Bio, nachhaltig, regional: Der Käse-Ingenieur legt los

8.10.2020, 11:48 Uhr
Bio, nachhaltig, regional: Der Käse-Ingenieur legt los

© Foto: Michaela Pabst

Für den Wirtschaftsingenieur (39) ist das ein Beispiel von vielen, das ihn sicher sein lässt, auf dem richtigen Weg zu sein. Ein Weg, der erst möglich geworden ist, weil er sich vor über zwanzig Jahren dazu entschieden hat, den elterlichen Betrieb zu verlassen. Sein damaliges Ziel: "Sobald es geht weg von Zuhause".

Nach einer Ausbildung zum Elektriker und der Technikerschule absolvierte er nebenher sein Studium zum Wirtschaftsingenieur. Seitdem ist er viel in der Welt unterwegs gewesen und hat für seinen Arbeitgeber – einen international tätigen Konzern – Unternehmen analysiert und bewertet, Optimierungen erarbeitet und Veränderungen vorangetrieben. Den elterlichen Hof übernehmen sollte sein Bruder Stefan, der sich mit einer Ausbildung zum Landwirtschaftstechniker das nötige Fachwissen angeeignet hat.

Die Familie überrascht

Doch einige Themen ließen Familie Gemmel ihr Nachfolgekonzept noch einmal überdenken: Was passiert, wenn die Eltern sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so einbringen können wie bisher? Wie kann man bei sinkenden Milchpreisen den eigenen Lebensunterhalt sichern? Die Aufrechterhaltung des Milchviehbetriebes schien nicht mehr attraktiv zu sein.

Vor rund zwei Jahren – man arbeitete gedanklich schon auf einen leisen Abschied aus der Landwirtschaft hin – überraschte Andreas seine Familie mit einem Konzept, das einige Zeit in seinem Kopf gereift war: Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft, aus der alle Beteiligten Vorteile ziehen. Tiere, die auf die Weide dürfen. Ein Bauer, der trotz Milchviehhaltung Zeit für Familie und Freizeit hat. Und ein Verbraucher, der weiß, dass er regional und fair einkauft. Aber dazu braucht es mehr als eine maximale Milchleistung pro Tier, wie in der Intensivlandwirtschaft üblich. Der Liter Milch muss wieder mehr wert werden – und deshalb direkt am Hof weiterverarbeitet werden. Gemmels Lösung: Eine Käserei. Hier soll die frische Milch pasteurisiert und daraus Produkte wie Joghurt, Quark oder Mozzarella hergestellt werden. Einen Käsefachmann aus der Schweiz hat er schon engagiert. In einer Art Containerlösung sind Gemmel und sein Schweizer Experte bereits dabei, den ersten Käse zu produzieren.

Perspektivisch sollen weitere Produkte hinzukommen. Ein Teil der Lebensmittel wird im Hofladen eines benachbarten Bauern angeboten, der Großteil mit einem E-Auto direkt an die Kunden ausgeliefert werden.

Wie reagieren die Verbraucher?

Die Kühe sollen auf die Weide dürfen, wann sie wollen. Seit Mai stehen die 65 Tiere nicht mehr nur im Stall. Aber sie müssten sich erst noch an die Freiheit gewöhnen, meint Gemmel. Denn im Stall ist es schattig und es gibt das Futter, das sie gewohnt sind. Perspektivisch ist eine Futterumstellung von Silage auf Heu geplant.

Auch die Arbeitsbedingungen sind Gemmel ein großes Anliegen. Konkret geht es ihm um ausreichend Freizeit und eine faire Bezahlung. Die Arbeit soll auf mehrere Schultern verteilt werden: Weg vom klassischen Familienbetrieb, in dem jeder 365 Tage im Jahr arbeitet, hin zu einem Unternehmen, in dem auch die Gesellschafter Zeit für Familie und Freizeit haben. Zwei freie Wochenenden im Monat sollen fester Bestandteil des Arbeitsalltages werden – im Winter wie im Sommer. Dafür fordert er, dass seine Mitarbeiter eine überdurchschnittliche Motivation mitbringen.

Allein auf weiter Flur ist Gemmel auch aus noch einem anderen Grund nicht: Er hat eine eigene Familie mit Frau und drei Kindern im Kindergarten- und Schulalter gegründet. Auf dem Hof arbeiten noch seine Eltern und sein Bruder mit sowie mehrere geringfügig Beschäftigte.

Auf die Frage, ob er unter dem Bio-Siegel produzieren möchte, erwidert der Wirtschaftsingenieur, dass er in erster Linie unter für ihn sinnvollen und nachhaltigen Richtlinien produzieren möchte. So sei beispielsweise die gemeinsame Haltung von Muttertier und Kalb in den Bio-Richtlinien nicht vorgeschrieben. Er hält dies jedoch für artgerecht und wichtig. Sollte es so sein, dass alle seine Vorstellungen mit der Bio-Zertifizierung einhergehen, dann sei diese nicht ausgeschlossen.

Auf einem guten Weg

Und wie tief muss der Verbraucher für die Produkte in die Tasche greifen? Nachhaltig, regional und bequem – Andreas Gemmel ist sich sicher, dass dies bereits für gut 1,60 Euro pro Liter Milch machbar ist. In diesem Preis ist die Lieferung im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern bereits inbegriffen.

"Die Zeit ist reif, so einen Schritt zu gehen", meint er. Denn den Verbrauchern werde es zunehmend wichtiger, zu wissen, woher die Lebensmittel kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. Trotzdem ist in seiner Planung der Verbraucher noch die große Unbekannte. Um Kontakte aufzubauen und zu informieren, ist er sowohl auf Facebook als auch auf Instagram aktiv. Er versorgt seine Follower regelmäßig mit aktuellen Meldungen zu seinem Projekt, welches er "Milchmannschaft" nennt. Um das Interesse der Verbraucher besser einschätzen zu können, verkauft der 39-Jährige seit Kurzem Verzehrgutscheine mit einem Wert von 100 Euro zu einem Preis von 75 Euro. Der Verkauf des 500. Gutscheins soll der Startschuss für den Bau der Käserei sein, geplanter Baubeginn: 2021.

Gemmel, der nun erstmals nicht für einen Arbeitgeber, sondern als Gesellschafter ein Unternehmen durch einen Veränderungsprozess führt, ist mit dem Entwicklungsfortschritt seines Projektes zufrieden. Sein Wunsch – den Hof, auf dem er aufgewachsen ist, nicht aufgeben zu müssen – ist auf einem guten Weg, in Erfüllung zu gehen.

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