Ärger für Pendler

Bahnhof Forchheim: Der Stoff, aus dem die Pannen sind

28.12.2018, 16:39 Uhr
Geht er oder geht er nicht? Mit Aufzügen am Forchheimer Bahnhof war‘s heuer ein Glücksspiel — findet nicht nur NN-Redakteur Philipp Rothenbacher.

© Fotos: Ralf Rödel Geht er oder geht er nicht? Mit Aufzügen am Forchheimer Bahnhof war‘s heuer ein Glücksspiel — findet nicht nur NN-Redakteur Philipp Rothenbacher.

1979 veröffentlichte der Onomatopoet (Häää?!) Tom Wolfe seinen Reportageroman "The Right Stuff", dessen kongeniale Verfilmung — deutscher Titel: "Der Stoff, aus dem die Helden sind" – vier Oscars einheimste. Erzählt wird die Geschichte vom ersten Überschallflug eines Menschen (1947) bis zu den Anfängen der amerikanischen Raumfahrt (1958—1963).

Eindringlich beschreibt Wolfe den Pioniergeist, den Mut, die Verklärung, die Paranoia jener Zeit des außerirdischen Kalten Krieges: als die UdSSR den USA im Wettrennen ums All mit Sputnik und Gagarin erst den Rang ablaufen musste, um jenen hemdsärmeligen, unkaputtbaren, kurzum: amerikanischen Optimismus zu wecken, der die Boys 1969 schließlich auf dem Mond landen ließ.

Bis dieser Höhepunkt menschlicher Schaffenskraft erreicht wurde, war allerdings viel Versagen nötig. Tote Testpiloten und explodierte Raketen stapelten sich haufenweise, bevor der "große Schritt" getan war, jener Punkt der perfekten Symbiose zwischen Mensch und Material, Wissenschaft und Technik. Es brauchte nur das gewisse Etwas — den Stoff, aus dem die Helden sind.

Knapp 50 Jahre später stehen wir am Bahnhof zu Forchheim. Und sind auf dem bitteren Boden der Tatsachen gelandet. Selbst wenn der Franke im Allgemeinen, wie der Oberfranke im Speziellen, seine genetisch bedingte Skepsis abschütteln und gegen einen unbedingten Optimismus amerikanischer Art tauschen würde — an diesen Gleisen enden alle Illusionen. Denn hier verging 2018 jedem, der mit Kind, Kegel und Koffer angereist war, das Lachen. Glich es doch bis zuletzt einer täglichen Lotterie, ob man einen funktionierenden Aufzug erwischte oder mal wieder vom roten Warnlämpchen verspottet wurde: "Viel Spaß beim Treppensteigen!"

Wir erinnern uns: Im November 2017 versprach die DB, dass alle Fahrstühle "noch in diesem Jahr" in Betrieb gehen sollen. Gut, damals war der Bahnhof im Rahmen des ICE-Trassen-Ausbaus eine Großbaustelle, dass diese Frist vielleicht nicht ganz eingehalten werden konnte, schien insofern verständlich. Als sich bis März 2018 aber immer noch nichts tat, beschlich mich ein ungutes Gefühl: Könnte das der Beginn einer unseligen unendlichen Geschichte werden?

Wie dringend es Barrierefreiheit brauchte, konnte ich als Bahnpendler tagtäglich sehen: von der Zwillings-Mutter mit Doppelkinderwagen, die im strömenden Regen nach Tragehilfe suchte, über den Radler, der seinen Drahtesel die Treppen hoch schleifte und schmerzhaft stürzte, bis hin zur Seniorin, die mit ihrem Rollator am liebsten die Glastür des Aufzugs eingeschlagen hätte. Im Sommer ließ uns die DB wissen, dass technische Probleme durch Stümperei beim Fahrstuhl-Hersteller es seien, die eine Inbetriebnahme verhinderten. An einer "zeitnahen" Lösung arbeite man jedoch.

Wilde Müllkippe

Und die Stadt? Die versuchte ihren eigenen Aufzug an der Bayreuther Straße zum Laufen zu bringen und stritt sich mit der Bahn darüber, wer eigentlich für die Reinigung der Unterführung zuständig ist, die schon kurz nach ihrer feierlichen Eröffnung Ende 2017 aussah wie eine wilde Müllkippe. Vom Druck aus dem Rathaus, die unhaltbaren Lift-Zustände endlich zu bereinigen, ließ sich die DB selbst im Herbst nicht aus der Ruhe bringen,zuletzt verfassten OB und Landrat einen gemeinsamen "Brandbrief".

Trotzdem ging augenscheinlich wenig voran. So wenig, dass sich auch der zu Objektivität verpflichtete Journalist bald fragen musste: Wie schwer kann es verdammt nochmal sein, einen Fahrstuhl zum Fahren zu bringen? Oder war es den Verantwortlichen irgendwann einfach nur noch egal? Ganz objektiv sicher war ich mir nur in einer Sache: Kein Mensch wusste, was los war, und diese Aufzüge bestanden nicht aus Metall, Plastik und Glas. Nein, es war der Stoff, aus dem die Pannen sind.

Zornig-verzweifelte Eltern

Unter den vielen, vielen Briefen, in denen mir Leser ihr Bahnleid klagten, war der ergreifendste jener einer betagten, herzkranken Forchheimerin. Unumwunden gestand sie, dass ihr nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich die Tränen gekommen waren — als sie mit ihrer Gehhilfe vor den Treppen der Unterführung stand und keiner da war, der ihr helfen konnte.

Weinend schaute sie zu wie ihr Zug ankam und ohne sie weiterfuhr. Der Verein für Offene Behindertenarbeit Forchheim musste seine Aktivitäten und Ausflüge aufs Stadtgebiet beschränken und in der Redaktion besuchten mich zornig-verzweifelte Eltern von im Rollstuhl sitzenden Kindern, die Antworten suchten. Doch alles, was ich ihnen geben konnte, war das längst zur hohlen DB-Phrase gewordene Adjektiv "zeitnah".

Wie von Geisterhand

Wieder kam der November, diesmal 2018, und die "Herstellung der Viergleisigkeit" zwischen Baiersdorf und Forchheim war vollbracht. Mit der Herstellung der Barrierefreiheit am Bahnhof tat man sich aber weiter schwer: Mal funktionierten alle vier Lifte, mal drei, mal zwei, mal einer, mal keiner. Und manchmal, nach Einbruch der Dunkelheit, fuhren Fahrstühle wie von Geisterhand rauf und runter oder öffneten ihre Türen – auch ohne Insassen. Hexenwerk!

Vom Pflug zur Pyramide, von der archimedischen Schraube zur schwarzgepulverten Kanonenkugel, dann Dampfmaschine und Dampflok, schließlich Autos, Flugzeuge, Atombomben, Computer, Raumstationen: zwischen Bahnhofsplatz und Bayreuther Straße erwiesen sich 12 000 Jahre Technikgeschichte als Treppenwitz.

2018 läuft in wenigen Tagen aus und momentan befinden wir uns in einer Phase, in der die Fahrstühle relativ störungsfrei das tun, was sie sollten: fahren. Vielleicht müssen wir es am Jahresende also mit forchheimischem Optimismus nehmen: Schlechter kann’s 2019 nimmer werden.

Verwandte Themen


2 Kommentare