Im Corona-Jahr: Große Nachfrage nach Grippe-Impfung

10.10.2020, 15:00 Uhr
Im Corona-Jahr: Große Nachfrage nach Grippe-Impfung

© Sven Hoppe/dpa

Viele Deutsche sind Impfmuffel. Doch in diesem Corona-Jahr ist die Nachfrage nach einem Grippeschutz größer als üblicherweise. "Wir merken, dass viel mehr Patienten kommen", sagt eine Mitarbeiterin einer Erlanger Gemeinschaftspraxis. Die erste Charge sei bereits weg, nun warte man auf die nächste.

"Das Serum ist knapp", heißt es aus der Innenstadt-Praxis weiter. Deshalb werden zunächst Patienten mit schwereren chronischen Vorerkrankungen und Ältere ab 60 Jahren geimpft. Alle anderen müssen mit einem Arzt oder einer Ärztin ihre individuelle Krankheits- und Risikosituation besprechen. Erst dann werde über eine Impfung entschieden; einfach hingehen und impfen lassen ist dort heuer selbst für langjährige Impfpatienten nicht möglich.

Auch in der hausärztlichen Praxis Dr. Hassler und Kollegen in Herzogenaurach im Landkreis Erlangen-Höchstadt merkt man die gestiegene Bereitschaft zur Immunisierung.

Viele wollen erstmals Grippe-Impfung

Auffällig für den Mediziner Christian Hassler ist vor allem eines: Neben den Patienten, die sich jede Saison gegen die Influenza impfen lassen und rund 80 Prozent der diesjährigen Impfpatienten ausmachen, gibt es etliche, die in den Jahren zuvor noch nicht einmal über eine Immunisierung nachgedacht haben.

Sei es, weil sie nicht zu den besonders Gefährdeten gehören oder eine Immunisierung trotz medizinischer Indikation bisher stets abgelehnt hatten.

Mit Blick auf die Pandemie hatten die Herzogenauracher Mediziner schon mit mehr Impfwilligen gerechnet und entsprechend mehr Serum geordert. Bereits im Frühjahr bestellte die Praxis daher einen "größeren Schwung". "Ich rechne schon damit, dass wir die Nachfrage befriedigen können", sagt Hassler.

Rund 400 Patienten lassen sich im Schnitt pro Jahr in der Praxis impfen, nun erwartet Hassler bis zu 600 Patienten. Noch seien keine Lieferengpässe beim Serum abzusehen, doch wie es in einigen Wochen aussieht, weiß er nicht.

Offenbar tragen die Appelle von Medizinern, Virologen und Politikern, sich in diesem besonderen Jahr gegen Grippe impfen zu lassen, Früchte. "Etliche Patienten nennen Corona als Grund für ihren Impfwunsch", berichtet der Facharzt für Innere Medizin, "insbesondere diejenigen, die nicht immer standardmäßig kamen, sagen das, aber auch regelmäßige Impfpatienten führen das diesmal dezidiert an."

Was hat Corona mit der Grippe zu tun?

Was aber hat Corona mit der Grippe zu tun? "Es geht vor allem darum, dass eine mögliche Coronainfektion nicht zusätzlich durch eine Grippeerkrankung verschlechtert wird und dadurch auch potenziell höhere Komplikationsraten zu befürchten wären", erläutert Hassler. Die Grippe-Impfung soll somit vor einer komplizierten Doppelinfektion schützen.

Auch der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes und Erlanger Hausarzt, Markus Beier, empfiehlt aus eben diesen Gründen möglichst vielen Menschen eine Grippeimpfung; auf jeden Fall aber sollten sich die sogenannten Risikogruppen, zu denen er auch Mitarbeitende im Gesundheitsbereich oder im Einzelhandel mit viel sozialen Kontakten zählt, immunisieren lassen.

Noch sei in Erlangen und dem Landkreis keine Grippewelle vorhanden. Daher sei der Zeitpunkt für eine Impfung derzeit günstig: "Wir raten unseren Patienten immer von Anfang Oktober bis etwa Mitte November zur Impfung" rät Beier.

"Das Ziel ist", erklärt der Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, "sowohl durch die Hygiene- und Abstandsregeln als auch durch die Impfung das allgemeine Infektgeschehen zu reduzieren und damit die Belastung für den eigenen Körper beziehungsweise für das Gesundheitssystem zu verkleinern."

Rund 26 Millionen Impfdosen stehen bereit 

Auch für dieses Jahr hat die Ständige Impfkommission (Stiko) keine generelle Impfempfehlung ausgesprochen, erklärt Beier. Es seien wohl rund 26 Millionen Impfdosen vorbestellt worden: "Doch wie viel die Industrie darüber hinaus nun wirklich produziert hat, weiß ich nicht." Wenn sich jetzt jeder impfen lassen würde, wäre sicher nicht ausreichend Stoff vorhanden.

Wie die Praxen mit ihren zur Verfügung stehenden Dosen verfahren, sei ihnen selbst überlassen. Ausschlaggebend bei der Auswahl soll die medizinische Indikation sein.

Aber verstößt es nicht gegen das Recht eines Krankenversicherten auf eine bestmögliche Prävention (die meisten Kassen übernehmen die Kosten), wenn er gerade in diesem besonderen Jahr nicht gegen Grippe geimpft wird? Der Impfstoff werde jährlich neu produziert, berichtet der Ärztefunktionär.

Wenn er nicht verbraucht wird, müsse man ihn nach ein paar Monaten wegwerfen. Die meisten Praxen hätten in diesem Jahr ohnehin mehr Impfstoff bestellt als in den Vorjahren, doch man bestelle nicht für alle Patienten. In der Vergangenheit hätten sich auch nicht alle Patienten impfen lassen.

Von 700 auf 850 Dosen aufgestockt 

In Beiers Gemeinschaftspraxis in Bruck selbst wurden die 700 Dosen von 2019 auf 850 aufgestockt. "Wenn ganze Schulklassen oder alle Studenten in Erlangen sich impfen lassen wollten, gibt es ein Problem."

In diesem Jahr können Praxen bis zu 30 Prozent mehr Impfstoff bestellen. Falls er nicht verbraucht wird, müssen die Mediziner ihn nicht bezahlen. "Es wurden in der Vergangenheit schon Regresse ausgesprochen für nicht verimpfte Seren", betont der Ärztefunktionär, "und deshalb kann ich nicht sagen, ich bestelle einfach das Doppelte wie im Vorjahr, im Zweifelsfall zahle ich das aus meinem eigenen Geldbeutel".

 

 

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