Kommentar: Armutszeugnis

9.12.2011, 00:00 Uhr

Aber das ist nur ein Teil der traurigen Geschichte. Der andere lautet: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Warum haben sich der Ausländer- und Integrationsbeirat, Amnesty International Erlangen und der bayerische Flüchtlingsrat dazu entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ganz einfach und bitter banal: Weil alle anderen Versuche, Gehör zu finden, verpufft sind. Weil viele Beschwerden über die Art und Weise, wie die Erlanger Ausländerbehörde mit Flüchtlingen umgeht, nicht ernst genommen wurden. Weil beim verantwortlichen Verwaltungschef offensichtlich die Sensibilität für die Brisanz fehlt.

Der Ausländerbeirat hat in langen Jahren bewiesen, dass er auf Kooperation setzt und nicht auf Konfrontation. Der Vorsitzende, José Luis Ortega, ist ein Mann des Ausgleichs, kein Krawallbruder. Für ihn — wie für die anderen Vertreter der Flüchtlingsorganisationen — war die Pressekonferenz das letzte Mittel, um auf das von ihnen kritisierte Verhalten aufmerksam zu machen.

Beschwerden über das Ausländeramt werden von etlichen Stellen geführt. Sie kommen sogar aus der Verwaltung und selbst von Stadträten, die sich oft empört zeigen. Leider sagen sie das nur hinter vorgehaltener Hand.

Es sind der Verwaltungschef und seine nächsten Mitarbeiter, die einen in der Kritik stehenden Sachbearbeiter und sein Amt alleine gelassen haben: Durch ungenügendes Gespür für die Bedeutung der Probleme haben sie mit zu der Eskalation beigetragen. Jetzt mit großer Geste und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Boten der schlechten Nachricht zu zeigen,lenkt von der eigenen Verantwortung ab.

„Offen aus Tradition“ — damit rühmen sich die Verantwortlichen gerne. Wenn aber die Erlanger Ausländerbehörde zum Beispiel einer schwer traumatisierten Frau die Reiseerlaubnis in ein Behandlungszentrum für Folteropfer verwehrt, dann ist das ein Armutszeugnis für die Hugenottenstadt. Dann wird das Motto „Offen aus Tradition“ zur Farce.
 

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