Stress im Wald: Warum der Lockdown tödliche Folgen für Tiere haben kann

8.2.2021, 05:55 Uhr
Stress im Wald: Warum der Lockdown tödliche Folgen für Tiere haben kann

© Foto: Frank Drechsler/imago images

Es ist unerheblich, mit welchem Jäger man sich unterhält. Die Antworten ähneln sich sehr. Sowohl der Waidmann, der Reviere im Kreis Erlangen-Höchstadt betreut, als auch jener, der im Kreis Nürnberger Land ein Auge auf das Wild wirft: Alle sprechen davon, dass der Freizeitdruck auf den Wald derzeit hoch ist – und auf die darin lebenden Tiere.

Dass es die Menschen in die Wälder zieht, weil andere Freizeitoptionen fehlen, können sie verstehen. "Was sollen die Leute anderes machen", sagt ein Jäger. Ein Kollege meint: "Ich verstehe, dass die Menschen raus möchten." Die Restaurants sind zu, die Kinos auch, der Skiurlaub in Österreich ist gestrichen. Nun streifen die Menschen eben durch die Wälder oder durchqueren sie auf ihren Mountainbikes.

Im Vergleich zu einem normalen Winter sind jetzt 20 bis 30 Prozent mehr Menschen im Wald unterwegs, schätzt Manfred Weidinger. Er ist Vorsitzender der Hegegemeinschaft Erlanger Oberland. Es umfasst acht Reviere mit insgesamt 5000 Hektar. Nicht jeder, der als Freizeitort den Wald wählt, bleibt auf den vorgeschriebenen Wegen oder leint seinen Hund an. Weidinger stört das massiv: "Es setzt das Hirn aus."

Herumstromernde Hunde

Die Masse der Menschen, das Laufen abseits der Wege, laute Rufe und die herumstromernden Hunde: Das alles scheucht die Tiere auf – vor allem die Rehe, die in ihren Ruheräumen gestört werden. Sie müssen immer wieder fliehen.

So verbrauchen sie nicht nur ihre im Herbst angelegte Fettschicht, die sie eigentlich über den Winter bringen soll – im schlimmsten Fall kollidieren die Tiere auf der Flucht mit einem Fahrzeug. 50 Wildunfälle gab es im Erlanger Oberland im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Vor dem Pandemie-Jahr waren es 30.

Christian Fuchs ist ebenfalls Jäger. Wie Weidinger betreut er eine Hegegemeinschaft – das Erlanger Unterland. Dazu gehören etwa Spardorf, Marloffstein oder Uttenreuth. "Die Tiere werden immer vorsichtiger. Ihr Biorhythmus ist gestört", erklärt er.

Mehrere Jäger berichten davon, dass die Menschen auch in der Dämmerung im Wald spazieren gehen. So aber scheuen Rehe davor zurück, den Forst zu verlassen und Nahrung auf den angrenzenden Feldern und Wiesen zu suchen. Die Folge ist verheerend: Sie fressen die frischen Spitzen der Tannen und Fichten. Der Waldumbau kommt nicht voran. "Das ist die Kehrseite der Medaille", sagt Stefan Winkler von der Hegegemeinschaft Greding (Landkreis Roth).

Das Problem tritt nicht nur in der Region auf. Vor Kurzem wies der Bayerische Jagdverband (BJV) darauf hin. Nach dessen Auffassung werden die vielen Menschen nicht nur in den Wäldern zum Problem, sondern auch in den Bergen.

Wanderer schrecken Wild auf

Claudia Gangl ist Referentin für Wildbiologie und Tierschutz beim BJV. Sie sagt: "Die Tiere brauchen jetzt Ruhe, um unbeschadet durch die kalte Jahreszeit zu kommen. Spaziergänger, Schneeschuh-Wanderer oder Tourengeher, die fernab der Wege und Pisten unterwegs sind, schrecken das Wild auf, ohne es selbst zu merken. Das führt zu panikartigen Fluchtreaktionen der Wildtiere und kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sie den Winter nicht überleben."

Im Nationalpark Bayerischer Wald, in dem auch immer wieder Besucher die markierten Wege verlassen, fürchtet man um die vom Aussterben bedrohten Auerhühner. Wanderer und Wintersportler könnten die sehr scheuen Rauhfußhühner aufschrecken. Weil die Tier im Winter nährstoffarme Nadeln essen, verbrauchen sie dabei ihre wenigen Energiereserven.

Die hiesigen Jäger appellieren an die Menschen, auf den Waldwegen zu bleiben, am Tag spazieren zu gehen und die Hunde anzuleinen. Den Wald abzuriegeln, ist nicht möglich. Es gebe ein Betretungsrecht, sagt Manfred Weidinger.

Ein anderes Problem, das die vielen Wanderer mit sich bringen: Den Jägern wird die Jagd erschwert. "Hundefreunde, Reiter, Jogger, Radfahrer tauchen überall da im Wald auf, wo man sie nicht vermutet. Das Wild wird dadurch beunruhigt und zieht sich in die Einstände zurück, wo es vermehrt Schaden anrichten kann.

Es tritt nur noch in der Dunkelheit aus, was die Bejagung sehr erschwert", sagt Hannes Regitz, Vorsitzender der Jägergesellschaft "Hubertus" Nürnberg. Dabei ist für den Deutschen Jagdverband unter anderem eine intensive Wildschweinjagd wichtig, um bei einem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest das Risiko einer Ausbreitung zu minimieren.

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