Leidenschaftlich europäisch: Der EN-Stammtisch im E-Werk in Erlangen

5.5.2019, 19:00 Uhr
Leidenschaftlich europäisch: Der EN-Stammtisch im E-Werk in Erlangen

© Harald Sippel

Europa. "Ach!", um es mit dem verstorbenen Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser zu sagen. Ach!, denn längst ist die Zeit vergangen, als der Konsens zu Europa ultrastabil war, so wie noch in der Ära von Helmut Kohl, der als Kanzler proeuropäisch war. Ein Nachkriegseuropäer und "Herzenseuropäer", wie ihn Heiner Bielefeldt nennt. Der Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der FAU war gestern — am 70. Jahrestag der Gründung des Europarats — einer des Diskussionsteilnehmer beim EN-Stammtisch in der Kellerbühne des E-Werks .

"Europa — was geht mich das an?", war die Veranstaltung betitelt. Die Antwort: offenbar viel. Dass die Erlanger europamüde sind, kann man in Frage stellen, konstatierte EN-Redakteur Stefan Mößler-Rademacher angesichts des regen Besucherzuspruchs. Das Stammtisch-Gespräch auf der Bühne war spannend, wer allerdings gern einen Stammtisch-Streit erlebt hätte, kam nicht auf seine Kosten. Denn hier hatten ganz klar Europabefürworter Platz genommen, neben den Genannten außerdem Sebastian Büttner, Vertretungsprofessor für Vergleichende und Transnationale Soziologie an der Universität Duisburg-Essen, Christian Schäfer, Mitarbeiter des Deutsch-Französischen Institus Erlangen, sowie EN-Redaktionsleiter Markus Hörath.

Dass Europa auch "Kritik verdient und eine Menge Probleme hat", räumten alle durchaus ein. Aber es sei wie mit der Familie und dem Fußballverein, meinte Sebastian Büttner. "Man regt sich darüber auf, aber sobald diese von außen angegriffen werden, verteidigt man sie." Und auch ohne die Details der Institutionenkunde zu kennen — "erschreckend, wie wenig Wissen an den Schulen vermittelt wird", so Büttner — und "ohne das Kleingedruckte zu lesen, kann man leidenschaftlich europäisch sein" (Bielefeldt).

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Nach Kanzler Kohl dann also Kanzlerin Merkel, "nicht als Herzenseuropäischer gestartet, aber Überzeugungseuropäerin geworden", so Bielefeldt, denn sie habe erkannt, dass Europa durch die Krisen der Welt erdrückt werden könnte. "Europa ist ein Friedensprojekt, das über sich selbst hinausweist", sagt Bielefeldt. Der Versuch, in einer Zeit, in der die großen Strukturen zerschlagen werden, etwas zu retten oder aber auch aufzubauen. "Es geht darum, dass in einer Zeit, in der die multilaterale Kooperation zerschlagen wird, in der Spielernaturen wie Trump oder Zyniker wie Putin und ein neototalitäres China den Ton angeben, für Menschenwürde und Menschenrechte, aber auch für die schwierige Kompromissbildung in der Politik Flagge gezeigt wird."

Der Geschichte der Europäischen Union ist — und das wird während der Veranstaltung sehr deutlich — nichts Starres. "Sie schreitet voran", so Büttner, es gebe ein Europa erster und zweiter Klasse, ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Angesichts der Tatsache, dass sich derzeit rechtspopulistische, antieuropäische Bewegungen zusammentun, müsse man, betont Christian Schäfer, "sehr deutlich und sehr laut für Europa werben".

Allerdings müsse man auch sehen, so Büttner, dass das rechtspopulistische Denken und eine illiberale Sprache nie völlig weg gewesen seien. Von den Rechtspopulisten seien, so fasst Bielefeldt zusammen, keine Lösungen für heutige Probleme zu erwarten, "aber sie können sehr viel Schaden anrichten". In Zeiten von Trump und Brexit erlebe man ja gerade: "Irrsinn ist möglich."

Büttner verweist auf den Soziologen Ulrich Beck, der hervorgehoben hat, dass es nicht um "Nationalstaat oder Europa" gehe, sondern um ein "Sowohl als auch". Die Herausforderung bei Europa: etwas Gemeinsames zu schaffen, ohne dass es ausschließend ist. Hier gibt es noch viele Aufgaben zu bewältigen. Eine davon: "Wir gucken zu wenig nach Osten", meint Bielefeldt. Die Slowakei, Polen: Ein europäisches Projekt bewähre sich auch "in der Empathiefähigkeit gegenüber unseren schwierigen Nachbarn im Osten".

Ach!, Europa: Das belebende Gespräch beim EN-Stammtisch stärkt die Überzeugung, dass die derzeitige Vertrauenskrise überwunden werden kann.

 

 

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