Fachkräfte wandern ab

In Stadt und Land: Darum fehlt in der Gastronomie das Personal

27.8.2021, 11:20 Uhr
Kunden sind nach dem Lockdown vielleicht bereit, ein bisschen mehr für den Kaffee zu zahlen - aber wer soll ihn bringen, wenn das Personal fehlt?

© NGG Kunden sind nach dem Lockdown vielleicht bereit, ein bisschen mehr für den Kaffee zu zahlen - aber wer soll ihn bringen, wenn das Personal fehlt?

Der Hoteldirektor möchte anonym blieben. Sein Betrieb - ein Haus mit mehr als 20 Betten in der Nähe von Herzogenaurach - habe "Glück gehabt" und alle Mitarbeiter halten können, sogar noch neue dazugewonnen. Das sei aber eine große Ausnahme. Der Geschäftsführer weiß von gezielten Versuchen aus dem Einzelhandel oder der Bürobranche, Angestellte abzuwerben. Das Gastbewerbe werde dabei extra schlecht gemacht als Geschäftsfeld ohne Zukunft.

Jeder achte hat sich von der Branche abgewendet

Die Zahlen geben dem Hoteldirektor recht. Jeder achte Beschäftigte habe sich von der Branche abgewendet, schreibt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in einer Pressemitteilung und beruft sich dabei auf jüngste Zahlen der Arbeitsagentur für Erlangen-Höchstadt. Zum Jahreswechsel beschäftigte das Hotel- und Gaststättengewerbe im Landkreis Erlangen-Höchstadt 1616 Menschen, zwölf Monate zuvor – vor Ausbruch der Pandemie – waren es noch 1864.

Schwund hat sich zugespitzt

Angesichts weiterer Corona-Lockdowns bis in den Mai hinein dürfte sich der Personal-Schwund bis heute nochmals zugespitzt haben, befürchtet Regina Schleser, Geschäftsführerin der NGG-Region Nürnberg-Fürth. „Viele Menschen schätzen es, nach langen Entbehrungen endlich wieder essen zu gehen oder zu reisen. Aber ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil der Betriebe schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können“, so Schleser.

Niedrige Löhne als Problem

Für die Lage macht die Gewerkschafterin insbesondere die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit verantwortlich: „Gastro- und Hotel-Beschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.“ Wenn die gut ausgebildeten Fachkräfte in Anwalts- oder Arztpraxen die Büroorganisation übernehmen oder in Supermärkten zwei Euro mehr pro Stunde verdienen als in Hotels und Gaststätten, dürfe es niemanden überraschen, dass sich die Menschen neu orientierten.

"Dabei zahlen wir überdurchschnittlich"

Hans-Jürgen Freihardt, der jüngst den Atzelsberger Biergarten in Marloffstein übernommen hat, klagt schon kurz nach der Eröffnung über das Problem, geeignetes Personal zu finden. „Das ist echt eine Katastrophe", meint er. "Dabei zahlen wir weit überdurchschnittliche Löhne.“

Gewerkschaftlerin Regina Schleser meint: „Schon vor Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen. Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind nur einige strukturelle Probleme.“, kritisiert Schleser.

Fachkräfte fehlen allerorten

Von der Personalnot bleiben auch Familien-Traditionsbetriebe nicht verschont: Der Gasthof und Metzgerei Güthlein "Zur Einkehr" in Erlangen-Büchenbach sucht Leute "in allen Bereichen", wie Seniorchefin Marga Güthlein verrät. "Gebraucht werden mindestens zwei Köche, zwei Fachkräfte im Service und sogar Spülhilfen in der Küche", zählt die Gastronomin auf. Wenn der Biergarten voll sei, werde es manchen Tag extrem stressig. Marga Güthlein hofft, dass sich die Situation im Herbst entspannt, wagt aber keine Prognosen, ob es wirklich besser wird. "Die nächsten vier Wochen werden wir bestimmt so durchkommen müssen", sagt Marga Güthlein mit pessimistischem Unterton.

"Auf guten Karrierewegen"

Im Restaurant und Café Aischblick in Höchstadt hat Familie Gumbrecht über die Jahre neun Köche und fünf Restaurantfachleute ausgebildet, "die heute alle auf guten Karrierewegen sind", wie der Chef betont. Norbert Gumbrecht ist enttäuscht, denn in diesem Jahr hat sich erstmals für keine der zwei angebotenen Lehrstellen Nachwuchs gefunden. Einer von zwei Kandidaten hat direkt beim Probearbeiten abgesagt. Durch die Corona-Pandemie konnte sich der Gastronomie-Betrieb bei keiner der sonst üblichen regionalen Ausbildungsmessen vorstellen und so sind die Bewerbungen ausgeblieben.

Chance für Neuaufstellung

Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustellen, meint Regina Schleser. Zwar seien viele Firmen nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen. Doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, unterstreicht die Gewerkschafterin. „Viele Gäste sind durchaus bereit, ein paar Cent mehr für die Tasse Kaffee zu bezahlen – gerade jetzt, wo den Menschen bewusst geworden ist, dass der Besuch im Stammlokal ein entscheidendes Stück Lebensqualität ist.“

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