Reise in das Innere des Klangs

7.2.2020, 19:12 Uhr

Eine Ära, an die sich schon durch den Bühnenaufbau für "Stimmung" – Karlheinz Stockhausens musikalische Meditation für sechs Vokalsolisten und sechs Mikrofone – manch einer im Publikum spontan erinnert fühlt.

Kaum ein Komponist hat die Entwicklung der Neuen Musik in Europa so beeinflusst wie Karlheinz Stockhausen, der in der Partitur zu "Stimmung" genau festgelegt hat, dass die drei Sängerinnen und drei Sänger in der Mitte des Raums (hier in der Mitte des Innenhofs des Palais’ Stutterheim) hell gekleidet auf Kissen im Schneidersitz um eine Lichtquelle herum einen Kreis bilden sollen, nachdem sie einzeln feierlich "Einzug gehalten haben". Die Mitglieder des Basler Vokal-Ensembles Solo Voices halten sich minutiös an diese Anweisungen und spontan entsteht eine weihevolle Atmosphäre, das Stück, oder besser: die Zeremonie, beginnt also schon, bevor überhaupt ein Ton gesungen ist.

Körperliche Leistung

Es folgen 70 Minuten, in denen ausschließlich mit einem einzigen Akkord gearbeitet wird. Unvorstellbar allein die körperliche Leistung, so lange im Schneidersitz zu verharren und in dieser Lage einzelne Töne für eine gefühlte Ewigkeit sauber auszuhalten, solistisch oder in sich überlagernder Mehrstimmigkeit. Das Spektrum der gesangstechnischen Herausforderung ist riesig, auch wegen des Obertongesangs, bei dem ein Sänger zwei Töne gleichzeitig singen kann – wenn er sich intensiv genug damit befasst hat. Jeder der Sänger hat ein Mikrofon, so dass sein Part vom Wiener Klangregisseur Florian Bogner über die acht, im Raum verteilten Lautsprecher gesteuert, gewichtet, mitunter elektronisch zum Wabern aufgeweicht oder in bestimmte Regionen des Innenhofs geleitet werden kann.

Der Zuhörer, dessen Aufmerksamkeit nur noch auf das Hören gerichtet ist, reist, wie von Stockhausen erdacht, in das Innere des Klangs. Dieser Klang trägt durch die verschiedensten Kulturen und Religionen von Asien über Polynesien und Mexiko nach Europa und huldigt dem Hinduismus genauso wie dem Islam, den Pharaonen oder dem Christentum. All diese Assoziationen entstehen aus dem einen, sich permanent und universell wandelnden B-Dur Akkord, den die Solo Voices durch ihre Kunst und ihr profundes Wissen mit fesselnder Magie aufladen.

Erotische Texte

Im Laufe dieser Meditation sind Künstler und Publikum aufs engste verbunden. Man erlauscht die Worte "Vishnu" oder "Uranus" aus Mantraartigen Silbenverschlingungen, man fragt sich, ob die, wie Groffe sagt, "elegant naiven" erotischen Texte, die in den Zeiten der Hippies unabdingbar waren, heute noch irgend jemanden provozieren können und dann kommt der Punkt, an dem man nur noch dankbar ist, dass man an so einer mystischen, vielschichtigen und bereichernden Reise auf dem Klang teilhaben darf.

Nachdem der letzte Ton verklungen ist, lassen die Sänger den Applaus andächtig auf sich herabregnen – für alle Anwesenden eine kostbare, fast heilige "Stimmung" . . .

 

InfoBR-Klassik sendet eine Aufzeichnung dieses Konzerts am 27. Februar ab 22.05 Uhr.

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