Klarer Blick auf Sexualität in Erlanger Schulen

21.12.2017, 18:00 Uhr
Klarer Blick auf Sexualität in Erlanger Schulen

© ÄGGF/Glasow

Über Sexualität sprechen, über Körperteile und Geschlechtskrankheiten: Für Heike Kramer ist dies das Normalste der Welt. Es gehört bei ihr schlichtweg zum Beruf. Dabei erlebt die Ärztin oft, dass andere sich damit viel schwerer tun. "Über Sexualität zu sprechen, ist für viele Menschen schwierig", sagt sie.

Heike Kramer ist im Vorstand der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung (ÄGGF). Vor 65 Jahren wurde die ÄGGF von einer Gynäkologin gegründet, seit 1956 ist sie als gemeinnütziger Verein anerkannt. Seit 26 Jahren ist Kramer dabei, zuerst in Aachen, seit 20 Jahren in Erlangen. Um Gesundheitsförderung und Prävention geht es, inhaltliche Schwerpunkte sind "Sexualität und reproduktive Gesundheit". Junge Menschen sollen laut Vereinssatzung ärztlich beraten und zu gesundheitsbewusstem Handeln befähigt werden.

Zwar führt Heike Kramer auch Ärztefortbildungen durch, informiert Lehrer und Eltern, doch zu 85 Prozent sind ihre Zuhörer Schüler. Inzwischen sind vier weitere Ärztinnen in Erlangen, zwei in Nürnberg eingestiegen und besuchen Schulen, "wir machen immer eine Doppelstunde", sagt Kramer. "Wenn man jedes Jahr wiederkommt, dann bleibt etwas hängen." Auch an der staatlichen Berufsschule Erlangen ist sie einmal im Jahr, jede der bis zu 50 elften Klassen bekommt eine ärztliche Informationsstunde, "es ist die einzige Berufsschule in Bayern, die das macht", sagt die Ärztin.

Dass Sexualität ein großes Thema ist, davon ist die Ärztin überzeugt. Schließlich "begleitet es den Menschen ein Leben lang". Logisch also, dass man das nicht in ein paar Unterrichtsstunden abdecken kann. "Ohnehin", sagt sie, "können wir nicht den Lehrplan ersetzen, sondern das ist ein Zusatzangebot".

Eines, bei dem Information aus ärztlicher Sicht angeboten wird. Das heißt auch, Heike Kramer unterliegt der Schweigepflicht. Manchmal fragt sie sich, wie gut Schüler von ihren Lehrern überhaupt Sexualaufklärung annehmen und ob es nicht generell sinnvoll wäre, "Externe mit einzubinden, weil sie unvoreingenommen gegenüber allen Schülern sind". Die Themen? Zunächst Anatomie und Physiologie. Jugendliche wissen nach Kramers Erfahrung erstaunlich schlecht Bescheid, Jungen noch weniger als Mädchen. Weitere Themen? Sie zählt auf: "Pubertät, Zyklus, fruchtbare Tage, erster Gynäkologen-Besuch bei Mädchen, erster Urologen-Besuch bei Jungen".

Auch um Körperakzeptanz geht es. Dahinter stehe, so Kramer, die Sorge um die eigene Normalität. Und wie sieht es beim Thema Homosexualität aus?

"Respekt im Umgang mit der Vielfalt sexueller Orientierungen durchwebt die neuen bayerischen Richtlinien zur Sexualerziehung an Schulen", erklärte kürzlich Wolfgang Ellegast, Referatsleiter am Kultusministerium in München und dort zuständig für Familien- und Sexualerziehung an allen Schularten, gegenüber dieser Zeitung. "Wenn ,durchwebt‘ bedeutet, dass es häufiger stattfindet, dann ist das eine gute Sache", sagt Heike Kramer. Gibt es noch Aufklärungsbedarf? Das bejaht Kramer, "vor allem bei Jungen, sie empfinden Homosexualität als bedrohlicher als Mädchen".

Auf Vorbehalte gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen stößt die Ärztin immer noch, "auch wenn wir uns weiterentwickelt haben und es inzwischen eine gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland gibt". Outen will sich aus diesem Grund noch längst nicht jeder. "Mir ist es ein Anliegen, dass über das Thema gesprochen wird, denn homosexuelle Männer sind die Gruppe mit den meisten Neuinfektionen bei HIV", sagt die Ärztin, "und auch Syphilis, Tripper und Feigwarzen nehmen bei Männern zu".

Feigwarzen werden durch Papillomaviren hervorgerufen, gegen die es eine Impfung gibt. Die hält Heike Kramer für sinnvoll. Dass sie von der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch- Institut nur für Mädchen, nicht aber für Jungen empfohlen und deshalb bei ihnen auch nicht von der Krankenkasse bezahlt wird, hält sie für problematisch. "Es kann doch nicht sein, dass wir die Jungen links liegen lassen bei der gesundheitlichen Aufklärung."

Und in den Schulen, so findet sie, müsste Sexual- und Gesundheitsprävention "viel entwicklungsbegleiteter thematisiert werden". Zum einen entwickeln sich Mädchen und Jungen im Alter zwischen 9 und 15 sehr unterschiedlich. Zum anderen gibt es auch bei jungen Erwachsenen noch Aufklärungsbedarf.

Eine Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter 16-Jährigen zeigt, dass 45 Prozent der Mädchen und ein Drittel der Jungen sexuelle Erfahrungen haben, bei den anderen steht dies noch aus. "Bei den Jungen werden zwei Drittel erst danach sexuell aktiv und dann ergeben sich Fragen", so Kramer. "Aber dann ist die Sexualerziehung in der Schule lange her."

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