Ungewohnt: Egersdörfer als Praktikant im "Sosein"

27.8.2020, 05:43 Uhr
Ungewohnt: Egersdörfer als Praktikant im

© Isabel Krieger

Am Ende der E-Werk-Session "Egersdörfer & Artverwandte", bei der  Egersdörfer  fasziniert darüber war, wie unprätentiös und ernsthaft begeistert der fränkische Sternekoch über gutes Essen, über das Zerlegen und Zubereiten von Fleisch und Fisch, über Fermentierungsprozesse und Erntefreuden spricht, stand die Frage nach dem Praktikum - und dann die Zusage. 

Ende Juli stand Egersdörfer schließlich bei Felix Schneider in der Küche. Vier Tage assistiert er dem Küchenteam des Sosein, ein Privileg, das der ausgezeichnete Koch, dessen 2016 eröffnetes Restaurant mittlerweile zwei Michelinsterne aufzuweisen hat, weniger aus Prestige, denn aus Zeit- und Platzgründen sonst vor allem Fachleuten vorhält. "Wer zu uns kommt, muss schon einige Tage oder eine Woche bleiben, sonst erfährt er nichts über unsere Arbeit", sagt Schneider.

Schneider gilt als der eigenwilligste deutsche Sternekoch

Viel ist über ihn in den vergangenen Jahren geschrieben worden. Hymnische Gourmetkritiken, lobpreisende Porträts, kritische Reflexionen. Der 35-Jährige gilt als einer der eigenwilligsten deutschen Sterneköche, einer, der Geschmack und Toleranz an die Grenzen bringt, doch er ist vor allem ein Nachdenklicher, ein Perfektionist, der nicht die Show sucht, sondern die Essenz.

Im ehemaligen Schwarzen Adler in Heroldsberg, einem alten Gutshof mit Scheune an der Hauptstraße, hat er das passende Domizil dafür gefunden. Bodenständig, nachhaltig, regional – bei Schneider sind das spürbar nicht nur Schlagworte, die dem momentanen Trend folgen. Sondern eine Lebenshaltung. Eben Sosein.

Die Kuh wird bis auf den letzten Rest verwertet

Eine Ahnung davon bekommt auch Matthias Egersdörfer, als am ersten Tag seines Praktikums plötzlich eine in die Jahre gekommene tote Milchkuh am Hof angeliefert wird. "Eine wirklich fette alte Kuh", sagt der Kabarettist und grinst. Für ihn ein gefundenes Fressen für das nächste Bühnenprogramm vielleicht, für Schneider hingegen nichts Ungewöhnliches. Er hat die Kuh vorab beim Landwirt selbst ausgesucht. In Frankreich sei die Verarbeitung solcher Tiere seit jeher gang und gäbe. "Nur in Deutschland haben wir uns seit einigen Jahren antrainiert, dass wir fettes Fleisch nicht mögen".

Die Kuh wird im Sosein verwertet bis auf den letzten Rest, so wie alles Getier und Gemüse, das das siebenköpfige Team an vier Tagen pro Woche den Gästen serviert. Wie Egersdörfer ist Schneider ein Sammler, der Zutaten und Ideen oft Jahre später im Kopf neu wieder zusammenmixt und dabei immer wieder anders interpretiert. Bevor etwas auf die Karte kommt, wird es im Plenum der drei Köche diskutiert. Dann erfolgt ein Probelauf.

Beflügenlnde Tage für Egersdörfer

Matthias Egersdörfer, selbst Hobbykoch, darf mitarbeiten und erlebt die Tage in der Küche als beflügelnd und hoch konzentriert, als große Kunst und als Ausbund enger Kommunikation. "Es ist überhaupt nicht hierarchisch, sondern eine Mischung aus intuitivem Arbeiten und ganz viel Austausch. Im Vergleich dazu bin ich auf der Bühne geradezu still".

Doch Essen ist eben auch ein konsequenter Diskussionsprozess. Oder sollte es sein. Und im Sosein eine Erfahrung, die für den ein oder anderen Gast auch mal persönliche Grenzen überschreitet, wenn etwa rohe Ente, Saiblingsleber oder drei kleine krumme Karotten als Gang gereicht werden. 

Auch Matthias Egersdörfer kennt den Moment, wenn es im Publikum plötzlich still wird. Wenn der Inhalt die Form wieder auflösen muss. "Dann muss man echt und ganz da sein". Denn gutes Kabarett wird nicht anders serviert als gutes Essen. "Entweder heiß oder kalt, aber nie lauwarm."

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