Leben in einer „Ellenbogengesellschaft“

7.5.2011, 00:00 Uhr
Leben in einer „Ellenbogengesellschaft“

© Meyer

Den Eingang zum schmucken Einfamilienhaus in Röttenbach bewacht ein Terrakotta-Krieger. Ein weiterer steht im Esszimmer. Ein Tischläufer mit dezenter Seidenstickerei schmückt den Esstisch, an den Wänden Fotos von schwimmenden Märkten und kleinen Städtchen am Fluss, ein chinesischer Schrank ziert eine Ecke. Alles Erinnerungen an drei Jahre Leben im bevölkerungsreichsten Land der Erde.

Leben in einer „Ellenbogengesellschaft“

© privat

„Ni hao Shanghai“ oder „Konfuzius und Plastikmüll — China, wohin geht Du?“ lautet der Titel des rund 440 Seiten starken Werkes von Werner Rosenzweig. Das Buch, ein Zwitter zwischen Ratgeber für künftige Geschäftsbeziehungen nach China, eigenen Erlebnisberichten und Reisetipps, angereichert mit vielen privaten Bildern.

Nein, von einer Liebe zu den Chinesen kann bei Werner Rosenzweig und seiner Frau Annemarie nicht die Rede sein. „China ist eine Ellenbogengesellschaft. Chinesen haben keinen Gemeinschaftssinn“, sagt Rosenzweig. „Für einen Chinesen kommt er selbst immer zuerst, dann die Familie, dann die Freunde. Danach ist Schluss.“ Von der Politik ganz zu schweigen. Und er vergleicht die Katastrophe in Japan fiktiv mit China: „Im Gegensatz zu den Japanern, die sich diszipliniert verhalten und immer noch zuerst an die Gesellschaft denken, hätten sich die Chinesen in ihrem Egoismus vermutlich totgetrampelt.“

Drei Jahre haben die Rosenzweigs mit ihren beiden Töchtern Sabrina und Mirjam in Shanghai gelebt. 13 und neun Jahre waren die Mädchen bei der Ankunft im Reich der Mitte alt. In China gingen sie in eine deutsche Schule, allerdings mit wesentlich leichteren Anforderungen, was bei der Rückkunft vor zwei Jahren zu Problemen geführt hat.

In Shanghai wohnt die Familie in einem großen Haus in einer Kolonie für Ausländer. Entsprechend gering sind die privaten Kontakte zu Chinesen. „Ein Chinese lädt auch selten zu sich nach Hause ein. Schon gar nicht einen Ausländer. Vielleicht ist da auch die Hemmschwelle zu groß, man schämt sich für seine im Vergleich mit den Europäern ärmliche Wohnsituation. Die Mieten in Shanghai sind hoch, die Verdienste eher gering“, so Rosenzweig. Auch die Arbeitslosigkeit sei hoch und werde laut Rosenzweig weiter anwachsen: „Das wird noch ein großes Problem werden“, prophezeit der Experte.

Trotz vieler Vorbehalte gegenüber den Chinesen, das Land begeistert den Röttenbacher. Vor allem das gute Essen, die Märkte und nicht zuletzt die faszinierenden Landschaften. „China ist ein wunderschönes Reiseland. Wir konnten gar nicht alles anschauen“, so der 60-Jährige. Die Familie reist viel im Land umher, nutzt auch die Gelegenheit zu Abstechern in andere asiatische Länder.

Vermisst hat Rosenzweig während seines Aufenthalts dagegen vor allem die fränkischen Biergärten, den blauen Himmel, die gute Luft. „Und die Ruhe“, wirft seine Frau ein. China sei einfach zu hektisch. Zu laut. Zu schmutzig. Gerade sie und die Kinder hätten oft Heimweh gehabt.

Größter Unterschied

Den größten Unterschied zwischen Chinesen und Europäern sieht der Vertriebskaufmann und bei Siemens zuständig für Nahverkehrsfahrzeuge in den Beziehungen zu den Geschäftspartnern. „Chinesen machen prinzipiell nur Geschäfte mit Leuten die sie kennen. Und dazu braucht es wiederum einen Menschen, der einen einführt. Chinesen sind viel weniger gut organisiert, haben dafür aber eine überaus strenge Sitzordnung bei Meetings. Diese ist oft wichtiger als Vertragsinhalte. So gibt es immer einen Wortführer, der auch bestimmt, wenn ein Geschäftsessen beendet wird. Egal, ob andere vielleicht noch Hunger oder Durst haben.“

Dieses Wissen setzt Rosenzweig jetzt in seinem neuen Job als Selbstständiger um: Er berät kleinere und mittlere Unternehmen, die in China Fuß fassen wollen. Kurz nach seiner Rückkunft aus China im Jahr 2008, es ist gerade die Zeit des Bestechungsskandals und der anschließenden großen Umstrukturierung bei Siemens, nimmt der damals 58-Jährige die angebotene großzügige Abfindung an und verlässt den Konzern.

Neben seiner Beratertätigkeit widmet er sich nun dem Bücherschreiben. „Ni hao Shanghai“ kam Anfang des Jahres auf den Markt, ein weiteres Buch, ein Wirtschaftskrimi, der in China und Franken spielt, wird gerade aufgelegt und an einem dritten Krimi, bei dem es um Organhandel — natürlich in China — geht, ist gerade fertig geworden.

Und ein weiteres Buch ist in Planung. Diesmal von der anderen Warte aus: Eine Art Ratgeber für Chinesen, die Geschäfte in Deutschland und Europa machen wollen. Denn mit deren Mentalitäten ist Rosenzweig ja bestens vertraut.