Erst erlaubt, dann verboten: Fränkischer Nachtwächter setzt sich für Führungen ein

24.5.2020, 15:50 Uhr
Erst erlaubt, dann verboten: Fränkischer Nachtwächter setzt sich für Führungen ein

© Foto: Patrick Schroll

Wer über 500 Jahre auf dem Buckel hat, den wirft so schnell nichts aus der Bahn. Erst recht nicht Corona. Der Nachtwächter aus Pottenstein hat sich vom Bayerischen Innenministerium die Erlaubnis geholt und war am 15. Mai, einem Freitagabend, zu einer Führung unterwegs. Das hat verwunderte Hoffnung bei seinen Gasteführer-Kollegen in Deutschland ausgelöst.

Im echten Leben heißt der Mann, der abends durch die Gassen der Felsenstadt führt - mit schwarzem Dreieckshut, brennender Laterne und großer Hellebarde, eine Waffe, um sich gegen das Böse zu verteidigen - Thomas Büttner. 52 Jahre ist er nach der tatsächlichen Zeitrechnung alt und seit mehreren Jahren freiberuflicher Gästeführer in seiner Heimatstadt Pottenstein. 

Über eine halbe Million Besucher hat Büttner vor seinem Leben als Nachtwächter durch die bekannte Teufelshöhle geführt, sagt er. Ein Mann mit Erfahrung könnte man sagen, der sich nicht hätte träumen lassen, dass ein unsichtbarer Virus alles auf den Kopf stellt. "Wir sind eiskalt von den Corona-Maßnahmen getroffen worden", sagt Büttner über sich und seine über 7500 Kollegen, die sich im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland (BVGD) zusammengeschlossen haben.

Bangen um die Existenz

Mit dem Virus kam zeitverzögert das Verbot von Gästeführungen. "Wäre das am Ende der Saison gekommen, hätten wir das leichter schultern können. Aber es traf uns ganz am Anfang der Saison, kurz vor Ostern", sagt Büttner. Hoffnung und Vorfreude liegen in der Branche auf dem Frühjahr. "Über den Winter haben wir so gut wie keine Einnahmen", erklärt Büttner. "Es war nicht einfach, da wieder einen Weg raus zu finden." Einige Kollegen bangen um ihre Existenz, durch die Straßen führen sie nicht nur aus purer Leidenschaft. Wer Mitglied im Verband ist, ist nach Mindeststandards qualifiziert, mancher nach europäischem Standard zertifiziert, teilt der BVGD mit. 

Der Pottensteiner hatte zunächst einen Ausweg aus der Krise gefunden und ungeplant deutschlandweit für helle Aufregung in seiner Branche gesorgt. Doch wie jede Geschichte beginnt auch die vom fränkischen Nachtwächter und seinem Einfallsreichtum von vorne.

Büttners Führungen finden unter freiem Himmel statt, die Hygienestandards kann er dadurch gut erfüllen, dachte er sich. Er startete eine Anfrage beim Bayerischen Innenministerium. Die Antwort: Ja, er darf losziehen. Aber: Die Teilnehmer müssen mindestens 1,5 Meter Abstand halten, er darf nichts verteilen, die Bezahlung soll möglichst kontaktlos funktionieren, maximal eine Stunde darf die Führung dauern. 

Es ist Freitag, 15. Mai, als sich kurz vor dem Glockenschlag um 21 Uhr sieben Teilnehmer vor dem Pottensteiner Rathaus versammeln. Aus Fürth, Forchheim, Weilersbach und Bieberbach kommen die Gäste. Zu diesem Zeitpunkt ist für Büttner klar: Es ist eine der ersten Führungen bayernweit. "Ich habe mich gefreut wie Bolle über die Teilnehmer", sagt er im Nachgang. Die Gäste sich ebenso. "Endlich mal wieder das Haus verlassen, am Leben teilhaben, die Freizeit genießen", heißt es aus ihrem Kreis, bevor Büttner zu seiner Tour aufbricht und die Hygieneregeln erklärt. Zu nah kommt sich in den nächsten 60 Minuten niemand.

Der Geist von Elvis Presley

Die Zeitreise durch die hellen wie finsteren Momente der vergangenen Jahrhunderte, sie vergeht wie im Flug. Am Ende bleibt vieles im Gedächtnis. Warum die Pottensteiner auch Esel genannt werden, welche Katastrophe die Stadt im Jahr 1736 heimsuchte, warum Franken Franken ist und nicht Bayern und wo noch heute ein Stück Rock n’ Roll, der Geist von Elvis Presley, spürbar ist. Corona? Ist für diese kurze Zeit fast vergessen.

"Normalerweise beziehe ich die Teilnehmer mehr in die Führungen ein", sagt Büttner. Das fällt erst mal flach. Die spontan aus dem Gästekreis gewählte Königin muss an einer Station ohne die sonst vom Nachtwächter gereichte Hand wieder von ihrem Thron absteigen. Auch der "Gute-Nacht-Trunk" entfällt, die Besucher zahlen die Tour am Ende, indem sie kontaktlos das Geld in den abgelegten Hut des Nachtwächters werfen. 

Als Maren Richter vom Pottensteiner Fall auf Nachfrage der Redaktion erfährt, traut sie ihren Ohren kaum. "Das erfreut mein Herz", sagt sie am Telefon. Richter ist Vorsitzende der Gästeführer-Bundesvereinigung. Für ihre Tausenden Mitglieder, die sie betreut, hat sie ein Schreiben an alle 16 Innenminister und Ministerpräsidenten der Bundesländer verfasst. In nur wenigen Ländern sind Führungen derzeit wieder erlaubt, weitere Bundesländer lassen diese ab Montag zu. "Das Ziel ist, dass in den Coronaschutzverordnungen aller Bundesländer Gästeführungen in die Liste der explizit erlaubten Tätigkeiten aufgenommen werden", erklärt der BVGD zudem in einer Pressemitteilung.

Das Verständnis schwindet

Vor ein Problem stellt Richter, dass jedes Bundesland seine Verordnungen anders handhabt. "In manchen sind Gästeführer gar nicht erwähnt", sagt Richter. "Das alles ist sehr undurchsichtig." Und das Verständnis für Maßnahmen schwindet, wenn einerseits Biergärten wieder öffnen, Führungen unter freiem Himmel vorerst aber nicht stattfinden dürfen. Der BVGD hat deshalb einen Leitfaden für Deutschlands Gästeführer verfasst, aber auch für die Politik, um sie davon zu überzeugen, "dass wir alle Vorsichtsmaßnahmen ohne Probleme erfüllen können", so Richter.

Bisher war Bayern bei der BVGD-Vorsitzenden als Bundesland mit besonders strengen Regeln für ihre Branche bekannt. Verwirrend sind nicht nur 16 unterschiedliche Länderregeln, sondern für den Verband auch die Aussagen des Bayerischen Innenministeriums. Hatte es dem Pottensteiner Nachtwächter die Führung erlaubt, hieß es auf eine weitere Nachfrage des BVGD vom Ministerium wiederum klar "Nein". "Ich war total verunsichert", sagt Büttner. Daraufhin habe er erneut nachgefragt, ob er seine Führung am 15. Mai tatsächlich abhalten dürfe. Ja, hieß es erneut von Ministerium. Was nun gilt? Nein, heißt es vom Innenministerium - diesmal auf Nachfrage der Redaktion. Büttner hatte seine offizielle Auskunft des Ministeriums über eine Anfrage bei Facebook erhalten. "Wir können trotz sorgfältiger Prüfung Missverständnisse leider nicht zu 100 Prozent ausschließen. Zum Hintergrund: Seit 15. März haben wir rund 5000 Antworten über unsere Social Media Kanäle gegeben", teilt das Ministerium schriftlich mit.

Die Freude währte für Thomas Büttner und den gesamten Verband also nur kurz. Bis zum 30. Mai muss er jetzt warten. Dann sollen touristische Stadtführungen wieder möglich sein. "Voraussichtlich", heißt es. 

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