Feiern trotz Corona: Sind die Volksfeste noch zu retten?

9.4.2020, 06:00 Uhr
Hier wurde das Abstandhalten bei der Fürther Michaelis-Kirchweih im Jahr 2019 leicht gemacht. Um zumindest einige der großen Volksfeste in diesem Jahr stattfinden lassen zu können, wird man sich aber kreativere Lösungen ausdenken müssen.

© Hans-Joachim Winckler Hier wurde das Abstandhalten bei der Fürther Michaelis-Kirchweih im Jahr 2019 leicht gemacht. Um zumindest einige der großen Volksfeste in diesem Jahr stattfinden lassen zu können, wird man sich aber kreativere Lösungen ausdenken müssen.

Die Bierkrüge krachen scheppernd aneinander, Freunde umarmen sich glückstrunken. Männer und Frauen, die sich das ganze Jahr aus den Augen verloren hatten, feiern ausgelassen ihr Wiedersehen, völlig Fremde liegen sich plötzlich in den Armen und singen aus vollem Hals die Bierhymnen der Saison. So kennt man das von den großen Volksfesten und den kleinen Kirchweihen in der Region. Hier gibt man sich sorglos der puren Lebensfreude hin.

Normalerweise. Denn in diesem Jahr ist alles anders. Sorglosigkeit ist angesichts der Corona-Pandemie derzeit das letzte, was man sich erlauben will. Und auch mit der Lebensfreude ist es inzwischen bei vielen nicht mehr so weit her. Ein Volksfest nach dem anderen wird abgesagt, bald wohl auch die Erlanger Bergkirchweih. Dadurch haben nicht nur die Verfasser von Bierhymnen ein Problem, sondern auch die Menschen, denen diese Feste oft die Welt bedeuten, die Brauereien, Gastronomen und vor allem die Schausteller, denen ein komplettes Einnahmejahr wegzubrechen droht.

Letzte Einnahmen bei den Weihnachtsmärkten

"Wir kommen ja aus einer dreimonatigen Winterpause. Viele Schausteller hatten ihre letzten Einnahmen bei den Weihnachtsmärkten. Der Totalausfall jetzt trifft uns deshalb natürlich besonders hart", verdeutlicht Lorenz Kalb, Vorsitzender des Süddeutschen Schaustellerverbandes. Soforthilfen genügen nicht für eine Branche, die wohl als allerletzte wieder hochgefahren wird. Kleine Kirchweihen kann man sich im Sommer vielleicht vorstellen, große Volksfeste derzeit nicht.

Und doch appelliert Kalb an die Verantwortlichen: "Es ist nicht in Ordnung, wenn man jetzt schon ohne Not Feste absagt, die Ende August stattfinden sollen. Ich bitte alle, jetzt nicht voreilig zu handeln." Das Nürnberger Frühlingsfest, das am kommenden Samstag begonnen hätte, ist natürlich längst abgesagt, aber es wird auch schon über das Forchheimer Annafest diskutiert.

"Wir können uns jederzeit mit den Krisenstäben zusammensetzen und uns alternative Konzepte überlegen", betont Kalb. Als Maßnahmen könnte er sich vorstellen: Desinfektionsmittel-Spender an jedem Fahrgeschäft und Imbiss, Begrenzung der Besucherzahl, reiner Biergartenbetrieb und vieles mehr. "Wir Schausteller wären in der Lage, innerhalb von acht Tagen ein Fest aus dem Boden zu stampfen", betont Kalb.

300 Hektoliter Festbier im Keller

Eingestampft ist dagegen das Neumarkter Frühlingsfest. Eineinhalb Wochen vor der Absage Mitte März hatte die Neumarkter Gansbrauerei schon damit angefangen, das Festbier zu brauen. Nun reifen knapp 300 Hektoliter im Keller heran.

"Wir werden versuchen, das Frühlingsfest stattdessen zu den Leuten zu bringen und es in Flaschen verkaufen. Das Frühlingsfest war der Auftakt zum Sommer. Dieser Aufbruch sollte jetzt nicht ausfallen", sagt Gansbrauerei-Geschäftsführer Goswin Diepenseifen, der hofft, dass die Menschen in diesen Zeiten mehr regionale Produkte kaufen.

Die Absage des großen Jura-Volksfests, das am 7. August beginnen soll, wird von der Stadt Neumarkt derzeit noch nicht diskutiert. Viel Zeit hat die Neumarkter Lammsbräu aber nicht mehr. Denn die liefert in diesem Jahr die rund 1300 Hektoliter Festbier. Die Vorbereitungen dafür müssten Ende April beginnen. "Wenn auch Ende April noch überhaupt nicht absehbar sein sollte, ob das Jura-Volksfest stattfindet, müsste man sich grundsätzliche Gedanken machen, ob ein Festbier Sinn macht", meint Johannes Ehrnsperger, Inhaber und Geschäftsführer der Lammsbräu.

Großes Fragezeichen hinter dem Annafest

Eng wird es wohl für das Annafest. Am 24. Juli soll das erste Bier im Forchheimer Kellerwald fließen. "Wenn‘s ausfällt, fällt‘s aus, da brauchen wir als Stadt uns nicht viel überlegen", sagt Oberbürgermeister Uwe Kirschstein (SPD) zwar nüchtern, doch auch er weiß, mit wie viel Herzblut viele Forchheimer "alla Dooch" auf ihr Annafest gehen. "Es gibt eine große Sehnsucht nach Normalität und nach der Möglichkeit, Geselligkeit nachzuholen", sagt er. Eine endgültige Entscheidung müsse erst drei Wochen vor dem Annafest getroffen werden.

Die Vorbereitungen für den großen Festzug dagegen ruhen. "Hinter dem Annafest steht in diesem Jahr schon ein großes Fragezeichen, da bin ich nicht optimistisch. Man kann nicht so tun, als ob nichts wäre", meint Dieter George, Vorsitzender des Heimatvereins, der den Festzug organisiert.

"Falls das Annafest doch stattfindet, hätten aber wohl alle Verständnis, wenn alles etwas spontan laufen würde und wir nur einen kleineren Rumpf-Festzug organisieren könnten", ist George überzeugt. Kritisch sind dabei auch die historischen Kostüme, schließlich müssen diese individuell angepasst werden – und das geht nur mit körperlicher Nähe.

Schausteller spielen Orgel vor Seniorenheimen

Die Schausteller versuchen derweil, den Mut nicht zu verlieren. "In schweren Zeiten waren wir schon immer das Glück des kleinen Mannes. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren wir Schausteller es, die die Leute wieder zum Lachen bringen konnten. Ich hoffe, das können wir auch jetzt bald wieder tun", sagt Lorenz Kalb.

Obwohl seinen Kollegen derzeit das Wasser bis zum Hals steht, versuchen sie mit ihrer Aktion "Hand in Hand – Schausteller helfen im ganzen Land" andere Menschen zu unterstützten. Sie fahren Toiletten oder Bauzäune für Corona-Teststationen, spenden Regencapes als Schutzkleidung für eine Einrichtung für beatmete Kinder – und sie erfreuen andere Menschen mit ihren Kirchweihorgeln. "In Markt Erlbach haben wir vor einem Seniorenheim Melodien aus den 50ern gespielt, das war herzzerreißend", erzählt Kalb.

Diskussionen gibt es derzeit auch schon um die Fürther Michaelis-Kirchweih, mit durchschnittlich eineinhalb Millionen Besuchern das größte Volksfest der Region. Los geht es zwar erst am 3. Oktober, doch das Münchner Oktoberfest bringt die Fürther unter Zugzwang. Die Wiesn beginnt am 19. September, also nur kurz vorher. Weil der Aufbau dort aber so lange dauert, muss spätestens Anfang Juni eine Entscheidung getroffen werden.

Wiesn-Entscheidung setzt Fürth unter Druck

"Wenn das Oktoberfest abgesagt wird, erhöht sich der Druck auf uns. Dann wird es schwer, zur selben Zeit ein großes Volksfest stattfinden zu lassen", meint Fürths Wirtschaftsreferent Horst Müller. "Ganz oder gar nicht" heißt es in der Kleeblattstadt. "Eine Michaelis-Kirchweih light kann ich mir nicht vorstellen", sagt Müller.

Auf jeden Fall müsste man aber die Hygienevorschriften weiter verschärfen. "Das wird in Zukunft wohl auch grundsätzlich noch strenger. Für kleinere Feste wird das ein Riesenproblem werden", erwartet Müller.

Eine Absage der Fürther Kirchweih wäre wohl für viele eine Katastrophe. "Es gibt wenig, was das Fürther Leben und Bewusstsein so sehr prägt. Das wäre eine tiefe Wunde", meint Müller. Zumal das Fest nicht außerhalb der Stadt auf einem Festplatz steigt, sondern als größte Straßenkirchweih Deutschlands die Innenstadt fast zwei Wochen lang in Beschlag nimmt.

Ohne Schausteller keine Volksfeste

In einer Zeit, in der Schausteller oft keinen Kredit bekommen, obwohl die Banken momentan nur noch zehn Prozent des Risikos absichern müssen (Kalb: "Auch ein neuer Pommes-Wagen im Wert von 300.000 Euro wird da nicht als Sicherheit akzeptiert") warnt Lorenz Kalb vom Schaustellerverband: "Wenn es keine Schausteller mehr gibt, gibt es auch keine Volksfeste und Kirchweihen mehr." Und auch mit der Lebensfreude, so wohl sein Gedanke, wird es dann nicht so leicht.


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