Reinhold Messner: "Die Situation ist mehr als ernst"

26.12.2019, 06:00 Uhr
Reinhold Messner:

© Messner-Archiv

Er schrieb vier Dutzend Bücher. Ihm gelangen viele Erstbegehungen, die Besteigung aller 14 Achttausender sowie der "Seven Summits", die Durchquerung der Antarktis, der Wüsten Gobi und Takla Makan sowie die Längsdurchquerung Grönlands. Mit seinem Multivisions-Vortrag "Nanga Parbat – mein Schicksalsberg" – für den es nur noch wenige Karten gibt – ist der Südtiroler am 17. Januar ab 20 Uhr zu Gast in der Ladeshalle. Ein Interview mit der Bergsteiger-Legende, die Mitte September 75 Jahre alt wurde, über den "Eispapst" Wilhelm "Wilo" Welzenbach, den Klimawandel und das Schicksal der Erde unterhalten.

Sie sind im September 75 Jahre alt geworden. Viele Menschen teilen ihr Leben in Abschnitte ein. Hat für Sie nun ein neues Kapitel Ihres Lebens begonnen?

Nicht ein Geburtstag hat mich dazu verführt, sondern bei mir war es mehr oder weniger ein Unfall, der mich damals, als ich von der Mauer meiner Burg Juval gestürzt bin, gezwungen hat, umzudenken. Ich bin in meinem Leben sechsmal umgestiegen und werde es vermutlich irgendwann zum siebten Mal tun.

Sie wirken wie ein Mensch, der keine Ruhe findet. Können Sie auch mal dem Müßiggang frönen?

Das ist nicht meine Sache. Ich pflege immer wieder Herausforderungen anzunehmen. Aber mit relativ großer Gelassenheit.

Sie haben gerade ein Buch über den "Eispapst" veröffentlicht. Worum geht es darin?

Reinhold Messner:

© Foto: Heinz Heiss

Um Wilhelm "Wilo" Welzenbach, der als Eispapst firmiert hat. Er war der Höhenbergsteiger, der klassische Bergsteiger in den 20er und 30er Jahren. Er hatte den richtigen Zugang zu den großen Bergen und wurde dann aber hintergangen. Er starb am Nanga Parbat in einer Route, die er niemals gehen wollte. Das ist die Dramatik, die diese Geschichte und diese Persönlichkeit ausmacht. Mir wurden die Unterlagen, die lange irgendwo versteckt lagen, zugespielt. Damit konnte ich diese ganze Geschichte aufarbeiten. Es ist ein Psycho-Krimi – obwohl niemand erstochen oder erschossen wurde. Aber jemand wurde systematisch ausgegrenzt. Das hängt auch mit dem Dritten Reich zusammen. Nach Hitlers Machtergreifung haben sich die Köpfe im Deutschen Alpenverein alle in diese politische Richtung bewegt. Welzenbach hat für diese Haltung nichts übrig gehabt. Bei ihm handelt es sich um eine großartige Person. Die Unterlagen, darunter hunderte von Briefen, die ich ausgewertet habe, zeigen nun schlüssig, wie das Ganze funktioniert hat und wie hinterhältig alles war.

Stellen Sie sich für so eine aufwändige Recherche-Arbeit ein Team zusammen?

Nein. Das mache ich alles selbst. Aber das Thema könnte auch morgen etwas für die Doktorarbeit eines jungen Wissenschaftlers sein. Ich habe noch andere Unterlagen von Bergsteigern, die bislang nicht aufgearbeitet wurden. Die könnte ein Student gerne in die Hand nehmen. Über die Wissenschaft hinaus könnte man die Ergebnisse noch zu einer leserlichen Geschichte ausarbeiten. Mein Buch ist eine Erzählung, aber ich folge dabei genau den Unterlagen und habe nichts dazu erfunden.

In Ihrem ebenfalls vor kurzem erschienenen Umwelt-Buch "Rettet die Berge" schreiben Sie: Wir stehen am Anfang der Klima-Katastrophe. Wie ernst schätzen Sie die Situation ein?

Die Situation ist mehr als ernst. Denn nichts ist mehr, wie es manche Leute suggerieren, so einfach zurückzuschrauben. Der Mensch hat ja bisher immer in Notfällen Lösungen technologischer Natur gefunden. Aber diesmal bezweifle ich, dass das gelingen wird. Die globale Erwärmung geht ja so sprunghaft nach oben, dass sich weder Tiere noch Pflanzen noch Menschen richtig anpassen können. Es gab zwar immer Veränderungen im Klima und in der Natur auf der Erde. Seit Jahrtausenden. Aber nie in dieser Geschwindigkeit, nie so galoppierend wie jetzt. Deshalb haben wir nun ein ernstes Problem. Sehen Sie nur mal die Berghänge in Südtirol. Felshänge stürzen ab. Stücke so groß wie Häuserzeilen fallen aus den Bergen.

Wo sehen Sie die Ursachen?

Was uns dahin geführt hat? Die große Zahl von Menschen. Der Wachstum, ein Fetisch, an den alle geglaubt haben. Welche Regierung hat den Mut, das Gegenteil von Wachstum zu verkünden? Außerdem haben wir in 100 Jahren weit mehr als die Hälfte des fossilen Brennstoffs der Welt, der in Millionen von Jahren angelagert worden ist, verbraucht. In ganz kurzer Zeit. Und dann heizen wir durch den CO2-Ausstoß weiter ein. Die Stürme nehmen zu, Waldbrände sind die Folge. Überall in der Welt. Die Verwüstung ganzer Flächen, gerade in Nordafrika, nimmt zu. Millionen Menschen wollen zu uns kommen, da sie in Afrika nichts zu trinken und zu essen haben. Das ist eine ganze Kette. Migration aus Afrika ist zum Teil verschuldet, weil wir so großzügig gelebt und so viel fossile Brennstoffe verbraucht haben. Die Zerstörungen in den Bergen kommen ja nicht von den Bergsteigern oder von den Wanderern. Die schädigen nicht die Alpen. Es sind die Ballungszentren. Klima ist eine globale Angelegenheit – auch wenn das von manchen immer noch nicht, und vermutlich auch nicht in 100 Jahren, verstanden wird.

Wird sich die Vernunft durchsetzen? Wird es Veränderungen im Verhalten geben – oder müssen Verbote her, um die Menschen daran zu hindern, ihren eigenen Untergang voranzutreiben?

Ohne Verbote – beziehungsweise Regeln und Gesetze – wird das nicht funktionieren. Der Mensch ist ein Egoist und gleichzeitig ein Altruist. Aber dieser Altruismus geht nur auf der Ebene von Familienverbänden oder Clans. Vielleicht noch in der kleinen Dorfgemeinschaft. Aber in der nationalen Größe, also 80 Millionen Menschen, ist die Empathie nicht groß genug. Ich selbst sehe mich als Weltbürger und ich würde mir eine Weltregierung wünschen, um die ökologischen und die sozialen Probleme zu lösen. Doch Menschen denken meist nicht so. Gerade haben wir lauter Egoisten an der Spitze. In den USA einen Präsidenten, der "USA first" vorgibt und für sich in Anspruch nimmt, der beste Präsident aller Zeiten zu sein. Ganz Amerika wird aufgefordert zu sagen: "Wir – und die anderen nicht." Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Aber das ist auch in Ungarn so, in Russland. Alles driftet auseinander.

 

Machen Ihnen die jungen Menschen der Fridays-for-Future-Bewegung nicht Hoffnung?

Diese jungen Menschen gehen auf die Straße. Ja. Aber die Frau Greta hat mehr oder weniger nur Angst und Schrecken verbreitet. Das ist auch nicht der richtige Weg. Jetzt gilt es, Vorschläge zu machen. Es gilt, konkret Machbares umzusetzen. Natürlich ist da die Politik gefragt und es ist gut, dass die jungen Leute darüber nachdenken und diskutieren. Der Einzelne ist ebenso gefragt, und wir müssen im Staatsgefüge, dann im europäischen Gefüge und dann im Weltgefüge überlegen, was wir wie machen. Wie wir beispielsweise die Amerikaner dazu kriegen, dass sie den Pariser Vertrag wieder unterschreiben. Wichtig ist, dass alles friedlich bleibt. Den Bürgerkrieg bekommen wir sowieso, wenn es nicht mehr genügend zu essen und nicht mehr genügend Wasser gibt. Dann gewinnen die jungen Radikalinskis, die sich irgendwo eine Kalaschnikow besorgen.

Sind das die Szenarien, die Sie in der Zukunft mitten in Europa sehen?

Das ist nicht ausgeschlossen. Wenn ein italienischer Innenminister wie Salvini über die Piazza geht und ins Volk schreit: "Ich will alle Macht in meiner Hand haben" und zehntausend Leute hysterisch klatschen und schreien, dann denke ich mir: Wo sind wir denn? Dann stehen wir knapp vor dem Bürgerkrieg. Die eine Hälfte macht nicht mit. Aber die andere Hälfte sagt: Wir sind stärker und haben einen Führer, der vorausgeht. Dann geht es relativ schnell.

Beobachten Sie Ähnliches in Deutschland?

Ich habe einmal Merkel gelobt. Dann kamen die Briefe von AfD-Anhängern. Wenn Sie diese Briefe lesen, glauben Sie nicht, dass Sie in einem zivilisierten Land leben. Oder blicken wir aufs Internet und die modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Jetzt wird uns langsam klar, was wir auch an Gefahren geschaffen haben. Unsere Demokratien sind angeknackst. Es ist möglich, von irgendwo auf der Welt aus Wahlen zu gewinnen. Der amerikanische Präsident gewinnt die Wahlen nicht in den USA, sondern irgendwo in Russland. Am Ende weiß man nicht mehr, wer hinter was steht. Die Demokratie hat damit Schwäche gezeigt und wird weiterhin schwächeln.

Unser Gespräch hatte bislang einen sehr pessimistischen Grundton. Gibt es denn nichts mehr, womit Sie Optimismus verbreiten können?

Ich lebe voller Optimismus. Aber ich lebe auch in Sorge um die Menschheit. Acht Milliarden ist eine große Zahl. Ich selbst bin immer noch nach vorne gewandt. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich bin dabei, Ideen umzusetzen. Ich pflanze Bäume, ich baue auf meinen Äckern Getreide an. Im Herbst war Weinlese. Ich bin Selbstversorger für den Notfall und arbeite in alten Modellen. Nicht nur, weil ich in der Krise selber überleben will, sondern um diese Tradition aufrecht zu erhalten.

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