Minister unter Flüchtlingen in Erlangen

22.9.2014, 06:45 Uhr
Minister unter Flüchtlingen in Erlangen

© Harald Sippel

Philip Muturi weiß, was Vorurteile sind — in doppelter Hinsicht. Natürlich sei er damals, vor über 30 Jahren, hier zu Lande immer wieder auf Vorbehalte gegenüber Afrikanern gestoßen: „Gerade von Älteren musste ich mir viele dumme Sprüche anhören“, erzählt der Kenianer, der seit 1979 in Deutschland lebt, davon rund 20 Jahre in Erlangen. Was er dabei aber nicht verschweigt: „Auch ich habe mein Bild von den Deutschen im Lauf der Zeit geändert.“

Denn Klischees gab — und gibt es — auf allen Seiten. Je vertrauter einem das Fremde aber wird, desto leichter bauen sich Ressentiments ab. Heute wüssten die Deutschen jedoch besser über Afrika und Afrikaner Bescheid, sagt Muturi; die Bevölkerung sei vor allem in den Alten Bundesländern viel toleranter als noch vor einiger Zeit. Und auch der 56-Jährige selbst hat dazu gelernt: „Die Deutschen sind nicht alle kalt und herzlos, wenn man hier lebt, sieht man, dass das nicht stimmt.“

Genau diese Erfahrungen gibt er nun, am gedeckten Picknick-Tisch zwischen Tee, Obststückchen und Salat gern weiter. „Das Picknick Bankett ist wirklich gut“, sagt er, „es räumt Vorurteile aus dem Weg.“

Minister unter Flüchtlingen in Erlangen

© Harald Sippel

Lukas Siegritz, der Muturi gegenüber sitzt, weiß aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Rettungssanitäter, dass alle Menschen gleich sind — und das auch für die Flüchtlinge in der Notunterkunft am Freibad West gilt. Als freiwilliger Helfer habe er die Schutzbedürftigen dort mit eigenen Augen gesehen: „Wenn wir unsere Heimat verlassen müssten, wären wir froh, wenn uns jemand aufnimmt“, sagt der Erlanger Abiturient, „es ist nur eine Frage der Menschlichkeit, wenn wir jetzt helfen.“

Da ist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann — zumindest prinzipiell — gleicher Meinung. Während Philip Muturi, Lukus Siegritz und hunderte weitere Einheimische, Ausländer und Asylbewerber ein multikulturelles Fest in der Innenstadt feiern, schaut sich der CSU-Politiker fast zeitgleich in der Zeltstadt um — ein „Ortstermin“ der besonderen Art.

Gemeinsam mit Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) und Bürgermeisterin Elisabeth Preuß (FDP) läuft er durch die Notunterkunft, sieht sich sanitäre Anlagen, Versorgungszelte und Aufenthaltsräume an. Anders als bei einem Presserundgang vor rund zwei Wochen (wir berichteten), dürfen die Besucher diesmal für wenige Minuten die Aufenthalts- und Schlafzelte der Flüchtlinge betreten: „Ich wollte, dass der Minister wirklich sieht, unter welchen Bedingungen die Menschen hier leben“, erklärt Preuß später im Gespräch mit den Erlanger Nachrichten, „deshalb haben wir ihn dort hingeführt.“

Feldbett an Feldbett

Der Blick in das letzte Stück Privatsphäre, das den Menschen geblieben ist, erzielt Wirkung: Betreten blickt Herrmann auf Dutzende Feldbetten, eines neben dem anderen, aus Brandschutzgründen getrennt nur mit wenigen Stellwänden. Überwiegend junge Männer liegen leicht lethargisch auf den Pritschen, einige haben Tüten mit ihren Habseligkeiten und Wasserflaschen neben sich stehen.

Minister unter Flüchtlingen in Erlangen

© Harald Sippel

„Diese Zustände haben nichts mit der bayerischen Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre zu tun“, weist der Minister eine entsprechende Frage unserer Redaktion zurück. Es sei ein Notfall, mit verursacht durch die kurzfristige Schließung der Münchner Erstaufnahmeeinrichtung. Die Entwicklung habe niemand voraussehen können. Richtig ist: Die Masern-Epidemie und der folgende Aufnahmestopp in der Landeshauptstadt haben die Situation tatsächlich verschärft. Dass allerdings die Zentrale Anlaufstelle in Zinndorf schon seit vielen Monaten völlig überlastet ist, sagt der Minister nicht.

Ganze eineinhalb Stunden nimmt sich Herrmann für seinen Besuch Zeit, spricht mit vielen haupt- und ehrenamtlichen Helfern und — natürlich — den Flüchtlingen selbst. „Das ist keine Lösung auf Dauer“, sagt er schließlich, „wir müssen die Asylverfahren beschleunigen und nach festen Unterkünften suchen.“

Für Erlangen aber gestaltet sich gerade das zum großen Problem. Wenn die alte Chirurgie („Bettenhaus“) oder die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt („Hupfla“) als mögliche Standorte genannt würden, seien das reine „Geisterdebatten“, an denen die Stadt sich nicht beteiligen wolle, sagt Janik. „Wir suchen nach geeigneten Objekten; wenn wir welche gefunden haben und alles unter Dach und Fach ist, teilen wir das auch der Öffentlichkeit mit — aber keinen Tag früher.“

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