Anwohner in Ebermannstadt klagen über die "Milch-Mafia"

26.10.2019, 08:00 Uhr
Anwohner in Ebermannstadt klagen über die

© Ulrich Schuster

Es gibt Anwohner in der so beschaulich klingenden Straße Vogelschau in Ebermannstadt, die von einer „Mafia“ sprechen, die in der Stadt ihr Unwesen treibe. Im Blick: der milchverarbeitende Betrieb der Bayerischen Milchindustrie (BMI), der seit Jahrzehnten in der Ecke Milchhofstraße und B 470 am Ortseingang von Ebermannstadt Käse herstellt. Und das hören die Anwohner in der benachbarten Vogelschau, die mit ihren Wohnungen gerade mal 50 Meter von der Grundstücksgrenze des Betriebs entfernt leben.

An einem heißen Sommertag steht einer von ihnen, der seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit nennen will, auf seinem Balkon. Er blickt auf eine Reihe grüner Bäume, dahinter auf das Dach und den hinteren Gebäudeteil der BMI. Lüftungsgeräte und Kühlaggregate sorgen für ein beständiges Summen und Brummen. Es hört sich wie das Surren von Autoreifen an, die pausenlos über den Asphalt fahren.
Mit Kopfhörern auf den Ohren steht er am Balkongeländer. Mit ihnen verstummen alle Geräusche. Es herrscht absolute Stille. Der Wunsch nach mehr Ruhe ist es, der die Anwohner einer Wohnungseigentümergemeinschaft zusammenschweißt. Gestört werde die Ruhe auch von Lastwagen, die ihren Motor laufen ließen, um die Milch in ihrem Tank zu kühlen. Rohmilch werde laut BMI von sechs bis 22 Uhr angeliefert.

"Ich schlafe nur noch mit Betäubung"

„Von einem stundenlangen Dauerbetrieb von Fahrzeugen, auch in den Nachtstunden, kann keine Rede sein“, hält die BMI in einem entsprechenden Schreiben an die Wohnungseigentümergemeinschaft fest. Die Lieferzeiten würden den Speditionen mitgeteilt, „aber in Fällen, in denen wir kein direktes Vertragsverhältnis mit den Speditionen haben, können wir bei einem Fehlverhalten der Fahrer außerhalb unseres Werksgeländes nicht auf diese einwirken“, sagt die BMI zu den Vorwürfen von parkenden und mit Motor laufenden Lkw in den Zufahrtsstraßen zur Wohnsiedlung. Festgehalten haben die Anwohner ihre Beobachtungen in Bildern, Videos und mit Lärmmessgeräten.

Anwohner in Ebermannstadt klagen über die

© Patrick Schroll

Seit gut zwei Jahren beschweren sich die Anwohner über den Zustand. Bei der BMI, der Stadt, dem Landratsamt, der Regierung von Oberfranken bis hin zur bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Sie fordern weniger Lärm und wieder mehr Lebensqualität. „Es gibt keinen Tag mehr, an dem es ruhig ist. Wir können nicht mehr auf den Balkon“, sagen sie unisono. In der nächtlichen Sommerhitze bei offenen Fenstern schlafen sei nicht möglich. Einer von ihnen sagt vor Ort im Gespräch mit den Nordbayerischen Nachrichten: „Ich schlafe keine Sekunde mehr, nur mit Betäubung.“ Lärm macht krank, sagen die Anwohner.

Laut geworden sei es nach dem Umbau des Betriebs vor wenigen Jahren. „Seit 2017 ist es irrsinnig laut“, sagt ein Anwohner. Schon die Zeit des Umbaus sei in puncto Lärm zeitweise kaum auszuhalten gewesen. Zu höherer Lärmbelastung komme es laut BMI bei voller Maschinenauslastung im Drei-Schicht-Betrieb, wie das Unternehmen auf Nachfrage schriftlich mitteilt. Während der Umbaumaßnahmen zeigte sich „keine Überschreitung“.

TÜV pflichtet Anwohnern bei

Lärm wird von jedem anders wahrgenommen. Wie viel Lärm in einem bewohnten Gebiet zulässig ist, regelt daher auch das Gesetz. Im April 2018 hat der TÜV nach mehreren Klagen der Anwohner deshalb in Dezibel (dB) gemessen, wie laut es nachts in der Vogelschau ist. Ergebnis: 50 dB statt der zulässigen 40 dB. Entsprechen 40 Dezibel einer leisen Unterhaltung, sind 50 Dezibel mit einer Unterhaltung in Zimmerlautstärke zu vergleichen. Doch weil die Dezibel-Einheit keine gewöhnliche Zahl, sondern eine sogenannte Vergleichszahl ist, bedeutet eine Zunahme von zehn dB einer empfundenen Verdopplung der Lärmstärke.

Der TÜV spricht im Ergebnis davon, dass „die zulässigen Immissionsrichtwerte (...) erheblich überschritten“ werden und forderte vor eineinhalb Jahren eine schalltechnische Sanierung. Im September 2018 legte der TÜV mit einem Gutachten nach, in dem genaue Schallschutzmaßnahmen vorgeschlagen werden. „Und noch immer warten wir darauf, dass es leiser wird“, sagt ein Anwohner. Die BMI versichert den Anwohnern in einem Schreiben im Mai 2019, „schnellstmöglich eine schalltechnische Sanierung“ durchzuführen, „um den immissionsrechtlichen Anforderungen zu entsprechen“. Doch den Anwohnern fehlt der Glaube daran. „Es sind immer wieder Versprechungen gemacht, Fristen gesetzt, aber gebrochen worden.“

Piepsen im Ohr und Hörstürze

Sie klagen über ein Piepsen im Ohr, schon zu Hörstürzen sei es wegen des Dauerlärms gekommen. Weder von der Stadt noch vom Landratsamt oder der Politik erhielten die Anwohner Rückendeckung sagen sie und sprechen von einer „Milch-Mafia“, die im Hintergrund die Strippen ziehe. „Der Profit ist der Milchindustrie und der Politik, die diese Ziele unterstützt, wichtiger als der Schutz der Bürger“, lautet das Mafia-Argument.

Die Stadt teilt auf NN-Nachfrage mit, in der Sache keinen „direkten Einfluss“ auf die BMI zu haben. Zuständig sei der Technische Lärmschutz beim Landratsamt. Von dort heißt es, dass die BMI auf Initiative des Amtes noch vor einem Lärmsanierungsplan „eine Reihe von lärmmindernden Sofortmaßnahmen“, getroffen habe.

Tatsächlich konnte mit einem weiteren TÜV-Gutachten nachgewiesen werden, dass die Sofortmaßnahmen den Lärm reduzierten, der aber zum Ärger der Anwohner noch immer die gesetzlich zulässigen Grenzwerte übersteigt. „Wie lange sollen wir noch warten?“, fragen sich die Anwohner. Sie sind mit ihrer Geduld am Ende.

Droht eine Stilllegung des Betriebs?

BMI und Landratsamt versichern gegenüber der Redaktion schriftlich, noch ausstehende Maßnahmen bis Ende dieses Jahres abzuschließen. Konkret will der Betrieb im Oktober Kühler und später Lüftungsgeräte auf dem Dach einhausen. Der TÜV werde anschließend überprüfen, ob die Grenzwerte eingehalten werden. Für die Lkw gibt es neuerdings einen Stromanschluss, so Röhrer. Sie müssen also nicht mehr ihre Dieselaggregat laufen lassen, um die Lieferung kühl zu halten.

Die BMI spricht davon, in guter Nachbarschaft leben und arbeiten zu wollen und verweist darauf, bereits einen Tag nach dem ersten TÜV–Bericht Maßnahmen zum Schallschutz eingeleitet zu haben. Jedoch seien Firmen, die es für die notwendigen Arbeiten braucht, oft ausgelastet und auch die Bearbeitungszeiten der Behörden, die entsprechenden Bauanträge zu genehmigen, verzögern die Schallschutzmaßnahmen.
Unter den Anwohnern wird erwägt, in letzter Konsequenz eine einstweilige Verfügung zu erwirken, sollte die BMI das Versprechen nicht einhalten, den Schallschutz zügig und bis Ende dieses Jahres voranzutreiben. In Folge einer erfolgreichen Verfügung müsste der Betrieb solange ruhen, bis die Lärmwerte eingehalten würden.

"Am Betrieb hängen 120 Existenzen"

„Eine gute Nachbarschaft ist uns wichtig, schließlich hängen an dem Betrieb 120 Existenzen“, so BMI-Werksleister Sascha Röhrer gegenüber den NN. Derzeit laufen erste Arbeiten, weitere sind im Laufe der nächsten Wochen geplant, bis spätestens Anfang nächsten Jahres sollen auch die Arbeiten am Dach abgeschlossen sein. Der TÜV messe im November erneut, so Röhrer.

Die Anwohner sehen auch das Landratsamt in der Pflicht, den Lärm zu unterbinden. „Eine Abschaltung der betreffenden Aggregate hätte faktisch eine Betriebsstilllegung ganzer Produktionszweige bedeutet“, teilt das Amt mit. Dies sei weder rechtlich möglich, noch verhältnismäßig gewesen und „hätte einer gerichtlichen Prüfung nicht standgehalten“. Also ließ das Amt den Betrieb laufen.

Im Januar, so die Anwohner, waren sie auf der Suche nach Hilfe auch beim CSU-Stimmkreisabgeordneten Michael Hofmann vorstellig geworden. Seitdem hätten sie zu ihrer Enttäuschung nichts mehr gehört. Wie Hofmann auf Nachfrage der NN versichert, habe er in der Zwischenzeit Gespräche mit Landratsamt und BMI geführt. Sein Fazit: „Meine Erwartungshaltung ist, dass die Ankündigungen eingehalten werden, da sonst auch bei mir der Eindruck erweckt wird, dass BMI nicht mit dem notwendigen Nachdruck die Situation der Anwohner verbessert und diese hingehalten werden. Dies wäre nicht akzeptabel.“

Der Wunsch der Anwohner ist es, wieder in Ruhe auf dem Balkon zu sitzen wenn es wärmer wird und im Sommer frische Luft, aber keinen Lärm in die Wohnung zu lassen. Nehmen die Anwohner BMI und Landratsamt beim Wort, wird das spätestens im neuen Jahr der Fall sein. „Wir brauchen einfach Ruhe in den Ohren.“ Auch ohne Kopfhörer.

 

 

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