fünf bisherigen Angriffe auf Nürnberg auch auf dem Land die Sirenen gewarnt hatten, rechnete dort niemand ernsthaft mit einer Bombardierung. Jedes Mal hatten die Flieger die Großstadt anvisiert. Darum wähnten sich die Landbevölkerung auch am 31. März um etwa 1 Uhr nicht im Fadenkreuz. Zusammengekauert hockt in Kleingeschaidt der zehnjährige Fritz mit zehn weiteren Menschen und dem Hofhund im Gewölbekeller seines Elternhauses.

Die Sirenen in Eschenau, Heroldsberg und Kalchreuth hatten die Ortsbewohner im Schlaf aufgeschreckt, sie nahmen eilends die stets bereit liegenden Kleidungsbündel und suchten Zuflucht in den Kellern, wo auch immer etwas Notproviant bereit lag. «Die alten Frauen haben gebetet, andere haben geweint, ich habe mich verkrochen», erinnert sich Ziegler.

Früher waren Minuten nach dem Alarm allenfalls entfernte Flugzeuggeräusche zu hören und jeder wusste dann: Entwarnung, «die gehen nach Nürnberg». Diesmal ist es anders. Im Keller hört er nach nicht einmal einer Viertelstunde einen Knall, den er noch heute «im Ohr hat». Kurz darauf ein Schlag, bei dem die Gewölbedecke wackelt, gefolgt von einem Klirren «wie wenn beim Rangieren die Waggons zusammenstoßen».

Dann weitere entferntere Schläge, als ob ein Gewitter aufzieht, «und dann nur noch dieses riesige Dröhnen der Bomber in der Luft – die kamen alle drüber», erinnert sich Ziegler an die wohl schlimmste Stunde seines Lebens.

Grell beleuchteter Nachhimmel

Als der Angriff vorüber ist, sieht Ziegler noch den grell beleuchteten Nachthimmel – wohl eine Mischung aus den Leuchtbomben, die das Ziel markieren sollten, und den Bränden vielerorts. In Kleingeschaidt selbst steht eine Scheune in Flammen, im Südwesten schimmert «eine rötliche Wand», wie es Ziegler schon von früheren Attacken auf Nürnberg kannte. In dieser Nacht kommen dort 75 Zivilisten ums Leben.

Eine dichte Wolkendecke hatte den Nürnberger Raum verdeckt, so dass die Zielmarkierer, die für die herrschenden Verhältnisse schlecht ausgerüstet waren, sich falsch orientierten. Sie warfen ihre Leuchtbomben, «die Christbäume», zu weit nördlich und nordöstlich ab, also in dem geografischen Dreieck zwischen Gräfenberg, Nürnberg und Moritzberg.

Das ist aber nur eine Erklärung für die Abwürfe über Kleinstädte, Dörfer, Wälder und Felder. Der Nürnberger Friedrich Braun hat noch eine andere. In seinem Buch «Der 2. Weltkrieg in den nordöstlichen Vororten von Nürnberg», das 1999 im Eigenverlag erschien, beschreibt er eine deutsche Scheinstellung auf dem Haidberg, südlich von Heroldsberg. Von dort aus führten die Verteidiger Nürnbergs die Angreifer in die Irre, unter anderem indem sie «Christbäume» als falsche Zielmarker in die Luft schossen.

Offenbar mit Erfolg: «Die Masse der Bomben fiel nordöstlich-östlich der Stadt, genau in das Waldgebiet, in dem sich das angebotene Scheinziel befand», so Braun. Dazu kamen erfolgreiche Nachtjagdverbände und Flak-Sperrfeuer. Sie holten 39 Bomber beim Zielanflug vom Himmel, zwei bei Gräfenberg, ein Lancaster DV 276 über Röthenbach, der beim Autobahnkreuz Nürnberg abstürzte, und ein Halifax LW 429 an der Straße von Kleingeschaidt nach Tauchersreuth.

Feuerball über dem Wald

Ihren Aufschlag hörte Fritz Ziegler im Gewölbekeller. «Der erste Knall war eine Mine, die die Halifax in der Nähe des Tauchersreuther Wasserturms fallen ließ.» Sie hinterließ dort einen flachen Bombentrichter, ohne weiteren Schaden anzurichten. Sehr wahrscheinlich hatte sich der Halifax noch seiner Ladung entledigt, nachdem er von einem deutschen Jäger getroffen worden war. Auch der Scheunenbrand in Kleingeschaidt könnte auf sein Konto gehen. Der Schlag, den Ziegler kurz nach der Explosion hörte, war der Aufprall der etwa eisenbahnwaggongroßen Maschine. Als Feuerball soll sie über das Wäldchen heruntergekommen sein, ehe sie im Flurstück «Hohe Staude» in der Wiese einschlug – mit einer Wucht, die das Kellergewölbe beben ließ.

Kein Besatzungsmitglied überlebte. Am nächsten Morgen lief Ziegler wie viele andere Schaulustige die ein bis zwei Kilometer zu dem Wrack. An den Anblick des «Trümmerhaufens» und das kokelnde «Materialgestrüpp» auf etwa zwei Autolängen erinnert er sich noch gut. Genauso wie an die sechs, bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Leichen.