Experte zu Corona-Toten: "Wir brauchen mehr Obduktionen"

7.3.2021, 05:32 Uhr
Nur zehn Prozent aller Corona-Toten werden aktuell in Erlangen obduziert.

© Dalibor Gluck via www.imago-images.de, NN Nur zehn Prozent aller Corona-Toten werden aktuell in Erlangen obduziert.

Herr Hartmann, wie sieht die Lunge eines Patienten aus, der an den Folgen des Coronavirus gestorben ist?

Arndt Hartmann: Das ist als würden Sie dickflüssigen Tapetenleim ins Innere der Lunge, auf die Lungenbläschen schmieren. Durch diese sogenannte hyaline Membran ist kein Gasaustausch mehr möglich.

Was sehen Sie sich bei einer Obduktion noch an?

Hartmann: Im Vordergrund steht natürlich die Lunge. Dazu kommt, dass die Blutgefäße geschädigt sind – sowohl in der Lunge, als auch in anderen Organen, wie Herz und Nieren. In den Gefäßen entsteht eine Vaskulitis, also eine Entzündung, durch die sie verstopfen. Das passiert bei einer Grippe nicht. Wenn wir all diese Befunde sehen und sonst keine andere Todesursache feststellen, dann ist der Patient an Covid-19 gestorben.


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Ein Vorwurf lautet ja, dass viele Patienten ohnehin an ihren Vorerkrankungen gestorben wären.

Prof. Dr. med. Arndt Hartmann, Direktor der Pathologie am Universitätsklinikum Erlangen.

Prof. Dr. med. Arndt Hartmann, Direktor der Pathologie am Universitätsklinikum Erlangen. © Universitätsklinikum Erlangen

Hartmann: Natürlich ist die Mehrzahl der Patienten älter als 70 Jahre und sie haben Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Adipositas. Sie werden in Deutschland auch kaum einen 70-Jährigen ohne Vorerkrankungen finden. Trotzdem haben diese Menschen eine durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 15 bis 20 Jahren, weil unser Gesundheitssystem so gut ist. Wir haben Herz-Kreislauf-Erkrankungen gut im Griff und können Patienten mit Diabetes und Bluthochdruck gut einstellen. Von den 158 Patienten, die deutschlandweit nach der ersten Welle obduziert wurden, sind 88 Prozent auf jeden Fall an Covid gestorben und nicht wegen ihrer Vorerkankungen – das ist eindeutig.

Und die anderen?

Hartmann: Es gab Patienten, die hatten ein kleines Lungen-Karzinom, ohne es zu wissen. In Erlangen haben wir eine sehr junge Frau mit positivem Corona-Test obduziert, die wegen ihrer Unterernährung an einem Darmdurchbruch gestorben ist.

Warum wurden nur so wenige Patienten obduziert?

Hartmann: Ganz am Anfang war noch nicht klar, wie ansteckend das Virus ist. Deshalb hat das Robert-Koch-Institut zunächst aus Seuchenschutzgründen empfohlen, keine Obduktionen vorzunehmen. Aber wir obduzieren auch bei HIV, Hepatitis oder Rinderwahn, wir wissen uns zu schützen. Deswegen wurde die Regelung zum Glück schnell aufgehoben. Inzwischen haben sich 30 Zentren in Deutschland zusammengeschlossen. Sie bauen ein bundesweites Register auf, um alle Fälle der zweiten Welle sehr gut erfassen und auswerten zu können. Da ist Erlangen mit dabei.

Was lernen Sie aus den Obduktionen?

Hartmann: Eigentlich ist die Pathologie eine Diagnostik am Lebenden, wir sind keine Gerichtsmediziner. Der größte Teil unserer Arbeit besteht darin, Gewebeproben zu analysieren. Aber gerade bei einer ganz neuen, unbekannten Krankheit sind Obduktionen natürlich extrem hilfreich, um grundlegende Mechanismen aufzuklären.

Infektionssturm im Körper

Zum Beispiel?

Hartmann: Wir haben gelernt, dass auch schon junge Patienten diese extrem schweren Gefäßentzündungen haben können und damit einen schweren Krankheitsverlauf. Wir arbeiten solche Fälle dann zusammen mit den Kollegen aus anderen Abteilungen auf. Da wird etwa auch das Blut untersucht und die Entzündungsparameter. Wir sehen, dass es zu einem regelrechten Infektionssturm im Körper kommen kann. Daraus lernen wir, um in Zukunft schon bei der Diagnose schnell und richtig zu reagieren und im besten Fall einen schweren Krankheitsverlauf zu verhindern.


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Wie viele Covid-Verstorbene haben Sie in Erlangen bislang obduziert?

Hartmann: Nur 15, das sind leider nur zehn Prozent aller Fälle.

Leider?
Hartmann: Einige Angehörige wollen das nicht oder werden nicht gut darüber informiert.

Das sind die Vorbehalte?

Hartmann: Sie sind besorgt, dass sich durch eine Obduktion die Beerdigung verzögert, aber das ist nicht der Fall! Wir obduzieren auch so, dass das anschließend nicht zu sehen ist. Bis auf kleine Gewebeproben für die Untersuchung unter dem Mikroskop werden alle Organe wieder in den Leichnam zurückgeführt. Es wird auch keine zusätzliche Forschung gemacht, zu der die Angehörigen nicht ausdrücklich eingewilligt haben. Das sind aber alles Ängste, die durchaus bestehen.

Was würden Sie Angehörigen sagen, die noch zögern?

Hartmann: Einerseits kann es für die Angehörigen hilfreich sein zu verstehen, was genau passiert ist. Also warum es etwa bei diesem Patienten zu einem schweren Verlauf gekommen ist. Andererseits können sie durch die Obduktion helfen, dass anderen ein solch schweres Schicksal erspart bleibt. Nur so können wir diese Erkankung wirklich verstehen und etwas dagegen tun.

Welche Medikamente helfen?

Was wollen Sie gerne noch herausfinden?

Hartmann: Das Entscheidende sind die Gefäße. Wir wollen wissen, was zu diesen Entzündungen führt, die alles verschlimmern. Dafür sind Gewebeproben von verstorbenen Patienten ganz wichtig, um etwa bestimmte Botenstoffe zu messen oder auch genetische Veränderungen zu analysieren. Wir haben das bundesweite Register gegründet, um unsere Ergebnisse zusammenzuführen und weitere Forschungsfragen zu klären.


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Um irgendwann präventiv etwas gegen Covid-19 tun zu können?

Hartmann: Wir können versuchen, die Menschen zu identifizieren, die ein besonderes Risiko haben, schwer zu erkranken. Und wir können lernen, welche Medikamente bei welchen Patienten rechtzeitig gut helfen. Wenn der Patient erst einmal an der Beatmungsmaschine liegt, ist es eigentlich schon zu spät.

Damit keine Langzeitschäden bleiben?

Hartmann: Genau. Nach einer schweren Grippe erholen sich die Menschen wieder vollständig. Aber nach Covid-19 sehen wir Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion, mit Herzmuskelentzündung und Nieren-Schäden. Neuro-Pathologen untersuchen, was dazu führt, dass Geruch und Geschmack längerfristig beeinträchtigt sind und warum Patienten auch nach Monaten noch chronisch erschöpft sind. Wir haben gelernt, dass sich Corona auf den ganzen Körper auswirkt.

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