Ist die Baumschutzverordnung in Bayern ein zahnloser Tiger?

10.4.2021, 14:55 Uhr
Ist die Baumschutzverordnung in Bayern ein zahnloser Tiger?

© Foto: Gemeinde Bubenreuth

Dabei war der Bauausschuss der Gemeinde, als er im Sommer 2019 das Bauvorhaben für das Grundstück auf dem Tisch liegen hatte, der Meinung, dass nicht alle Bäume den neuen Plänen weichen müssten. In seiner Bauvoranfrage hatte der Bauträger damals Ideen für Wohnbau und Garagen präsentiert.

Nur teilweises Einverständnis

Mit 5:0 Stimmen erteilte der Bauausschuss seinerzeit nur zum Teil das Einverständnis der Gemeinde und hielt fest, dass der vorhandene Baumbestand vom Bauträger erfasst werden müsse und dass jene Bäume, die unbedingt entfernt werden müssen, zu kennzeichnen und durch Neuanpflanzungen auch entsprechend zu kompensieren seien. Ein entsprechender Bauantrag, erklärt Norbert Stumpf, sei seitdem allerdings nicht bei der Gemeinde eingegangen. Umso verwunderter sei er deshalb gewesen, als die Bagger nun bereits auf dem Grundstück anrückten.

Naturschutzbehörde genehmigte Fällungen

Norbert Stumpf rief beim Landratsamt an, um von dort zu erfahren, dass die Untere Naturschutzbehörde den Baumfällungen zugestimmt hatte. Begründet wurde dies zum einen mit der Tatsache, dass Baumschnittmaßnahmen vor dem 1. März stattfinden müssen, weil ab dann unter anderem Vögel mit dem Brüten beginnen oder Eichhörnchen ihre Jungen in den Baumbeständen aufziehen.

"Mehrere Absprachen"

Es habe "mehrere Absprachen mit der Gemeinde und dem Bauträger" gegeben, heißt es dazu aus dem Landratsamt. Außerdem sei "laut Bebauungsplan nicht vorgesehen, dass auf dem Grundstück Bäume stehen", so ein Sprecher. Also habe es keinen Grund gegeben, dem Bauträger das Fällen zu verweigern. Abgesehen davon habe die Gemeinde auch keine Baumschutzverordnung, in der der Erhalt bestimmter Bäume festgelegt werden kann.

Die hat Bubenreuth in der Tat nicht – und steht damit exemplarisch für die allermeisten Kommunen im Freistaat. Denn der Bund Naturschutz in Bayern (BN) hatte im Frühjahr 2018 alle 2056 Städte und Gemeinden danach befragt, ob diese überhaupt eine Baumschutzverordnung haben und, wenn ja, wie diese gestaltet und wie effektiv sie ist.

Nur wenige Gemeinden haben Verordnung

671 Datensätze wurden danach an den BN zurückgeschickt, die dieser Meldung für Meldung durchackerte. Rückmeldungen kamen von ganz kleinen Gemeinden, aber auch von Großstädten. Das Fazit: Von den 671 Kommunen, die den Fragebogen ausgefüllt hatten, haben aktuell nur 81 eine Baumschutzverordnung. Warum sind das so wenige? Auch danach hatte der BN gefragt. Die Antworten darauf sind vielschichtig: Die aktuelle Baumschutzverordnung sei ein Bürokratiemonster, im besten Fall wirkungslos, im schlimmsten kontraproduktiv. Auch knappe öffentliche Kassen wurden als Begründung genannt, ebenso wie der für die Umsetzung der Verordnung notwendige Personalaufwand, der von vielen Gemeinden einfach nicht zu stemmen sei.

Auch Norbert Stumpf begründet die Bubenreuther Entscheidung gegen eine solche Verordnung damit, dass er niemanden für die zusätzlichen Aufgaben abstellen könne. Dabei, so Christopher Busch vom BN-Landesverband, sei der Aufwand für eine Kommune überschaubar: "Es geht natürlich nicht ohne Personal, das ist klar. Wir schätzen aber, dass eine Kommune mit 10 000 Einwohnern auf zehn Stunden im Monat kommt", rechnet Christopher Busch vor.

Vier Wochenstunden für Baumschutz

German Hacker, Bürgermeister von Herzogenaurach, größter Landkreis-Gemeinde in ERH mit rund 25 000 Einwohnern, kann den Aufwand für die Umsetzung der Baumschutzverordnung konkret benennen: Rund vier Stunden in der Woche sei in seiner Stadt jemand damit beschäftigt, entsprechende Anträge zu prüfen, Ersatzpflanzungen zu kontrollieren oder Vor-Ort-Termine wahrzunehmen. Schon 2002 habe die Stadt sich für eine Baumschutzverordnung entschieden. "Sie hat sich bewährt", sagt Hacker.

Erlangen zählt zu den Vorreitern in Bayern

Erlangen gehörte sogar mit zu den ersten Städten in Bayern, die sich für eine Baumschutzverordnung entschieden haben: Seit 1975 gibt es eine; abgewickelt wird die Arbeit über das Amt für Umweltschutz und Energiefragen, wo aktuell eine Vollzeitstelle für die Kontrolle und die Umsetzung der Verordnung eingerichtet ist. Eine halbe Stelle kommt für die Bearbeitung der Bescheide hinzu. "Aufgrund von Überschneidungen sind auch andere Stellen teilweise mit den Belangen der Baumschutzverordnung beschäftigt", so ein Sprecher der Stadt.

Christopher Busch glaubt, dass das Thema Baumschutzverordnung eher eines in (größeren) Städten sei als in (kleineren) Gemeinden. "Vielleicht, weil man dort der Meinung ist, man lebe eh schon im Grünen, wozu brauche es dann eine Baumschutzverordnung." In der Studie gaben rund 14 Prozent der befragten Kommunen an, dass sie eine Baumschutzverordnung als "zahnlosen Tiger" empfinden – in jenen Fällen, in denen es dort, wo sie angewendet werden könnte, bereits ein bestehendes Baurecht gibt. So auch in Bubenreuth.

Plan aus den 1960er Jahren

Der Bebauungsplan der Gemeinde stamme, so Stumpf, aus den 1960er Jahren. Der Baumbestand sei hier nicht geregelt. "Somit ist es das Recht des Bauherrn, die Bäume, die der Umsetzung seines Vorhabens im Wege stehen, zu beseitigen beziehungsweise eine Ausnahme oder Befreiung für die Fällung zu beantragen", erklärt ein Sprecher des Erlanger Landratsamts. Für letztere Ausnahme müssten aber artenschutzrechtliche Gründe vorliegen. Genau an dieser Stelle wird es ziemlich kompliziert: Denn das Landratsamt hatte die Gemeinde dazu aufgefordert, besagten Bebauungsplan zu überarbeiten, nachdem Bubenreuth in der Vergangenheit bereits Befreiungen von diesem Plan zugestimmt hatte, um punktuell Nachverdichtungen zu ermöglichen.

Artenschutzrechtliche Prüfung war nötig

Im Zuge der Überarbeitung des Bebauungsplans musste Bubenreuth eine artenschutzrechtliche Prüfung vornehmen, da aufgrund des alten Baumbestands davon auszugehen war, dass in dieser Bewaldung zum Beispiel Fledermäuse ihre Wohn- und Brutstätten haben.

Genau diesen Verdac ht der Naturschützer hat ein Gutachten dann bestätigt: Zahlreiche Fledermausarten – darunter auch solche, die vom Aussterben bedroht sind – haben unter anderem im Einzugsgebiet des eingangs erwähnten Grundstücks ihr Zuhause. "In einer Besprechung im Februar 2019 mit dem Landratsamt, der Unteren Naturschutzbehörde und der Regierung von Mittelfranken wurde verabredet, dass der Bebauungsplan aus diesem Grund doch nicht verändert werden soll", erklärt Helmut Racher, Geschäftsleitender Beamter der Gemeinde Bubenreuth. Das Gutachten, so Racher, habe die Gemeinde mehrfach an das Landratsamt und an die Untere Naturschutzbehörde übermittelt.

"Fällungen durchgewunken"

"Fakt ist, dass die Naturschutzbehörde die Baumfällungen durchgewunken und sich offensichtlich nur mit baurechtlichen Fragen beschäftigt hat", sagt Racher. Seiner Meinung nach hätte die Regierung von Mittelfranken als Genehmigungsbehörde eingeschaltet werden oder zumindest die Gemeinde vor den Fällungen noch einmal befragt werden müssen. Das sei nicht geschehen, betont Bürgermeister Stumpf.

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