"Barbarische Strafen": Ex-Chef der Klinik Fränkische Schweiz Ebermannstadt verurteilt

28.1.2020, 15:36 Uhr

© Archivfoto: Ralf Rödel

Der 76-jährige Angeklagte schweigt. Für ihn spricht sein Verteidiger. Als der Angeklagte 2013 die Geschäfte der Ebermannstädter Klinik übernommen hat, habe sie sich in Schwierigkeiten befunden. Nicht nur drückte eine Schuldenlast in Millionenhöhe, auch an Personal hat es gemangelt. "Niemand wollte nach Ebermannstadt", sagte der Verteidiger. Also habe sein Mandant "das System der freien Mitarbeiter" von seinem Vorgänger übernommen. Das ist der Kern des Vorwurfs.

Pflegekräfte und Ärzte sind auf Tagessatz- und Honorarbasis angestellt worden. Für die Klinik waren sie damit Selbstständige. Folglich trat die Klinik nicht als Arbeitgeber auf und musste Beiträge zur Sozialversicherung nicht abführen. Für die Staatsanwaltschaft handelt es sich nicht um Selbstständige, sondern Angestellte. Für die muss der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge, die sich beide Parteien teilen, abführen. Weil das nicht geschehen ist, spricht die Staatsanwaltschaft von einem Schaden von rund 82.000 Euro. 55 Arbeitskräfte habe das über drei Jahre, in denen der Angeklagte als Geschäftsführer tätig war, betroffen.

Eine Klinik im Notzustand

"Zu dieser Zeit gab es deutschlandweit einen riesigen Markt für freiberufliche Ärzte und Pfleger", argumentiert die Verteidigung. Auf dem Markt habe ein Pflegenotstand geherrscht. "Für die Kräfte war es attraktiver, freiberuflich statt angestellt zu arbeiten." Der Verteidiger bemängelt, dass es weder von der Politik noch von den zuständigen Kammern zu jener Zeit klare Aussagen gab, ob die Praxis der freiberuflichen Beschäftigung in Ordnung sei. "Niemand hat dagegen demonstriert", so der Verteidiger. Ergo treffe seinen Mandanten keine Schuld. Den Vorwurf der Scheinselbstständigkeit könne er nicht erkennen, schließlich habe sich weder sein Mandant noch die Klinik dadurch Geld gespart. "Ganz im Gegenteil. Selbstständige kamen um bis zu 25 Prozent teurer als Angestellte", argumentiert der Verteidiger. "Ohne die zusätzlichen Kräfte hätte die Klinik ihren Versorgungsauftrag nicht erfüllen können, Abteilungen hätten schließen müssen."

Das bestätigt auch ein Verwaltungsfachangestellter der Klinik im Zeugenstand. Sich freiberufliche Mitarbeiter von einer Agentur vermitteln zu lassen, war schon unter dem Vorgänger des Angeklagten notwendig gewesen, um auf Personalausfälle unter anderem in der Intensivstation reagieren zu können. Diese Fälle sind laut dem Staatsanwalt verjährt. "Wir mussten das tun, um unsere Lücken zu stopfen und dafür in den sauren Apfel beißen", sagte der einzige Zeuge. Nicht nur seien die kurzfristig tätigen Mitarbeiter teurer als die Stammbelegschaft gewesen, auch in der Verwaltung haben die oftmals auf wenige Wochen befristeten Einsätze für viel Papierkram gesorgt.

Zoll durchsucht Klinik

Scheinselbstständigkeit sei anfangs nie ein Thema gewesen. "Wir hatten routinemäßige Prüfungen der Sozialversicherungen bei uns im Haus, dabei ist nichts beanstandet worden", so der Verwaltungsmitarbeiter. Nach Rückfragen bei den Ausleihfirmen habe man sich in puncto Scheinselbstständigkeit keine Sorgen gemacht. Die meisten Verträge seien von der Verwaltungsleitung und nicht vom Geschäftsführer unterschrieben worden, so der Zeuge, der hierbei von einem typischen Tagesgeschäft sprach. Aus dem gleichen Grund habe auch Landrat Hermann Ulm (CSU) als damaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Klinik keine Kenntnis über die Angestelltenverhältnisse gehabt, so Holger Strehl, Pressesprecher am Landratsamt. Hingegen sei man über die Ermittlungen informiert worden.

Ins Rollen gekommen sind die Ermittlungen, nachdem der Zoll die Klinik durchsucht hatte. Verwaltungsangestellte sollen dabei geäußert haben, dass man sich der Problematik mit der Scheinselbstständigkeit bewusst war und es durchaus zu Verfehlungen gekommen sein könnte. "Das war scheinbar in der ganzen Klinik bekannt", so Richterin Silke Schneider. Dass der Angeklagte "erwischt" worden sei, gegen dieses Wort wehrt sich sein Verteidiger in der Verhandlung. Das würde bedeuten, sein Mandant hätte etwas getan, "das als illegal geächtet ist".

Empfindliche Strafe als Warnschuss

Für den Staatsanwalt habe der Angeklagte in seiner Stellung als Geschäftsführer die Pflicht gehabt, "die Sache in geregelte Bahnen zu lenken". Er sprach von einer bundesweiten Systematik, die bei den Sozialkassen Schäden in Milliarden verursache. "Es muss einen Warnschuss für andere geben, deshalb die empfindliche Strafe." Eine Argumentation, die den Verteidiger nach eigener Aussage "fast schon sprachlos" werden ließ. Er fordert Freispruch. Sein Mandant habe nicht vorsätzlich gehandelt. An ihm ein Exempel zu statuieren sei unverantwortlich und unfair.

Dass Richterin Schneider die Verhandlung vor der Urteilsverkündung unterbrach, zeigte, wie schwierig gelagert der Fall war – das kommt am Amtsgericht nur äußerst selten vor. Am Ende stand ein milderes als vom Staatsanwalt gefordertes Urteil. "Dass die Kräfte nicht selbstständig beschäftigt waren, musste sich geradezu aufdrängen", so Schneider bei der Urteilsbegründung. In seiner Position als Geschäftsführer habe er vorsätzlich gehandelt. 32.500 Euro muss der Angeklagte aufgeteilt in 250 Tagessätzen zahlen, außerdem die Kosten des Verfahrens tragen. Die Verteidigung hatte schon während des Verfahrens angekündigt ohne Freispruch Berufung einzulegen. Sehr wahrscheinlich geht die Verhandlung in eine zweite Runde.

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