Durch Sibirien: Ebermannstädter radelt 3700 Kilometer

17.9.2019, 12:36 Uhr
Kurzer Boxenstopp vor dem Baikalsee - mit einem ausgestopften Bären im Hintergrund.

© Jürgen Pöhlmann Kurzer Boxenstopp vor dem Baikalsee - mit einem ausgestopften Bären im Hintergrund.

Seit Jahren begleiten die NN den drahtigen Ebermannstädter und seinen nicht minder robusten Drahtesel auf ihren Langstrecken-Touren, zuletzt im Sommer 2018: In 20 Tagen legte Pöhlmann von Moskau aus 2800 Kilometer (und 21.000 Höhenmeter) bis nach Jekaterinburg zurück. Die viertgrößte Stadt Russlands war nun, im Juni 2019, der Startpunkt seines nächsten Trips.

Es ging weiter, schnurstracks gen Osten. Das Ziel: Irkutsk – mit rund 590.000 Einwohnern und wegen seiner kulturellen Bedeutung sowie der Lage am einzigen Abfluss des Baikalsees einst auch „das Paris Sibiriens“ genannt. 3700 Kilometer in 19 Tagen ist der 58-Jährige dafür gefahren – quer durch die sibirische Tiefebene.

Dabei erwies sich schon der Tourenstart am Flughafen von Jekaterinburg als Reinfall: „Ich war da, mein Gepäck nicht“, erzählt Pöhlmann. Zwei Tage musste er am Airport der Ural-Metropole ausharren, erst dann konnte er mit seinen Siebensachen (allen voran seinem Rad) aufbrechen.

Und umgehend hatte er Glück: Rückenwind. Für Langstreckenradler wie ihn ein wahrer Segen. „So konnte ich die verlorene Zeit aufholen und radelte rund 1000 Kilometer in nur vier Tagen.“

Die eher miesen Straßenverhältnisse (von den nicht vorhandenen Radwegen ganz zu schweigen) konnten den erfahrenen Tourenradler nicht am Weiterkommen hindern – zumal ihn die „einzigartig schöne Landschaft“ anspornte: Seen, Flüsse, Wälder, Bären, eine unendlich anmutende, wilde Natur, Sonnenschein.

Stechende Plagegeister

Dass er so schnell vorankam, hatte allerdings auch einen anderen, stichhaltigen Grund: Mücken – und das massenweise. „Das war wirklich eine Plage. So an die hundert Stiche pro Tag, schätze ich“, erzählt er und zeigt seinen Arm, an dem auch jetzt, über zwei Monate nach seiner Rückkehr, noch einige kleine Schwellungen zu erkennen sind. „Dieser dauernde Juckreiz“, sagt Pöhlmann, „das geht irgendwann auch an die Psyche“. Sprays und Salben hätten alle nichts genutzt. „Nur eine Sache hilft: schnell fahren.“ Was er denn auch – abgesehen von den Übernachtungen in rustikalen örtlichen Pensionen – so ziemlich pausenlos und mit eiserner Disziplin tat.

Er erreichte Omsk, hier im Dauerregen, radelte er weiter gen Nowosibirsk und fand sich in dichtem Nebel wieder. Beziehungsweise im Smog: Großflächige Waldbrände hüllten die Landschaft Hunderte Kilometer weit in Rauch, die Tage vergingen im Zwielicht („Eine Stimmung wie bei einer Sonnenfinsternis“) und der dichte Qualm brachte den Hochleistungssportler auch körperlich ans Limit.

Kaum hatte der Qualm sich verzogen, rückte das Ziel der Reise näher – und schon radelte Pöhlmann ins nächste Extrem: Wasser. Unfassbare Mengen davon. „Ich war mitten in einem Katastrophengebiet!“ Heftiger Dauerregen hatte zuvor die Flüsse anschwellen lassen, sie traten über, die ganze Region versank in den Fluten. Ein Ereignis über das hierzulande nur am Rande berichtet wurde, Pöhlmann erlebte es hautnah – und traute seinen Augen kaum. „Hunderte Orte sind einfach von der Landkarte verschwunden, Zehntausende Menschen mussten umgesiedelt werden“, erzählt er.

Vor allem als er zur 45.000–Einwohner-Stadt Tulun kam – beziehungsweise, was davon übrig blieb – wurde ihm das ganze Ausmaß klar. In seinen Reisetagebüchern notierte er nur: „Die Katastrophe!“ Der Regen hatte hier den nördlich der Stadt gelegenen Bratsker Stausee über die Ufer treten und die Dämme brechen lassen. Die historische Altstadt Tuluns lag vor Pöhlmanns Augen komplett zerstört unter Wasser.

So erwies sich auch das Weiterkommen auf der einzigen, nunmehr überfluteten Hauptverkehrsstraße für den Radler als unmöglich. Letzte Alternative: die transsibirische Eisenbahn und eine intakte Brücke. Problem: Fahrräder sind dort im Zug eigentlich nicht erlaubt. Nur dank der Hilfe von Einheimischen, die den Sicherheitskräften am Bahnhof gut zuredeten, durfte Pöhlmann mit seinem Drahtesel doch noch einsteigen. Diese unverhoffte Hilfsbereitschaft, das betont er, habe ihn auf seiner Tour mehr als einmal aus der Bredouille gerettet.

Schließlich wurde Pöhlmann (von recht unfreundlichen Bahnmitarbeitern) nach der Brücke wieder aus dem Zug bugsiert, rein in die Pampa – und weiter ging die Fahrt auf zwei Rädern.

Es folgten Übernachtungen in völlig überfüllten Motels, die fast ausschließlich von chinesischen Touristen bevölkert waren. („Im Schnitt waren wir zu acht auf einem Zimmer“) und endlich die Ankunft in Irkutsk – bei traumhaftem Urlaubswetter.

Ein Meer von einem See

„Eine wunderschöne, zauberhafte Stadt mit unzähligen Prachtbauten, imposanten Kirchen, Museen“, berichtet Pöhlmann. Auch hier war die Stadt voll mit Touristen, die fast nur aus China kamen. Sechs Tage blieb er in Irkutsk, darunter ein ausgiebiger Abstecher zum nahen Baikalsee. Mit gigantischen 1642 Metern ist der Binnensee der tiefste seiner Art und weiterhin das größte Süßwasser-Reservoir der Erde. Nur zum Vergleich: Die Wassermenge des Baikal ist doppelt so groß wie die der Ostsee.

„Darin zu baden, tut weh“, lacht Pöhlmann, „das ist bei einer Wassertemperatur von rund zehn Grad halt so“. Doch der Extremsportler tat es freilich trotzdem. Er braucht immerhin genug Widerstandskraft – seine nächste Tour hat Jürgen Pöhlmann nämlich schon im Blick: 2020 soll es noch weiter nach Osten gehen. Das Ziel: Peking.

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