Kann ich nicht gibt es nicht: Erlanger bei Schwimm-EM

21.6.2018, 11:30 Uhr
Josia Topf von der SSG 81 Erlangen bei den Internationalen Deutsche Meisterschaften im Schwimmen für Menschen mit Behinderung.

© Ralf Kuckuck / DBS-Akademie Josia Topf von der SSG 81 Erlangen bei den Internationalen Deutsche Meisterschaften im Schwimmen für Menschen mit Behinderung.

Vor kurzem, sagt Wiebke Topf, gab es erst wieder so einen Moment. Einen, der viel größer ist, als dass man ihn in Worte fassen kann, man muss ihn erleben – und selbst dann weiß man ja noch gar nicht, was er erst für ihren Sohn Josia, für sie und ihren Mann bedeutet. Es war beim Sparkassen-Cup im Röthelheimbad, eine Schwimm-Veranstaltung, bei der allerlei Kinder und Jugendliche um die Wette schwimmen. Auch Josia war dabei. "Aber ehrlich gesagt", sagt Wiebke Topf, "hatte ich da schon Bedenken, ob sie ihn nicht alle anstarren werden."

Josia ist schließlich mit Tar-Syndrom zur Welt gekommen, einem sehr seltenen und bei ihm stark ausgeprägten Gendefekt. Dem 15 Jahre jungen Buben fehlen beide Arme und beide Kniegelenke, die Beine sind verschieden lang. "Diese Behinderung", sagt Wiebke Topf, "stört immer und überall, sie ist anstrengend – es ist einfach bescheuert, dass es sie gibt." Aber gerade weil es sie gibt, hat Josia seiner Mutter auch so unheimlich viel über das Leben beigebracht. So wie beim Sparkassen–Cup, als der 15-Jährige erstmals einen Wettkampf mit nicht behinderten Kindern bestritt.

"Es kommt ganz drauf an, was man wissen will", sagt Josia, wenn man ihn fragt, ob er über seine Behinderung sprechen möchte. Weil er auffallend freundlich und wohlerzogen ist, würde er es nicht zugeben, aber es gibt ganz sicher nichts, was ihn mehr stört, als darüber zu sprechen, dass er anders aussieht als die meisten Gleichaltrigen. Dass er jemanden braucht, der ihm Kleidung an- und auszieht. Dass er in der Schule länger Zeit bekommt als die Mitschüler zum Lösen von Aufgaben. Dass er sich, wohin er auch geht, vorher informieren muss, ob es noch einen anderen Eingang als den mit den 25 Stufen gibt.

"Ich versuche, die Behinderung so gut es geht in den Alltag zu integrieren", sagt Josia Topf. "Sie bringt nur Nachteile und ich werde mein Leben lang härter arbeiten müssen um etwas zu erreichen, das andere schnell und viel einfacher schaffen."

Josia will nicht anders sein als Andere, deshalb bittet er nicht um Verschnaufpausen, wenn er abgekämpft vom Treppensteigen in die Schulklasse tritt. Wenn seine Füße schmerzen nach zehn Stunden Unterricht und eigentlich hochgelegt und gekühlt werden müssten. "Er beschwert sich nie", sagt Wiebke Topf mit einer besonderen Mischung aus Stolz und Empörung.

Josia hat Pflegestufe fünf, ist zu einhundert Prozent schwerbehindert und das "H" in seinem Ausweis steht für "hilflos". Doch wer ein wenig hinhört, wie er sein Leben meistert, stellt fest, dass er nicht hilflos, sondern, im Gegenteil, ganz besonders ist.

In Bubenreuth besuchte er Kindergarten und Grundschule, derzeit geht er aufs Marie-Therese-Gymnasium. Josia möchte Jura studieren, Anwalt werden oder Notar, vielleicht auch in die Politik gehen – "mit Jura habe ich dann viele Möglichkeiten und bin nicht eingeschränkt", sagt er. Einschränkung — das Wort haben seine Eltern und er schon viel zu oft gehört. "Ich sage immer: Wer nicht mehr an Wunder glaubt, der soll mit Josia schwimmen gehen", sagt Wiebke Topf. ",Das kann er nicht‘ habe ich aufgehört zu sagen, weil es nicht stimmt. Josia findet immer einen Weg."

Kann ich nicht gibt es nicht: Erlanger bei Schwimm-EM

© Fotos: Ralf Kuckuck/Marie-Theres Graf

Angetrieben von einem unglaublichen Ehrgeiz, wie auch sein Schwimm-Trainer bei der SSG Erlangen, Christian Thiel bestätigt: "Ich sage oft: Wir probieren das jetzt viermal. Wenn es nicht geht, machen wir etwas Anderes. Aber ich weiß: Josia wird nicht aufhören, bevor er es kann." Pionierarbeit ist das dann im Röthelheimbad, eine Anleitung für eine Wende ohne Arme im Schmetterlingschwimmen gibt es nicht einmal im unendlich weiten Internet.

"Ich gebe niemals auf"

"Ich gebe niemals auf", sagt Josia, "weil ich Angst habe, dass wenn ich es einmal gemacht habe, dass ich dann immer wieder aufgebe." Und wenn es nur darum geht, eine Schwimmbrille heraufzutauchen. Ein Jahr lang, sagt seine Mutter, haben sie trainiert, das er sich irgendwie am Beckenrand festhalten kann. Ein Jahr lang haben sie trainiert, bis er auf einem aufblasbaren Kissen auf dem Wasser treiben kann. Als er beim Sparkassen-Cup über die normale Leiter aus dem Schwimmerbecken kam, wusste nur sie, dass vier Jahre Arbeit darin steckte. "Ich möchte nicht, dass ich sagen muss: Das kann ich nicht. Wenn ich etwas nicht mache, will ich sagen können: Weil ich gerade nicht will", sagt Josia.

Mit dieser Einstellung und der Gewissheit, "dass wir Eltern ihn nicht nur lieben, sondern absolut fasziniert von ihm sind", wie Wiebke Topf sagt, mit der Kraft, die ihm jedes Bisschen hart erkämpfte Selbstverständlichkeit gibt, mit der qualifizierte er sich nun bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften im Schwimmen für Menschen mit Behinderung in Berlin für die Nationalmannschaft. Im August wird er in Dublin bei den Europameisterschaften ins Wasser gehen – "was mich sehr stolz macht", sagt Josia, "aber auch wenn ich das nicht geschafft hätte, würde ich weiter Schwimmen gehen". Weil es Spaß macht, im Wasser schneller und beweglicher zu sein als Vater und Mutter, weil die Erfolge wie vier neue Deutsche Rekorde und sogar der Deutsche Meistertitel in der offenen Klasse gegen Paralympicsteilnehmer Selbstbewusstsein geben, aber auch, weil es wieder ein Stück Normalität schenkt: "Im Wasser", sagt Josia, "fühle ich mich frei und unabhängig."

Beim Sparkassen-Cup im Röthelheimbad, da war er zum ersten Mal der einzig Behinderte in einem Wettkampf. Dass ihr Sohn sich mit Kindern ohne Beeinträchtigung sportlich messen will, hat nur Wiebke Topf und ihren Mann verunsichert, für Josia gab es nichts Schöneres. "Als er anschlug", erzählt seine Mutter – er muss das ziemlich unsanft mit dem Kopf tun – "standen die Menschen plötzlich auf, alle klatschten und jubelten, manche hatten Tränen in den Augen." Josia hatte ihnen allen gezeigt, was ihm so wichtig ist: Dass es ein Kann-ich-nicht bei ihm nicht gibt.

Deutsche Rekorde von Josia Topf

200m Freistil

50m Rücken

50m Freistil

50m Schmetterling

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