"Schwänzeltanz wird überschätzt"

Fränkischer Experte klärt auf: So finden die Bienchen zu den Blümchen

17.3.2021, 13:08 Uhr
Bisher glaubten die Bienenforscher, dass die Bienen den Weg zu attraktiven Futterplätzen vor allem durch den Schwänzeltanz finden. Eine Biene, die das Ziel bereits kennt, tanzt dafür im Bienenstock so, dass der Winkel zur Sonne, mit denen ihre Artgenossinnen ausfliegen müssen, vorgegeben wird. Laut Bienenforscher Jürgen Tautz gibt der Schwänzeltanz allerdings nur die grobe Richtung vor. 

© Armin Weigel, dpa Bisher glaubten die Bienenforscher, dass die Bienen den Weg zu attraktiven Futterplätzen vor allem durch den Schwänzeltanz finden. Eine Biene, die das Ziel bereits kennt, tanzt dafür im Bienenstock so, dass der Winkel zur Sonne, mit denen ihre Artgenossinnen ausfliegen müssen, vorgegeben wird. Laut Bienenforscher Jürgen Tautz gibt der Schwänzeltanz allerdings nur die grobe Richtung vor. 

Herr Tautz, viele Generationen von Bienenforschern waren der Meinung, dass die Bienen genaue Informationen über Lage und Entfernung von attraktiven Blüten durch einen bestimmten Bewegungsablauf im Bienenstock, den Schwänzeltanz, an ihre Artgenossinnen weitergeben. Sie sind da jetzt ganz anderer Meinung. Warum?

Jürgen Tautz: Die Bedeutung des Schwänzeltanzes wird überschätzt. Er vermittelt den Bienen nicht die exakte Position des Ziels, sondern gibt nur die grobe Richtung und die grobe Entfernung vor. Dieselbe Vortänzerin gibt im Stock bei jeder ihrer zehn bis 20 Runden bei der Richtungsangabe einen etwas anderen Winkel zur Sonne vor, daran erkennt man schon die Ungenauigkeit. Durch den Tanz allein würden die Bienen die Blüten nicht finden. Trotzdem kommen sie selbst auf eine Entfernung von zehn Kilometern exakt auf dem Ziel an, so klein es auch sein mag.


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Wie ist das möglich? Wie also finden die Bienchen wirklich zu den Blümchen?

Tautz: Der Schwänzeltanz ist nur der erste Teil eines dreistufigen Prozesses. Zuerst gibt der Tanz die grobe Richtung und Entfernung vor. Dort angekommen, beginnt für die Biene die Suchphase, bei der sie in einem bestimmten Umkreis nach Anschlussreizen sucht, um das Ziel letztendlich zu finden.

Welche Anschlussreize können das sein?

Tautz: Zunächst könnten die Bienen natürlich das Ziel von ihrem Suchgebiet aus schon riechen. Das ist aber sehr selten, denn dafür müsste das Ziel recht nah sein und der Wind aus der richtigen Richtung wehen.

Tatsächlich sind die Bienen ja selten erfolglos. Wodurch kommen sie ans Ziel, wenn der Duft des Zieles nicht hilft?

Tautz: Ganz einfach und naheliegend: Durch die anderen Bienen. Sie kommunizieren nicht nur im Stock, sondern auch unterwegs. Bienen, die das Ziel schon kennen, fliegen zwar nicht mit den frisch Angelernten los. Die Neulinge kommen bei ihrem ersten Flug dorthin aber nie alleine am Ziel an.

Wie finden sie unterwegs zusammen?

Tautz: Erfahrene Bienen fliegen ständig zwischen Ziel und Stock hin und her. Sie tanzen im Nest und beduften das Ziel. Unterwegs können sich die Bienen unheimlich gut wahrnehmen, zum Beispiel möglicherweise durch die UV-Lichtreflexe von den Flügeln. Man kann aber vor allem davon ausgehen, dass die Bienen auch unterwegs ihre Duftdrüse aufmachen und zumindest ab der Suchregion, wohin der Schwänzeltanz geleitet hat, eine Duftspur hinterlassen. Welche Art von Blüten sie suchen, haben die Neulinge schon von der Vortänzerin im Stock mitbekommen. Wenn die vorher an einem Kirschbaum war, duftet sie natürlich nach Kirsche. Deshalb weichen die angelernten Bienen auch unterwegs nicht davon ab und steuern nicht plötzlich andere Blüten an.

Wissenschaftsstreit über Bienentanz

Dass Bienen auch unterwegs kommunizieren, klingt nicht gerade abwegig. Warum hat sich die Wissenschaft bislang so schwer damit getan, das für möglich zu halten?

Der Biologe Jürgen Tautz, geboren im Jahr 1949, war Professor am Biozentrum der Universität Würzburg und ist inzwischen emeritiert. Als Bienenforscher und Fachautor machte er sich einen Namen in der Wissenschaft und bei Bienenfans auf der ganzen Welt. Sein Buch "Phänomen Honigbiene" wurde in 20 Sprachen übersetzt.

Der Biologe Jürgen Tautz, geboren im Jahr 1949, war Professor am Biozentrum der Universität Würzburg und ist inzwischen emeritiert. Als Bienenforscher und Fachautor machte er sich einen Namen in der Wissenschaft und bei Bienenfans auf der ganzen Welt. Sein Buch "Phänomen Honigbiene" wurde in 20 Sprachen übersetzt. © Ingo Arndt Photography

Tautz: Mit der Entdeckung des Schwänzeltanzes hat die Hypothese von dessen überragender Bedeutung schnell ein Eigenleben entwickelt und es wurde fast ein Dogma daraus. Dann hat sich eine zweite Gruppe unter den Forschern formiert, die der Meinung waren, dass nicht der Tanz, sondern Düfte entscheidend wären. Der letzte Stand der Wissenschaft war praktisch, dass Bienen sowohl mit dem Tanz als auch mit Düften ihr Ziel finden können. Sie können sich quasi nach Belieben aussuchen, was von beidem sie zur Orientierung heranziehen. Es gibt unheimlich viele gute Daten zur Rekrutierung zu Futterplätzen. Aber die Deutungen sind enorm unterschiedlich bis widersprüchlich und unvereinbar. Dabei zeigen die Daten sehr anschaulich, dass Bienen allein durch Düfte, nicht aber allein durch den Tanz ihr Ziel finden könnten.

Warum braucht es dann den Tanz überhaupt?

Tautz: Weil der Wind ja nur selten vom Ziel bis zum Bienenstock weht, die Bienen dort ihr Ziel also noch nicht riechen können. Und eigentlich sind sie ja Waldinsekten. Und im Wald ist es relativ windstill, da wäre es also noch schwieriger.


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Das klingt ja alles sehr einleuchtend. Aber wenn das so einfach ist: Warum ist vor Ihnen niemand draufgekommen, dass die Bienen unterwegs so viel kommunizieren?

Tautz: Ich habe mir viele Jahre Zeit gelassen für dieses Buch, weil ich nicht glauben konnte, dass das niemand so gesehen hat. Ich habe den Haken an der Sache gesucht. Aber da ist keiner. Die unterschiedlichen Gruppen haben immer kompliziertere Hilfshypothesen konstruiert, um ihre Ansichten aufrechterhalten zu können. Dabei war dieser Wissenschaftsstreit völlig unnötig. Mit einer anderen Perspektive lässt sich das alles sehr leicht auflösen und man braucht kaum mehr Hilfshypothesen. Lange war es aber natürlich auch sehr schwer, das Bienenverhalten außerhalb des Stocks zu erforschen, deshalb weiß man da noch so wenig.

Radarantennen werden auf Bienen aufgeklebt

Welche Möglichkeiten gibt es da mittlerweile?

Tautz: Sehr geholfen hat uns die Radarverfolgung. Einzelne Bienen bekommen dafür winzige passive Antennen aufgeklebt und man kann so ihre Flugspuren aufzeichnen. Allerdings funktioniert das nur im freien Feld und nicht, wenn Bäume oder Büsche im Weg sind. Auch die chemische Analytik hat riesige Fortschritte gemacht. Vor 100 Jahren haben die Forscher noch durch die eigene Nase die Intensität von Düften zu beurteilen versucht. Heute kann man schon wenige Moleküle in der Luft nachweisen. Zuletzt kann man auch die im Flug erzeugten Luftwalzen hinter den Flügeln untersuchen. Sie können Duftmoleküle festhalten. Eine Duftspur hält sich so länger. Aber die Erforschung dieser Dinge gebe ich weiter an die nächste Generation der Bienenforscher.

Wie sind denn die ersten Reaktionen der Fachwelt auf Ihr neues Modell der Bienen-Orientierung?

Tautz: Ich erfahre sehr viel Zustimmung und sogar Begeisterung von vielen Kollegen, die mich darin bestärken, mit frischem Blick ein Konzept zu erstellen, in dem die Daten neu bewertet werden. Damit werden Widersprüche aufgelöst und Hilfshypothesen überflüssig. Durch die Reaktionen kann ich sagen: Ich war offenbar doch nicht der einzige, der so dachte.


Information: Das Buch "Die Sprache der Bienen" von Jürgen Tautz ist im Knesebeck Verlag (256 Seiten, 22 Euro) erschienen.

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