Kinderklinik Erlangen gibt Einjähriger mit Gentherapie eine Zukunft

23.10.2020, 15:00 Uhr
Kinderklinik Erlangen gibt Einjähriger mit Gentherapie eine Zukunft

© Alessa Sailer/Uni-Klinikum Erlangen

Alles fing mit einer Routineuntersuchung beim Kinderarzt im November 2019 an. "Er stellte fest, dass mit Lisas Hüfte etwas nicht in Ordnung war, daher ging ich mit meiner Tochter regelmäßig zur Physiotherapie", schildert Lisas Mutter die Ausgangssituation.

"Die Physiotherapeutin sprach mich dann bald darauf an, dass Lisa ihren Kopf nicht halten könne. Mein Mann und ich waren alarmiert und kontaktierten daraufhin die Kinderarztpraxis. Im Februar 2020 waren wir schließlich bei Regina Trollmann, die recht schnell die Diagnose stellte: spinale Muskelatrophie."

Auf der Intensivstation

Nachdem die kleine Lisa eine Woche später mit Atembeschwerden und einer Influenza-Infektion auf die Intensivstation kam, war der Mutter der Kleinen klar: "Hätten wir nicht gewusst, dass SMA zu Atembeschwerden führt, hätten wir sicherlich nicht so schnell gehandelt und gedacht, das wäre aufgrund einer normalen Grippe. Dass wir über die Erkrankung Bescheid wussten, rettete unserer Tochter vielleicht das Leben."

Heute kann Lisa die Hand ihrer Mutter drücken, die Arme schon etwas hochheben und hat eine kräftige Stimme. Rückblick: Im zarten Alter von nur sechs Monaten erhielt die kleine Patientin in der Neuropädiatrie der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen die Diagnose einer spinalen Muskelatrophie (SMA). Etwa eines von 10.000 Neugeborenen kommt mit dieser Erbkrankheit zur Welt. SMA geht mit fortschreitender Muskelschwäche und Funktionsverlust der Motoneurone im Rückenmark einher und kann bereits im frühen Kleinkindalter zum Tod führen. Prof. Dr. Regina Trollmann, Leiterin der Abteilung Neuropädiatrie, verabreichte Lisa nun als erster Erlanger Patientin die erst seit Juli 2020 in Deutschland zugelassene Gentherapie mit Zolgensma.

Erblicher Defekt

Ursache der SMA ist ein erblicher Defekt des Survival-Motoneuron-Gens (SMN) auf dem Chromosom 5. Jeder Mensch hat neben SMN1 eine zweite, nahezu identische Gensequenz SMN2, die aber unvollständig ist und keine ausreichende Menge des Eiweißes produziert, das für das Überleben und die normale Funktion der motorischen Nervenzellen des Rückenmarks zuständig ist. Ist diese Funktion gestört, kommt es zum vorzeitigen Abbau der Motoneuronen und die normalen Impulse der Nerven werden nicht mehr richtig an die Muskeln weitergegeben.

Die Erkrankung tritt in unterschiedlich schweren Formen auf. Bei den milderen Varianten erleben immerhin etwa drei Viertel der Betroffenen das junge Erwachsenenalter. "Sie kämpfen jedoch in der Regel mit Muskelschwäche und Gelenkdeformationen, mit einer Skoliose und Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen. Auch Schluckstörungen und chronische Schmerzen beeinträchtigen die Erkrankten erheblich", zählt Prof. Trollmann auf. "Die schwerste Form trifft Neugeborene und Babys bis zu einem Alter von etwa sechs Monaten. Diese Kinder können ihren Kopf nicht selbstständig aufrichten und weder sitzen noch stehen. Fast drei Viertel erleben ihren dritten Geburtstag nicht, weil ihre Atemmuskulatur nicht mehr ausreichend funktionsfähig ist. Dass das neue Medikament Zolgensma betroffenen Kindern nun mit nur einer einzigen Infusion helfen kann, ist einfach sensationell."

"Ich blicke positiv in die Zukunft"

Lisas Zustand hat sich bereits wenige Tage nach der Infusion des Gentherapeutikums gebessert: "Ihre Stimme ist viel kräftiger als vorher und beim Weinen rasselt sie jetzt nicht mehr. Auch leichte Spielzeuge hebt Lisa mittlerweile allein hoch. Ich bin zuversichtlich, dass es für sie weiter bergauf geht. Sie ist wirklich eine Kämpferin!", freut sich die Mutter der Einjährigen. "Nach der Diagnose dachte ich noch: ‚Warum wir?‘ Aber mittlerweile blicke ich positiv in die Zukunft, denn schließlich haben wir das Medikament bekommen, das Lisa ein sorgenfreies Leben ermöglichen kann."

Noch läuft die Kleine nicht, doch sie kämpft sich Schritt für Schritt zurück in einen normalen Alltag mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder. "Auch wenn es noch ein Jahr dauern wird oder zwei, bis sie gehen kann, sind wir froh über die Chance, die uns Zolgensma gegeben hat", sagt Lisas Mutter.

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