Flucht vor Krieg und Zwangsheirat

10.12.2020, 17:31 Uhr
Im SOS-Kinderdorf fand Zeynab Hilfe.   

© Michael Matejka Im SOS-Kinderdorf fand Zeynab Hilfe.  

Es ist äußerst hübsch, dieses Gesicht mit den schwarzen funkelnden Augen, umrahmt von langen dunklen Haaren. Das Lächeln ist freundlich und offen. Man sieht der 20-jährigen Zeynab, deren Nachname der Redaktion bekannt ist, nicht an, was sie alles durchgemacht hat. Es ist mehr, als die allermeisten von uns jemals werden erleben müssen.

Verlobt mit einem Fremden

Aus dem Krieg in Afghanistan flüchtete ihre Mutter mit ihr in den Iran, als Zeynab ein kleines Mädchen war. Was mit einem Satz geschrieben ist, enthält vieles, worüber die junge Frau nicht sprechen will. Es ist ein Trauma. Umso schonungsloser berichtet sie über die folgende Zeit mit ihrem Stiefvater. „Er wollte nicht, dass ich bei ihm lebe. Er wollte meine Mutter für sich allein haben. Deshalb gab es regelmäßig Streit.“

Unverblümt sagte man ihr, dass sie heiraten sollte – „damit ich weg bin“. Männer gingen ein und aus, die das damals 14-jährige Mädchen begutachteten. „Das war für mich normal und nicht so schlimm, wie es für die Leute hier in Deutschland klingt. Ich bin damit aufgewachsen.“ Dennoch wurde ihr immer klarer, dass sie das nicht wollte. Und dass es, nachdem sie mit einem Fremden verlobt worden war, nur einen Ausweg gab: Flucht. Allein. Nach Europa.

"Lieber sterbe ich"

„Und wenn ich unterwegs sterbe: Das ist besser, als ein Leben leben zu müssen, das ich nicht will.“ Diesen Satz sagte sie ihrer verzweifelten Mutter, die ihr nicht helfen konnte und versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen. Diesen Satz sagte sie sich, als sie einen Helfer gefunden hatte, der sie aus dem Land bringen wollte.
Ein halbes Jahr, bevor die Hochzeit hätte stattfinden sollen, packte sie ihren Rucksack mit Kleidung und Medizin. „Ich vertraue dir. Melde dich“, waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie ging.

Über die Flucht sagt Zeynab: „Da sind viele Menschen unterwegs, die einem Böses wollen. Man muss schlau sein als Mädchen, ganz allein. Ich weiß nicht, wie ich das alles geschafft habe.“ Geholfen hat der Muslimin ihr Glaube und ihr unbedingter Wille. Sie weiß, dass sie in manchen Situationen wohl auch einfach „Glück gehabt“ hat.

Die Sprache als Schatz

Zunächst lebte sie in Brandenburg in einem Heim. Da war niemand, der ihre Muttersprache konnte. „Ich habe damals viel geweint. Heute bin ich froh, dass ich dadurch gezwungen war, Deutsch zu lernen. Die Sprache ist mein Schatz.“
Nach einem Jahr kam Zeynab nach Nürnberg, weil ein entfernter Verwandter hier bereits lebte. Und wieder hatte sie Glück, dass das Jugendamt sie ans SOS-Kinderdorf vermittelte. In einer Wohngruppe der Hilfsorganisation fand sie ein bisschen von dem, was sie suchte, vermisste: Unterstützung, Struktur, Sicherheit und Wärme.

Sozialpädagogin Alwine Bach (61) ist in der Einrichtung in der Rollnerstraße seit deren Eröffnung 1987 tätig. Zusammen mit ihrem Team betreut sie dort junge Menschen zwischen 16 und 21 Jahren, Geflüchtete ebenso wie Deutsche, die familiäre Probleme haben.
„Unter der Woche sind wir tagsüber da, wir helfen bei Behördengängen, Schulproblemen und haben ein offenes Ohr für alles Zwischenmenschliche“, sagt Bach. „Nachts und am Wochenende müssen die Jugendlichen allein zurechtkommen.“ Unterstützung und Zutrauen – das macht stark und selbstständig.

"Zeynab ist kein Opfer"

Auch Zeynab, für die Bach „wie eine zweite Mutter“ ist. Seite an Seite kämpft sie mit ihr um einen besseren Aufenthaltsstatus, und Bach begegnet Zeynabs Angst vor der Abschiebung mit unerschütterlichem Optimismus. „Zeynab ist kein Opfer. Sie ist eine Kämpferin. Selten habe ich eine Jugendliche kennengelernt, die so zielstrebig ist und so hart an sich arbeitet“, sagt die Sozialpädagogin.
Mit dieser Einstellung hat die junge Frau erst den Quali, dann die Mittlere Reife geschafft. Sie begann eine Lehre als Elektronikerin, bevor sie über Praktika zu ihrer jetzigen Ausbildung kam: als Hotelkauffrau im Hotel „Burgschmiet“. „Das macht mir Freude, wir lernen hier alles“, sagt Zeynab. „Am liebsten bin ich im Restaurant, da hat man immer was zu tun.“

Zeynab ist ehrgeizig und zielstrebig. Nach ihrer Ausbildung will sie noch studieren.

Zeynab ist ehrgeizig und zielstrebig. Nach ihrer Ausbildung will sie noch studieren. © Michael Matejka


Längst hat sie das Kopftuch abgelegt, ist in der freien, westlichen Welt angekommen. Aber wenn sie Zeit hat nachzudenken, wird sie manchmal traurig. „In Nürnberg fühle ich mich sehr wohl, alles läuft super“, sagt sie. „Das Einzige, was mir fehlt, sind meine Mutter und meine kleinen Halbschwestern.“ Eines der Mädchen wurde geboren, als sie selbst schon in Deutschland war. Trost findet Zeynab in solchen Momenten bei ihrem Freund, einem jungen Afghanen, der versteht, was sie durchmacht.

Ihre Ziele: Studium und eigene Wohnung

Mit ihm schmiedet sie Zukunftspläne. Und doch will sie unbedingt auf eigenen Füßen stehen, nach der Ausbildung das Fachabitur, dann ein Studium im Hotelbereich absolvieren. Im Frühjahr wird Zeynab in Nürnberg eine kleine Wohnung suchen – der größte Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. „Ich traue es ihr voll zu“, sagt Alwine Bach. „Sie wird ihren Weg gehen.“
Spendenkonto: SOS-Kinderdorf Nürnberg, Sparkasse Nürnberg, IBAN: DE 45 7605 0101 0001 3643 05.

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