Nach Anschlag in Wien: "Der Hass trifft jetzt alle"

10.11.2020, 17:30 Uhr
Nach Anschlag in Wien:

© Harald Sippel

Gestern Hanau und Halle, heute Wien und morgen? Für Ester Limburg-Klaus, die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde (JKG) in Erlangen nehmen die Anschläge einfach kein Ende. Sie werden nicht weniger, sondern mehr.

Selbst wenn die genauen Hintergründe noch nicht geklärt sind, steht fest: Auch das jüngste Attentat eines Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) spielte sich in der österreichischen Hauptstadt nahe der Hauptsynagoge ab und forderte vier Menschenleben. Mehr als 20 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die Christlich-Islamische Arbeitsgemeinschaft" (CIAG) Erlangen drückte den Familien in einer Pressemitteilung bereits ihr Mitgefühl aus.

Täter, Netzwerke und Art der Anschläge 

Ester Limburg-Klaus will rechtsextreme Gewalt nicht mit islamistischer gleich setzen, dazu sind Täter, Netzwerke, Ideologien und Art der Anschläge zu unterschiedlich. Doch eines ist gemein: Die Gewaltakte richten sich oft gegen jüdische Einrichtungen und Gotteshäuser.

"Die unterschiedlichen Antisemitismusformen sind klar zu erkennen", sagt die JKG-Vorsitzende. In Halle war es Rechtsextremismus, der zugeschlagen hat und in Wien war es Islamismus, betont sie. "Daran kann man ablesen, welchem Terror wir ausgesetzt sind."

In Wien habe sich die Gewalt aber gegen alle gerichtet: "Es waren christliche Kirchen in der Nähe, es ist möglich, dass Synagoge und Kirche gleichzeitig getroffen werden sollten." sagt ein Sprecher des Bayerischen Innenministeriums auf Nachfrage.

Aber es sei ja das Ziel von Islamisten, in ihren Augen alle Ungläubigen, also Andersgläubige und -denkende zu vernichten. "Deshalb geht das nun einen Schritt weiter, die Gewalt betrifft nicht nur Juden, das ist schon schlimm genug", sagt sie, "sondern es ist ein Angriff auf westliche und christliche Institutionen, also auf unser gemeinsames Leben."

Rechte Ideologie lang verwurzelt

Bei allen Gemeinsamkeiten müsse man beides aber getrennt betrachten. Das Rechte hat sich in Jahrhunderten in Deutschland entwickelt, auch das Christentum hat in seinen Lehren viel Antisemitismus verbreitet, sagt sie. Damit sei auch der Boden für das Nazi-Regime gelegt worden. "Der Hass auf Juden war aber schon lange vorher vorhanden."

Beim Islamismus handle es sich um eine neue Gefahr für ganz Europa. Sie verübten Anschläge mit oft großer Wirkung, das Märtyrertum habe eine große Rolle.

Eine Bedrohung von Rechts findet in Erlangen vor allem verbal statt. "Man wird noch nicht körperlich angegriffen", sagt Limburg-Klaus, "sondern der Antisemitismus zeigt sich in Äußerungen, Drohungen und Droh-Mails, die wir bekommen."

Oft werde es so dargestellt, als handle es sich dabei um Einzeltäter, von dieser Einschätzung aber hält die JKG-Vorsitzende nichts. "Es ist eine vernetzte Organisation, die man im Internet beschauen kannt." Daher ist sie sich sicher, dass die Zukunft in dieser Hinsicht nicht sehr positiv aussieht.

Doch wie gerüstet ist die JKG, wenn die Zukunft nicht positiv aussieht, wie es die Vorsitzende zurückhaltend formuliert? In Erlangen hat die JKG zwei Orte, an denen sie Sicherheit braucht: den Friedhof und das Gemeindezentrum samt Synagoge.

Für ersteres beginnen voraussichtlich im Frühjahr die Bauarbeiten für einen neuen Zaun. Der Freistaat übernimmt den Großteil der mit rund 51 000 Euro veranschlagten Kosten. Die Stadt Erlangen sowie der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinde haben eine Beteiligung von jeweils 10 000 Euro in Aussicht gestellt.

Der neue Zaun bedeutet auch mehr Schutz. Das Gemeindezentrum wird von Sicherheitsleuten überwacht. Die Gemeinde selbst ist weiterhin auf der Suche nach einer neuen Immobilie. Bisher hat man aber kein passendes Gebäude gefunden, das den Sicherheitsansprüchen genügt.

Acht Millionen bereitgestellt

Der Schutz jüdischer Einrichtungen liegt dem aus Erlangen stammenden Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Herzen, betonte er unlängst gegenüber diesem Medienhaus.

Nach dem antisemitischen Anschlag von Halle im September 2019 hatte die Staatsregierung acht Millionen Euro bereitgestellt, bisher sind 6,2 Millionen für Sicherheitsmaßnahmen abgerufen, darunter auch Gelder für die Umzäunung des jüdischen Friedhofs in Erlangen. 

Für den Haushalt 2021 werde er sich dafür einsetzen, die Mittelum weitere drei Millionen Euro aufzustocken, sagte Herrmann mit Blick auf den jüngsten Anschlag. 

Der Artikel wurde zuletzt am Dienstag, 10. November, 17.30 Uhr, geändert.

 

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