Die Schattenseiten des zunehmenden Klettertourismus

8.11.2020, 16:00 Uhr
Die Schattenseiten des zunehmenden Klettertourismus

© Foto: Tom Kern

Das Felsmassiv sei nicht nur ein bedeutender Falkenbrutplatz, sondern auch Standort für Pflanzen-Reliktarten wie Hasenohrhabichtskraut, das Immergrüne Felsenhungerblümchen und die Felsensteinkresse, die aufgrund ihrer Seltenheit streng geschützt sind, informiert der 67-jährige Rentner aus Pottenstein, dessen Hobby seit Jahrzehnten die Flora und Fauna der Fränkischen Schweiz ist.

"Vor drei Jahren gab es hier zumindest in den Randbereichen noch Restbestände des Niederliegenden Scharfkrauts, jetzt ist es aufgrund der enormen Trittschäden wohl völlig verschwunden", sagt Lang und zeigt auf den breiten völlig vegetationslosen Streifen unterhalb der Felsenwand. Die rund 50 Meter hohe Steilwand ist, auch darauf weist er hin, "mit Haken restlos verbohrt und vernagelt". Allein an dieser Felswand gebe es 40 Kletterrouten, mehr als genug, meint der Naturschützer.

Die Schattenseiten des zunehmenden Klettertourismus

© Maria Däumler

Seit über 30 Jahren schon kritisiert Bernhard Lang den zunehmenden Freizeitdruck auf die Felsen in der Fränkischen Schweiz. "Mit wenig Erfolg", sagt er. Er dokumentiert seit vielen Jahre schon bedrohte Pflanzenarten und deren Verschwinden – und ist entsetzt über die Entwicklung in dem sensiblen Gebiet. Lang ist auch im Verein zur Erforschung der Flora des Regnitzgebietes engagiert und hat hier bereits 2014 einen ausführlichen Artikel über die Veränderung der Flora und Fauna in den Klettergebieten in der Fränkischen Schweiz veröffentlicht. Doch seine Kritik finde nahezu kein Gehör.

Natur wird gnadenlos ausgenutzt

"Die Natur wird gnadenlos ausgebeutet, der Tourismus ist so ausgeartet, dass er nicht mehr kontrollierbar ist", stellt er fast schon resigniert fest. Er nennt einige Zahlen: Wurden im Jahr 1983 im Kletterführer des Deutschen Alpenvereines in der Fränkischen Schweiz noch 3300 Routen angeführt, sollen es 2011 bereits 1000 Felsen mit rund 12 000 Routen gewesen sein. Tendenz steigend: Laut dem Geoökologen Thomas Pickel, bei der Regierung von Oberfranken in Bayreuth zuständig für die Kletterkonzepte in der Fränkischen Schweiz, sind es zurzeit 10 000 bis 11000 Kletterrouten.

Dieses Jahr, so Lang, habe wegen Corona der Freizeitdruck auf die Natur noch einmal enorm zugenommen: Nicht nur auf der Wiesent gab es erheblich mehr Kanufahrer als sonst, sondern auch an den Felsen der Fränkischen Schweiz waren noch mehr Kletterer als bisher unterwegs. Dazu kämen immer wieder neue Outdoor-Sportarten wie zum Beispiel das Bouldern (Klettern ohne Seil und Haken), was die Problematik mit der Naturzerstörung weiter verschärfe. "Ich spreche niemanden das Recht ab, sich in der freien Natur aufzuhalten, aber es hat niemand das Recht, die Natur mit seinem Verhalten zu schädigen", stellt Bernhard Lang fest.

"Biotope werden zerstückelt"

Es gebe inzwischen zwar Kletterkonzepte, mit denen die Sportler in die Bahnen gelenkt werden sollen, aber Lang hält davon wenig. Bei diesen Konzepten würden die Felsen in drei Zonen (siehe Info-Text) eingeteilt werden, doch damit würden "die vorhandenen Biotope nur zerstückelt", sagt er. Es gebe mittlerweile genügend wissenschaftliche Arbeiten, "die belegen, dass diese Habitatfragmentierungen den Artenschwund noch beschleunigen".

Die Schattenseiten des zunehmenden Klettertourismus

© Foto: Bernhard Lang

Seine Beobachtungen in der Natur bestätigten diese traurige Entwicklung. Mit Nachdruck fordert Bernhard Lang daher mehr Schutz für die Natur: "Aus meiner Sicht gibt es nur eine Lösung: Felsmassive mit Rote-Liste-1-und -2-Arten müssen insgesamt gesperrt werden." Nur so könne verhindert werden, dass noch mehr streng geschützte Pflanzen und Tiere völlig ausgelöscht werden, mahnt er. "Es ist höchste Zeit, dass etwas passiert."

Man hört ihn förmlich aufstöhnen am Telefon: "Ja, ich kenne Bernhard Lang seit langer Zeit und habe schon heftige Diskussionen mit ihm geführt", sagt Jürgen Kollert, Vorsitzender der IG Klettern mit zurzeit rund 800 Mitgliedern. Doch beim Telefonat geht es nicht um den hartnäckigen Naturschützer aus Pottenstein, der den Kletterern und den Behörden seit Jahrzehnten in den Ohren liegt, sondern um dessen Kritik an der übermäßigen Freizeitnutzung der Felsen in der Fränkischen Schweiz und all seine negativen Folgen für Flora und Fauna.

"Freizeitdruck hat brutal zugenommen"

Die Schattenseiten des zunehmenden Klettertourismus

© Privat

"Ja, der Freizeitdruck hat brutal zugenommen", gesteht Kollert dann. Vor allem in diesem Jahr, in dem Corona auch die Kletterer gezwungen hat, ihren Sport in der heimatlichen Region auszuüben, seien viel mehr Leute als sonst im beliebten Klettergebiet unterwegs gewesen. Vor allem die Parkplätze an schnell erreichbaren Kletterfelsen in der Region waren schnell zugeparkt.

"Es stimmt, dass sich der Klettersport in den letzten 30 Jahren enorm entwickelt habe", sagt Kollert. Doch während es früher hauptsächlich leichte Routen gegeben habe, seien jetzt viele schwierigere Routen (bis zum Schwierigkeitsgrad elf) in der Fränkischen Schweiz ausgewiesen worden. Und an diesen steilen Felsenhängen wachse eh nichts, meint der 65-jährige Mediziner, der zu den Gründungsmitgliedern der IG Klettern zählt und natürlich auch selbst gern klettert. Doch heuer habe er die Fränkische Schweiz gemieden, "da war mir zu viel los", er sei eher in Thüringen unterwegs gewesen.

In verträgliche Bahnen lenken

Auch ihm liege daran, die Natur zu schützen, deswegen habe er von Anfang an bei der Erarbeitung der bestehenden Kletterkonzepten mitgearbeitet, ebenso wie Fachleute vom Bund Naturschutz und dem Landesbund für Vogelschutz, erzählt er. "Natürlich gibt es dort, wo sich viele Leute aufhalten, Belastungen am Wandfuß", weiß er. Aber die gebe es auch auf viel frequentierten Wanderwegen. "Wir bemühen uns, den Klettersport in Natur verträgliche Bahnen zu lenken", betont Kollert.

Langs Forderung nach Sperrungen mancher Felsen mit geschützten Arten kann er nicht so recht nachvollziehen. An den bestehenden Kletterkonzepten hätten ja Fachleute vom Naturschutz und Vogelschutz mitgearbeitet. Und weil diese Kletterkonzepte ja nichts Statisches seien, werden die Zonierungen an den Felsen immer wieder überprüft.

Erst vor wenigen Tagen sei er mit einer Gruppe von Experten in der Fränkischen Schweiz unterwegs gewesen. "Dabei haben wir uns darauf geeinigt, einige Routen wie zum Beispiel die Druidenzinne bei Wohlmannsgesees zu sperren. Außerdem haben wir auch Anträge für neue Routen abgelehnt", berichtet Kollert.

Durch Corona sei der Freizeitdruck auf die Felsmassive heuer enorm gewachsen und auch er hoffe, dass sich das im nächsten Jahr wieder normalisiere. Dennoch kann er Langs Kritik nicht verstehen. Zwar gebe es im Vergleich zu den 1980er Jahren deutlich mehr Kletterrouten in der Fränkischen, "dennoch gibt es nach wie vor zahllose Felsen in dem Gebiet, an denen gar nicht geklettert wird", führt er an.

Kontrolle in der Szene

Vor allem per Internet versuche man, die zum Teil internationale Kletterszene über Regelungen und aktuelle Felssperrungen zu informieren. Und wer kontrolliert, dass die Regelungen eingehalten werden? Es gebe Naturpark-Ranger und Naturschutzwächter, die ein Auge darauf hätten. Auch die Kontrolle innerhalb der Kletterszene sei enorm, behauptet Kollert. "Wenn ich jemanden erwische, der in einer gesperrten Zone unterwegs ist, den stell ich sofort zur Rede". Ferner gebe es immer wieder Anzeigen von Kletterern gegen rücksichtslose Zeitgenossen, weiß er.

Doch die meisten Kletterer würden sich rücksichtsvoll gegenüber der Natur verhalten, keinen Müll zurücklassen und selbst für den Toilettengang in der freien Natur gebe es ungeschriebene Verhaltensregeln: Vergraben oder eventuell sogar im Hundebeutel mitnehmen, führt Kollert aus. Aber auch das weiß der IG-Klettern-Vorsitzende: "Es gibt natürlich überall schwarze Schafe."

Verwandte Themen


Keine Kommentare